MÜNSTER! Magazin

Foto Annabel Schirrmeister

Dezember 2021 N°108


Wunderbares Durcheinander

„Der Laden hält sich?“ – und ob! Henry Schirrmeister führt seinen An- und Verkauf für Modelleisenbahnen in Münster seit mittlerweile über 35 Jahren. Am gleichen Standort. Für einige unbegreiflich, für viele unentbehrlich ...

Text Annabel Schirrmeister


Ja, es ist schon ein einzigartiges, ein skurriles Örtchen am Bült 19. Während der direkte Nachbarladen von Marionetten-Puppen über Hip-Hop Streetwear bis hin zu Klimageräten regem Besitzerwechsel unterlag, hält sich Henry Schirrmeister – Modelleisenbahn An- und Verkauf über Jahrzehnte mehr als wacker. Kenner wissen, dass dieses Spezial-Geschäft eine Nische besetzt, die größer ist als so mancher vermutet. Ein echtes Original. Henry Schirrmeister ist eine in der Szene weltweit bekannte Marke.

„Gebrauchtwarenhandel war immer mein Ding“, erzählt Henry Schirrmeister, und ein Schmunzeln fährt über sein Gesicht. Der heute 68-Jährige ist sichtlich und zu Recht stolz auf sein Lebenswerk. „Auf Flohmärkten war ich unterwegs. Im Geschäft meines Vaters habe ich, damals noch an der Windthorststraße, alles Mögliche an Mann und Frau gebracht. Auf der Hafenstraße 13 lebte ich hinten im ersten eigenen Laden, während ich vorne meinen Verkaufsraum einrichtete.“ Einige Münsteranerinnen und Münsteraner werden wissend aufhorchen. Sätze wie „Mein Vater hat schon bei Ihrem Vater gekauft“ gehören im Modellbahngeschäft zum guten Ton.

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Modellbauer nehmen sich Transformatoren von Schirrmeisters originellem „Trafo-Haufen“ mit, um die passende Stromzufuhr auf den Gleisen herzustellen. Foto: Annabel Schirrmeister

Der „Weichensteller“, wie ihn das IHK-Wirtschaftsmagazin einst taufte, steht zwischen angestaubten Waggons, aufgetürmten Verpackungen vergangener Jahrzehnte – die x-mal geöffnet und wieder geschlossen wurden – sowie Haufen von Kleinteilen und Transformatoren mit der Selbstverständlichkeit eines erfahrenen Kaufmanns. Trotz des ersten womöglich chaotischen Eindrucks seines Traditionsgeschäfts herrscht hier eine behagliche Atmosphäre. LED Neonröhren werfen Licht auf die dicht an dicht gedrängten Waren. In der Fülle der Details steckt sehr viel mehr System als sichtbar, verrät der Münsteraner mit einem wissenden Blick. „Der ,Trafo-Haufen‘ darf einen nicht verschrecken. Der ist Kult. Und ich weiß genau, wo ich was finde. Hier kommt es aber auch nur ganz selten vor, dass jemand sich wünscht: ,Räum’ doch mal auf.‘ Die Eisenbahner kennen und lieben es hier so, wie es ist.“ Sie besuchen Henry in seinem Geschäft wie einen Künstler in seinem Atelier, der im augenscheinlichen Durcheinander den vollkommenen Durchblick bewahrt. Das Bild des An- und Verkaufs am Bült ist erst dann vollkommen, wenn die präsente, besonnene Aura des Ladeninhabers, der die meisten Kunden mit Namen oder gar schon seit Kindertagen kennt, hinein gemalt wird. Ein Grund, warum sich dieser Laden „hält“ – weil er so ist, wie er ist.

