MÜNSTER! Magazin

Foto:Adobe Stock

N°119


Barock in Münster 

Lebenslust ist ein Thema, das die Epoche des Barocks ausmacht. In Münster finden wir viele Bauwerke, eine sich ändernde Stadtgesellschaft und manchen Superlativ: Wir präsentieren eine Handvoll opulenter Schätze aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Text cornelia höchstetter


Er steht stellvertretend für Münsters Prachtbarockbauten – mehr Schnörkel und Baulust gehen kaum: der Erbdrostenhof an der Salzstraße. Unter den mehr als 30 Adelshöfen der Stadt gilt er als das Sahnestückchen. Bauherr war Freiherr Adolph Heidenreich von Droste-Vischering (1715–1776). Gebaut hat den dreiflügeligen Hof in den Jahren 1753 bis 1757 Münsters Baumeister Johann Conrad Schlaun (1695–1773). Er kombinierte Backstein mit Baumberger Sandstein, das ist der typisch westfälische Barock.

Genial ist der Grundriss des Erbdrostenhofes: Weil mitten in der Stadt wenig Platz war, plante Schlaun das Gebäude diagonal auf das Grundstück, wodurch der dreieckige Vorhof mit den hohen Gittern herum entstand. Der Erbdrostenhof war später eine Art „Partyzentrum“ des Barocks und der Zeit danach: 1757 zog der französische Marschall Grafen d’Estrées ein, der den gesellschaftlichen Mittelpunkt in den Hof verlegte. Als 1758 Herzog Ferdinand von Braunschweig der nächste Bewohner wurde, folgte eine Zeit der Feste und Bälle.  Heute ist der Erbdrostenhof ein Dienstgebäude des LWL, beherbergt eine Sammlung historischer Instrumente, der Festsaal ist mit der Freskomalerei von Nikolaus Loder (heute rekonstruiert) ein wahres Wunder. Trotzdem ist der Hof nur an bestimmten Tagen (etwa am Tag des Offenen Denkmals) oder zu Veranstaltungen für die Bürger geöffnet.

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Foto: Stadtmuseum Münster

Barocke Täfelchen-Sammlung

Hätten Sie es gewusst? „Mehr als ein Viertel der weltweit noch erhaltenen Fürstenberger Täfelchen haben wir als zusammenhängende Sammlung im Stadtmuseum“, erzählt der stellvertretende Mu­seumsleiter, Dr. Axel Schollmeier, und bittet ins zweite Stockwerk. Dort ist Raum 14 eins von 33  thematisch sortierten Kabinetten. Hier sollte kein Elefant durchmarschieren, denn hier liegt, steht und hängt Porzellan. An der Wand sind es rechteckige Täfelchen, so groß wie Pommesschalen aus Pappe. Fataler Vergleich – immerhin handelt es sich um sogenannte Fürstenberger Täfelchen der 1747 gegründeten Porzellanmanufaktur in der gleichnamigen Stadt an der Weser. Aus dem 18. Jahrhundert stammen die zerbrechlichen Kunstwerke mit „Rocaillerahmen“ – verschnörkelten und vergoldeten Umrandungen. „Die Täfelchen waren Wandschmuck“, erklärt Schollmeier. Für ihn ist das Barock und das Rokoko die große Zeit des Kunsthandwerks. Das Gewerbe blühte auch auf, weil im Jahr 1710 August der Starke in Sachsen mit dem Meissener Porzellan die erste europäische Porzellanmanufaktur gründete. Porzellanmaler zeichneten Motive damaliger Bilder nach. Etwa Schafe und Ziegen nach Radierungen von Pascha Johann Friedrich Weitsch, Ansichten von felsigen Vorgebirgslandschaften oder stolzierendes Federvieh im Porträt. Vermutlich wurden die Täfelchen für Schloss Harkotten in Füchtorf gefertigt und kamen später in den Kettelerschen Hof in Münster, dem Stadtpalais der Adelsfamilie. Von dort wurde der Kunstschatz gerettet und wird seit langem im Stadtmuseum ausgestellt. 

„In der Zeit des Barocks änderte sich Münster und seine Stadtgesellschaft: Der Adel zog vom Land in die Stadt und errichtete zu den Wasserschlössern im Münsterland eine große Zahl an Stadtpalais“, erzählt der stellvertretende Museumsleiter. Aus der Bürgerstadt wurde eine Adelsstadt. Mit den Zweitwohnsitzen bekam die Stadt ein neues architektonisches Gesicht. Die aristokratische Kultur zog in Münster ein, wo bislang die Kirche und ihre Vertreter am Domplatz sowie die Bürgerschaft am Prinzipalmarkt das Leben prägten. Die Adelshöfe wollten standesgemäß eingerichtet sein: Exponate wie die Fürstenberger Wandtäfelchen zeugen davon.  

