MÜNSTER! Magazin

Von der Marievengasse blickt man auf den Heeremannschen Hof in der Königsstraße 47. Foto: Peter Leßmann

Januar 2021 N°98


DIE MARIEVENGASSE (Folge VI)

Es sind Abkürzungen und Verbindungen. In Münsters Gassen stecken Geheimnisse und Geschichten – die Marievengasse ist der kurze Weg beim Einkaufsbummel von der Ludgeristraße zur Königsstraße. Etwa mittig steht ein denkmalgeschütztes Haus, ein Gadem.

Text Cornelia Höchstetter


Die Gasse 

Die Marievengasse war in der Stadthistorie eine typische Querverbindung zweier großer Verkehrsadern, der Ludgeristraße, die nach Hamm führte und der Königsstraße, die Richtung Köln ging. Die 80 Meter lange Gasse trennte beziehungsweise verband zwei Welten: Bürger sowie Kaufleute aus der Ludgeristraße und die Adelshöfe in der Königsstraße.

Die Geschichte

 „Bergauf “ – das ist im flachen Münster relativ – aber von der Königsstraße her steigt die Marievengasse Richtung Ludgeristraße ein wenig an, denn die Ludgeristraße liegt auf dem erhöhten Kiessandrücken der vorletzten Eiszeit. „Den nutzte man im Mittelalter zum Wegebau“, erklärt Dr. Ralf Klötzer. Er ist Stadtführer bei Stattreisen Münster, schrieb schon zwei Bücher über Münsters Straßengeschichte und arbeitet als Historiker in Drensteinfurt. „Die Leute bauten damals dort die Wege, wo sie trockene Füße behielten.“ So wurde die Ludgeristraße schon im 13. Jahrhundert zu einer wichtigen Verbindung, an der sich Händler und Kaufleute niederließen, und die Marievengasse war eine der Seitengassen. „Handwerker, die wenig verdienten, konnten sich in einer Gasse wie hier eine kleine Parzelle leisten“, erzählt Dr. Klötzer. „Sobald man sich verbessern konnte, verkaufte man das Haus und zog um, die Leute damals waren mobil.“ An das Mittelalter erinnern die unterschiedlichen Höhen der Dachrinnen. Die Traufen sind etwas überständig, damit der Regen weg von der Hauswand geleitet wurde und direkt auf den Boden prasselte. Dachrinnen gab es nicht. „Man kam vom Regen in die Traufe“, erklärt Dr. Klötzer das Sprichwort.

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Foto: Peter Leßmann

Der Name 

Das Straßenschild verrät: In der Marievengasse stand ein Wirtshaus namens Moder Evenhus. „Das Moder Evenhus ist 1380 urkundlich gesichert. Es gab früher ja unheimlich viele Gasthöfe und Herbergen“, erzählt Dr. Klötzer. Die reichen Leute wählten für die Übernachtung gerne Gasthäuser an den großen Straßen, die ärmeren Reisenden suchten sich in den „Stegen“ (Gassen) eine Bleibe. „‚Moer‘ oder ‚Moder‘ war auf Niederdeutsch die Mutter, also die Herbergsmutter, in dem Fall die Wirtin namens Eva“, erklärt Dr. Klötzer. „‚Even‘ war der alte Genitiv auf ‚en‘, also: das Haus der Eva‘.“ Im 17. Jahrhundert hieß die Gasse ‚Moer Even Stege‘ oder ‚Moerevenstege“. Hochdeutsch wäre das: Mutter-Even- Stiege. „Möglicherweise hat aber der preußische Katasterbeamte um 1830 die ‚Moder‘ nicht erkannt und sie zu Maria gedeutet“, mutmaßt Dr. Klötzer. 

Die Verbindung heute 

Der Einkaufsbummel führt durch die Marievengasse, um zwischen Fußgängerzone und Königsstraße oder Aegidiimarkt abzukürzen. In der Mittagspause schlendern Hungrige durch die Gasse und kommen gesättigt wieder raus. 

Die Besonderheit 

Das Haus mit der Nummer 6 steht unter Denkmalschutz. Im Erdgeschoss sind die Holzfensterläden geschlossen, im ersten Stock blühen auf den drei Fensterbrettern Geranien. Der heutige Eigentümer Franz-Josef Görtz hat dort sein Büro, für ihn ist das Haus ein „Zeitzeuge“, deshalb ließ er es restaurieren und hat ein Buch im Coppenrath-Verlag herausgegeben (ISBN: 978-3-649-61481-4): Ein Gadem in der Marievengasse. Gadem heißt das für das 18. Jahrhundert typische Kleinhaus oder Einraum-Haus, in dem die Menschen gewohnt und gearbeitet haben. Von der Sorte gab es viele in Münster. Fast alle sind im Krieg zerstört und im Gegensatz zu den Giebelhäusern nicht mehr aufgebaut worden. In der Marievengasse erinnert ein Schild an den Polstermacher Stroetmann. Er steht stellvertretend für die Gademsbewohner der letzten Jahrhunderte: Es war 1785 der Perückenmacher Anton Lunge, 1819 der Schuster Joseph Simon, später ein Sattlergeselle, eine Taglöhnerin. Schuhmacher, Zimmermann und Bäckermeister folgten. Auch Kleinhändler waren darunter – die hießen Höker und verhökerten ihre Waren aus dem Gadem. Deshalb sieht man auf dem Dach eine hervorstehende Gaube. Dort hing der Flaschenzug, der die Waren ins Dachlager transportierte.

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An der Eingangstür steckt ab und zu eine Broschüre über das Gadem – zum Mitnehmen. Foto: Peter Leßmann

Die Geschäfte

Die Marievengasse ist vielseitig: kulinarisch geprägt mit einer lokalen Speisekarte des Restaurants Münsters Esszimmer in der Nummer 9 und Gökhan Yagiz‘ Levelup Kebab in der Nummer 5. Dazwischen steht das Kawentshaus mit Ausstellungs- und Bürofläche mit Kawentsmann- Möbeln, -Einrichtungsstücken und -Gestaltungsideen in der Marievengasse 7 und Franz Josef Görtz hat in der Marievengasse 6 sein Büro für die Görtz Königspassage. Da ist sie wieder, die Verbindung zur Königsstraße.