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LED-Strahler erleuchten die Vielzahl der Modelle der traditionellen Marken im An- und Verkauf: Arnold, LGB, Märklin, Roco, Fleischmann, Trix. Foto: Annabel Schirrmeister
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Die Zukunft ist gesichert: Sohn Leon stieg nach seiner Bankausbildung vollständig in den Familienbetrieb ein. Seit mittlerweile drei Jahren führt das Vater- Sohn-Gespann den Laden gemeinschaftlich. Foto: Annabel Schirrmeister

Das bunte Publikum passt zum Interieur. „Alleine über meine Stammkunden weiß ich so viel, dass ich Bücher mit den wildesten Geschichten schreiben könnte. Ich hatte auch schon den ein oder anderen Promi zu Besuch. Das kam am Abendbrottisch bei meinen Töchtern natürlich besonders gut an.“ In diesem Geschäft für Gebrauchtes – selbst die Tüten kommen aus zweiter Hand und gerne mehrfach zum Einsatz – könnten sich weder Eisenbahn- Freaks noch Neulinge jemals langweilen. Wohl eher begeistern, mitreißen oder inspirieren lassen. In jeder Ecke stapeln sich Waggons, Häuser und andere Modellteile. Lokomotiven reihen sich in den schlanken Glasvitrinen aneinander, und es kommen beinahe täglich neue Schätzchen dazu. „Die Leute bringen mir Kisten ins Geschäft oder ich fahre raus, um komplette Sammlungen anzuschauen.“ Dabei greift Schirrmeister auf seine jahrzehntelange Erfahrung zurück. Aber auch auf seine gelassene, empathische Art, auf die Menschen einzugehen, die ihn rufen und ihm vertrauen.

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Das „Krokodil“ in den Händen von Henry Schirrmeister ist ein Modell von Märklin. Die schweizerische Güterzuglok ist ein historischer Klassiker und in der Modelleisenbahnwelt sehr beliebt. Foto: Annabel Schirrmeister

Eine tausendmal gestellte Frage der Kunden lautet: „Darf ich mich für ein Wochenende mal im Laden einschließen lassen, um in Ruhe wirklich alles zu sehen und auszuprobieren?“ Henry Schirrmeister

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Schirrmeisters Kunden wissen, dass auch in seinen Schubladen viel los ist. Was verbirgt sich wohl ganz unten? Hier sind es alte Metallgleise und Märklin-Schienen im H0-Maßstab. Foto: Annabel Schirrmeister

Treffpunkt und Wohnzimmer für Cracks und Neugierige auf der Suche nach besonderen Sammlerstücken, einfachen Ersatzteilen und extrem seltenen Modelleisenbahnen. Hier kaufen „Eisenbahner“ aus der ganzen Welt. Online. Gaby und Henry Schirrmeister bewiesen einen kaufmännisch besonders intakten Riecher, als sie vor gut 22 Jahren erkannten, welche enorm relevante Rolle das Internet für sie als Einzelhändler spielen würde. Und so betreut Gaby bis heute den Online-Handel Schirrmeisters Miniatur- Welten.

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Bastler erschaffen romantische Modelllandschaften wie diese. Oft werden diese Welten nie fertig, denn es geht vielmehr darum, das Hobby weiter auszuüben. Foto: Annabel Schirrmeister

Die Familie spielt im Leben des passionierten Einzelhändlers Henry Schirrmeister die wichtigste Rolle. „Früher war es als Selbstständiger keinesfalls selbstverständlich, die Brötchen nach Hause zu bringen. Vor Arbeit habe ich mich nie gescheut.“ Ein Jonglage-Akt, den der Familienvater meisterte: Zeit fürs Geschäft, aber auch Zeit für die sechsköpfige Familie aufzubringen. Sohn Leon gehört seit Teenie-Zeiten im Modellbahnhandel an Henrys Seite. Was vor einigen Jahren als Samstags- Unterstützung zur Taschengeldaufbesserung begann, ist heute gut organisierte Teamarbeit. Urgestein Henry ist für viele Eisenbahner nicht vom Bült wegzudenken. Zu ihrem Glück denkt er noch nicht daran, sich vollständig zurückzuziehen. „Solange Leon und ich uns so gut verstehen und zusammenarbeiten können, bleibe ich gerne dabei! Ein bisschen mehr Zeit für andere Dinge nehme ich mir ja schon.“ Und damit meint er die beiden Hunde, die er mit täglichen Aaseerunden glücklich macht und seine zweite große Leidenschaft, den Sport.

henryschirrmeister.de