 

Barockes fürs Gesundheitswesen

Das älteste heute noch existierende Krankenhaus Münsters ist das Clemenshospital – seine Gründung fällt in die Epoche des Barocks und natürlich war es auch Johann Conrad Schlaun, der Hand an die Gebäude anlegte, von denen heute nur noch die (wiederaufgebaute) Clemenskirche steht. 

Keimzelle war eine Stiftung des Fürstbischofs Clemens August (1700–1761), Sohn des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern – Clemens August wurde mit 19 Jahren zum Fürstbischof von Münster und Paderborn und stiftete 100.000 Gulden für den Bau eines Klosters mit Kirche und Hospital. 1754 wurde das Krankenhaus eröffnet. Mit großen Feierlichkeiten – und das für 12 Betten. In Münster gab es bereits einige Einrichtungen für die Versorgung kranker armer und notleidender Bürger – Pest und Ruhr waren die damaligen Seuchen. Überliefert ist, dass Kranke, die nicht selbst gehen konnten, in Tragsesseln angeliefert wurden. Das Pflegepersonal für das neue Clemenshospital stellten zuerst die Barmherzigen Brüder des Ordens Johannes de Deo – „die versorgten vorher in der Gegend des heutigen Schlossplatzes ein Krankenhaus mit vier Betten – zwölf Betten waren also schon eine Steigerung“, erzählt Michael Bührke von der Öffentlichkeitsarbeit der Alexianer. Die Alexianer sind gemeinsam mit den Clemensschwestern Träger des heutigen Clemenshospitals (inzwischen 405 Betten). „Ins Krankenhaus kam man damals auch wirklich erst, wenn man schon fast gestorben ist!“, sagt Michael Bührke.  Die Clemensschwestern kamen übrigens viel später ins Spiel: 1808 gründeten sich die Barmherzigen Schwestern. Sie waren für die ambulante Pflege zuständig und gingen von Haus zu Haus. 1813 wurde das Clemenshospital ein städtisches Krankenhaus. „Die Stadt war mit der Leitung eines Krankenhauses überfordert und hat die Schwestern gefragt und quasi für das Clemenshospital abgeworben“, erzählt Michael Bührke. „Als die Münsteraner sahen, dass die Barmherzigen Schwestern im Clemenshospital ein und aus gingen, wurden sie umgangssprachlich als ‚Clemensschwestern‘ benannt.“  

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Foto: Susanne Schulte 

Barocker Musik-Schatz

In der Bibliothek der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) schlummern außergewöhnliche Papiere: etwa 2.000 Musikalien aus der Barock-Epoche. Viele in Westfalen komponiert, größtenteils stammen sie aus der Fürst-zu-Bentheimschen-Musikaliensammlung Burgsteinfurt. „Es gibt weltweit wenige Sammlungen, die so umfangreich sind: Münster beherbergt damit wirklich einen ganz besonderen Schatz an Barockmusik, teils sogar in originaler Handschrift!“, schwärmt ausgerechnet ein Professor für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement. Professor Dr. Jörg Becker ist selbst musikbegeistert und aktiver Musiker und engagiert sich im Vorstand des Ver­eins zur Förderung der Barockmusik in Westfalen e.V. Ziel ist es, Leben in die alten Noten zu bringen – die Musik sollte wieder erklingen. Die wissenschaft­liche Beratung liegt in den Händen von PD Dr. Daniel Glowotz. Der Wissenschaftler an der Uni Münster hat seine Schwerpunkte in der Musikgeschichte Westfalens und den Musiktheorien des 15. bis 18. Jahrhunderts. Er sichtete die Werke im Archiv, arbeitete sie wissenschaftlich auf und brachte sie in eine heute lesbare Form. Genauso passend die Besetzung der künstlerischen Leitung des Projekts: Es ist der ehemalige Generalmusik­direktor am Stadttheater Münster, Fabrizio Ventura. Der angesehene Dirigent stellte das Orchester La Fonte zusammen und verpflichtete weltweit Spezialisten. Der Solo-Flötist kommt aus Frankreich, andere aus Belgien, Italien, Australien. „Es war die organisatorische Arbeit des Vereins, Sponsoren zu finden, die Verträge für die Musiker zu machen und einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen“, erzählt der Vorsitzende. Schließlich sind nicht nur die Musiker Spezialisten – sie haben teils auch historische Instrumente, zum Beispiel einen Kontrabass aus dem Jahr 1795. Die barocke Konzertreihe fand im Sommer 2022 im Rahmen des münsterländischen Festivals Summerwinds statt. „Musikalische Schätze des Westfälischen Adels aus dem 18. Jahrhundert. PARIS!“ war der Titel. 

