MÜNSTER! Magazin

Auf den Glasbeistelltisch fällt der erste Blick, sobald man das von ht Architektur geplante Haus betritt. Julia dekoriert ihn je nach Jahreszeit: zu Weihnachten mit ihrer ausgewählten Spritzdekor-Keramik. Selbst das Schaukelpferd ist Spritzdekor. Foto: Ulrike Meywald

Dezember 2020 N°97


Vom Jagen und Sammeln

Wie wird man zu einer Sammlerin? Bei Julia begann ihre Leidenschaft für Spritzdekor mit einem Friseurbesuch auf der Warendorfer Straße. Im Schaufenster des dort gelegenen Antikladens war eine Porzellanbonboniere von Roloff ausgestellt. Die gefiel ihr auf Anhieb.

Text Ulrike Meywald


Porzellan aus der münsterschen Manufaktur August Roloff ist oftmals mit Gold belegt und besitzt von Hand gemalte Art-Deco-Muster. „Nachdem ich ein paar Roloff-Stücke gekauft hatte, wurde ich auf Spritzdekor aufmerksam, das etwa aus der gleichen Zeit um 1930 stammt. So begann meine Sammlung mit dem Kauf von ebenfalls mit Gold dekorierten Kakaokannen“, erzählt Julia. Als Spritzdekor bezeichnet man maschinell hergestelltes Steingut oder Porzellan, das mit Hilfe von Schablonen und Pressluftpistolen dekoriert wurde. Auffällig ist, dass es oftmals nur wenige expressive Grundformen gab, die Schablonen aber mit unterschiedlichen kräftigen Farben zu immer wieder neuen Mustern kombiniert wurden. Eine weitere Besonderheit dieser Keramik ist nicht auf den ersten Blick sichtbar. Sie war zu einer Zeit Ausdruck der Kunst, als es dafür nur noch wenige Möglichkeiten gab. Während der Weimarer Republik, ab 1925, überschwemmten die Gebrauchsartikel, wie Kakaokannen, Gebäckdosen und Tortenplatten, die Proletarierstuben. Nach fast zehn Jahren ging den Nationalsozialisten auf, dass die geometrischen Muster starke Ähnlichkeit mit der von ihnen als „entartet“ bezeichneten Malerei hatten. 1933 zerschlugen sie daher das von ihnen als kommunistisch bezeichnete Spritzdekor in Massen.

Für Julia sind die gesammelten Stücke vor allem eine Erinnerung an eine andere Zeit, denn ihre Großmutter hatte eine Tortenplatte mit Spritzdekor. Es macht ihr Freude, die Keramik auch im Alltag zu verwenden. „Aber ich finde sie einfach auch schön anzusehen!“ Präsentiert werden sie an vielen Stellen ihres Hauses, das einen spannenden Kontrast zur bunten Welt der Keramik bildet. Es ist ein moderner Bungalow, geplant von ht Architektur. Eine dunkelgraue Schieferwand begrüßt die Besucher und man möchte am liebsten mit den Fingern darüberstreichen, während man weitergeht in den Wohnraum. Eine Gruppe von dunkelbraunen Barcelona-Sesseln, entworfen von Mies van der Rohe, steht um einen niedrigen Couchtisch mit auffälligen Vasen. Darauf angesprochen lacht Julia: „Ich habe meinen Mann mit dem Jagdfieber angesteckt. Er sammelt Murano-Glas.“ Tatsächlich hat das Ergänzen der Stücke, ob Murano- Glas oder Spritzdekor, etwas von einer Jagd. „Die meisten Stücke finde ich bei Ebay und die Paketboten sind quasi bei uns zuhause.“

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Der Raumteiler von USM Haller beherbergt eine kleine Auswahl ihrer Spritzdekor- Sammlung. Insgesamt besitzt Julia mehr als 2.000 Stücke. Auch der weihnachtlich gedeckte Tisch ist vollständig mit Spritzdekor ausgestattet. Selbst die Tischdecke trägt die auffallenden Muster. Foto: Ulrike Meywald
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Das schwarz-weiß-rote Porzellanservice von C.A. Lehmann & Sohn Kahla aus Leuchtenburg ist eines der bekanntesten Muster und stammt aus dem Jahr 1930. Foto: Ulrike Meywald
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„ Sammler sind Millionäre, die leidenschaftlichsten Menschen, die es gibt auf der Welt.“ HONORÉ DE BALZAC Foto: Ulrike Meywald

MAN KENNT SICH UNTER DEN SAMMLERN 

Aufregend wird es für sie, wenn ein Stück angeboten wird, von dem sie bereits andere Teile mit dem gleichen Dekor besitzt. Nach Julias Einschätzung gibt es nur 15 bis 20 Sammler in Deutschland, meistens Männer. „Man kennt sich irgendwann, weil natürlich immer wieder die gleichen Bieter dabei sind.“ Seit dreißig Jahren gibt es in Deutschland Ausstellungen mit Keramik aus der Weimarer Republik. „In einer Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg sind viele dieser poppig gemusterten Tortenplatten nebeneinander an der Wand angeordnet. Ein tolles Bild!“ Statt Tortenplatten präsentiert Julia unzählige Kakaokannen in einem gläsernen Raumteiler von USM Haller, der den Esstisch vom Sofa trennt. Dunkle Designermöbel vor weißen Wänden bilden den Rahmen für die bunt gemusterten Stücke. Auf dem Boden liegt außen wie innen ein nur leicht grünlicher Anröchter Stein und schafft damit eine fließende Verbindung zur Terrasse. Bei den Grundüberlegungen zum Haus ging es um diesen Fluss der Räume, innen wie außen. Möbel oder der im Raum platzierte Kamin trennen die einzelnen Bereiche optisch. Die Spritzdekor-Keramik auf den Beistelltischen und Regalen schafft wiederum eine Verbindung. „Sammeln ist eine Form der Erinnerung, der Konservierung. Sammler entdecken einen Teil der alten Welt wieder, indem sie den Dingen Dauer verleihen.“ Vielleicht beschrieb Honoré de Balzac Sammler deswegen als die leidenschaftlichsten Menschen auf der Welt. Ab einem gewissen Punkt entsteht dann natürlicher Weise der Wunsch, diese Sammlung mit der Welt zu teilen. Auch Julia beschäftigt sich damit, denn bereits jetzt ist es so, dass sie alle Schränke ihres Hauses gefüllt hat und zahlreiche Stücke ausgelagert sind. Ein Onlinemuseum schwebt ihr vor, sodass viele Menschen sich mit der Keramik ihrer Großeltern beschäftigen können und damit eintauchen in ein anderes Zeitalter. Mit der Umsetzung hat sie bereits begonnen.

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Julias Junghund Moses lebt als „Hund im Porzellanladen“ und wird entsprechend trainiert. Auf dem USM-Sideboard im Hintergrund sieht man Spritzdekor-Lampenschirme, die oft noch in Berliner Häusern hängen. Foto: Ulrike Meywald
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Mit der Porzellanbonboniere von Roloff begann Julias Sammelleidenschaft vor zehn Jahren. Mit seiner Art-Deco-Goldbemalung stammt sie aus der gleichen Zeit um 1930 wie die farbenfrohen Kakaokannen im Spritzdekor. Foto: Ulrike Meywald
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Durch die raumhohe Eingangstür fällt der Blick bis in den Garten hinter dem Haus. Flankiert wird diese Sichtachse von einer Schieferwand, die vor dem Haus beginnt und im Haus endet. Foto: Ulrike Meywald