„Barockmusik hat zuweilen fast Schlager-Charakter, nur mit einem großen Tiefgang.“

- Jörg Becker

"Drei Tage vor Konzertbeginn kamen die Musiker von überall her und probten gemeinsam“, erzählt Jörg Becker. Ihn begeistert der Klang der Musik in den barocken Räumen des Erbdrosten­hofes, des Steinfurter Bagnos oder im Schloss Nordkirchen, und die vielen Zuhörer waren laut Jörg Becker ebenfalls hingerissen. „Es ist eine auch für unsere heutigen Ohren eingängige Musik mit bezaubernden Melodien“, erklärt Jörg Becker. In der Zeit des Barocks wurde zum ersten Mal Musik für das gesamte Volk gemacht. Nicht nur die obere Gesellschaft durfte zuhören – im Bagno öffnete man die Seitentüren, damit alle in den Musik­genuss kamen. Die Musik strömte raus aus den Kirchen und Adelshöfen. „Das spiegelt sich in den Melodien wider“, erklärt der Vereinsvorsitzende. Es ging um Schäferträumereien, um idealisiertes Landleben. „Barockmusik hat zuweilen fast Schlager-Charakter, nur mit einem großen Tiefgang.“ Jörg Becker verspricht, dass für das Jahr 2023 die nächsten Stücke in Arbeit sind.   

barocklebt.de

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Schloss Nordkirchen. Foto: Foto Münsterland e.V./Christian Steinweg

Im Rock im Barock-Garten

Alles ist in stetiger Veränderung: So wie aus den trutzigen Burgen des Mittelalters herrschaftliche Wasserschlösser wurden, so haben sich mit der Zeit auch die Gärten verändert: Vom Nutz- und Heilgarten der Burgen ging die Entwicklung über in die streng geometrische Renaissancegärten, die ihre Ursprünge in Italien hatten. Deren Formensprache orientierte sich an der Antike und machte die Gärten zur konstruierten Natur. Im Barock war dann Frankreich das Vorbild, ganz klar, Versailles und der Park. Im Münsterland haben wir mit Schloss Nordkirchen eine kleine Kopie von Versailles. Bevor das Schloss dort stand, gab es die Wasserburg der Familie von Morrien. Als Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg-Lenhausen (1644-1706) das Gut Nordkirchen 1694 erworben hatte, wünschte er sich jedoch ein moderneres Gebäude, Versailles war ihm wohl gerade gut genug als Vorbild. Nach endlosen Planungen, Diskussionen und 30-jähriger Bauzeit schlug der Fürstbischof ein neues Kapitel in Sachen Barocker Lebenslust im Münsterland auf – der Park mit Springbrunnen und Labyrinth (heute nicht mehr vorhanden) galt nach seiner Fertigstellung um 1734 sogar als einer der schönsten Gärten Europas. Der Park formte das Schloss-Ensemble mit Hauptschloss, Fasanerie, Orangerie und mehr zu einer Einheit. Von dieser barocken Gesamtkunst erzählt die Nordkirchener Schlossführerin Birgit Beisch auf ihren Führungen. Um den dazu passenden Lebensstil und den Alltag der Frauen aus dieser Zeit zu verdeutlichen, kleidet sie sich gerne in Prachtkostüme. Gartengerecht ist ihre „Robe à la Polonaise“. Sie ist hinten gerafft, und so kann Birgit Beisch alias Hofrätin Levenhagen den Rock hochnehmen und muss nicht als Laubfänger durch die Schlossanlagen laufen. „Wir müssen uns vorstellen, wie das für die Frauen war: Wie lange sie zum Anziehen dieser Kostüme brauchten, immer musste eine Zofe helfen. Und dann war man mit der Schnürbrust, dem Korsett, den Hüftkörben und den schweren Stoffen derart eingezwängt und beinahe unbeweglich!“ Birgit Beisch stellt sich vieles vor, denn „es gibt wenig sichere Quellen in der 
Literatur, die den Alltag der Frauen in der Zeit beschreiben. Schon gar nicht den einer Hofrätin, die ja in der höfischen Hierarchie nicht ganz oben war.“ Nur eins ist sicher: Der Tag begann morgens in 
der Kapelle: „Das Leben konnte kurz sein, medizinische Möglichkeiten waren beschränkt, der Tod war immer nahe, und da sorgte man mit dem Morgen­gebet vor“. Die düstere Seite des Barocks wird gern übersehen. „Die Barock-Epoche hat ein positives Image und steht für Lebensfreude. Deshalb interessieren sich so viele für diese Themen“, empfindet Birgit Bauch.

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Birgit Beisch alias Hofrätin Levenhage. Foto: Markus Bomholt  

Korsett und schwere Stoffe machten län­gere Spaziergänge im Garten kaum möglich. So saßen die Damen von damals eher auf Gartenbänken – „immer aufrecht: Sie stickten oder schrieben Briefe. Es war wahrscheinlich wahnsinnig langweilig, bis der Tag herum ging“, kann sich die Schlossführerin gut vorstellen. Da passte es gut, dass die barocke Gartenkunst Räume in der Natur und damit Aufenthaltsorte schuf: zum Beispiel die Laubengänge oder Sitznischen. Die Idee war, die Innenräume draußen fortzusetzen. Die Beete wirken mit ihren Ornamentformen wie eine Nachahmung der Spitzendecken auf den Tischen. Damen und Gärten – sie waren da, um das Schloss in Szene zu setzen und zu repräsentieren.   

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