N°130
NIENBERGE –
Münsters Höhepunkt
Münster ist wie ein Puzzle. Viele Teile ergeben ein Ganzes. In Folge 12 dieser Serie stellen wir Ihnen den Stadtteil Nienberge vor. Der Name verrät es bereits: Hier geht es hoch hinaus!
Text CORNELIA HÖCHSTETTER
Wo ist nienberge?
Im Nordwesten der Stadt, jenseits der Autobahn A1 liegt der Stadtteil Nienberge, von zwei Seiten eingerahmt von den Verkehrsachsen der A1 (mit der Autobahnausfahrt Münster-Nord) und der Bundesstraße B54, im Nordwesten verläuft die Altenberger Straße. Im Norden umgeben von Wald und Wiesen des Altenberger Höhenrückens mit Vorbergs Hügel. Im Westen geht’s raus ins Münsterland. Zu Nienberge gehören der Ort Häger (drei Kilometer nördlich von Nienberge-Ortsmitte) und Teile der Bauerschaften von Schonebeck, Uhlenbrock und Dorfbauerschaft. Die nächsten Stadtteilnachbarn sind Gievenbeck und Kinderhaus. Gut 7.000 Einwohner leben in Nienberge. Mit einem Durchschnittsalter von etwa 44,3 (2017) liegen die Nienbergerinnen und Nienberger ein ganzes Stück über dem Durchschnittsalter von Münster. Nienberge habe im Schnitt die ältesten Bewohner in Münster, sagt Bezirksbürgermeister Stephan Brinktrine.
Historisches
Erstmals urkundlich erwähnt wurden Nienberge und Häger im 11./12. Jahrhundert. Laut des Buches Münster und seine Stadtteile der Autorin Ursula Richard Wiegandt geht Nienberge auf eine Abspaltung von Altenberge zurück – Nienberger Höfe lagen am südlichen Abhang des Altenberger Rückens. Das Schichtstufenland (Kalkstein, geologisch wie die Baumberge) hat zwei Berge: den Mühlenberg (um 97 Meter ü.NN) und den Höhepunkt schlechthin: Vorbergs Hügel mit um 98 Meter ü.NN – die Höhenangaben variieren in verschiedenen Quellen. Heute steht Vorbergs Hügel unter Naturschutz. Neben den Bauernhöfen gab es die Adelssitze Haus Uhlenbrock in Häger, Haus Nienberge nahe der Kirche, Haus Uhlenkotten und Haus Vögeding. Wichtige historische Verkehrsverbindungen waren der Horstmarer Landweg und die Straße von Münster nach Burgsteinfurt über Nienberge und Altenberge. 1879 erhielt Häger den Bahnhaltepunkt der Linie zwischen Münster und Gronau.
Bis in die 1950er Jahre änderte sich wenig an der Wohn- und Landwirtschaftsstruktur. Waren es nach dem Krieg um die 1.000 Einwohner, lebten zur Eingemeindung von Nienberge und Häger 1975 nach Münster etwa 3.800 Menschen dort. Im Zuge des Wiederaufbaus entstanden Siedlungshäuser an der Plettendorf-, Ostendorf- und Flamenstraße. Die 1960er Jahren brachten das Wohngebiet an der heutigen Sebastianstraße hervor. Seit 1967 verläuft die Autobahn A1 im Osten an Nienberge und Häger vorbei. Jetzt wuchs Nienberge, es kam das Baugebiet am Von-Schonebeck-Ring auf, ebenso die Wohnhäuser südlich der Hülshoffstraße. Den Lärmschutzwall, das erzählt Bezirksbürgermeister Stephan Brinktrine, bauten Nienberger Privatleute. Ausgerichtet war der Wall auf die zweispurige Autobahn, die heute an der Stelle dreispurig ist. Erste Gewerbebetreibe siedelten sich an der Feldstiege an, wo früher eine Ziegelei stand. Erst war die Altenberger Straße eine Art Ortskern mit Geschäften. Dann öffneten in den 1970er Jahre verschiedene Einzelhandelsgeschäfte an der Sebastianstraße, die heute eine Art Mittelpunkt in Sachen Einkauf, Dienstleistungen und Treff ist. Die Siedlung in Nienberge wuchs nach 2007 weiter am Waltruper Weg/Carl-Neuendorff-Weg. Im Jahr 2002 drehten sich in Häger Münsters erste Windenergieanlagen der Stadtwerke.

Was ist typisch Nienberge?
Bezirksbürgermeister Stephan Brinktrine empfindet Nienberge als spannenden Stadtteil: „Man muss sich vorstellen, dass der erste Strom in den 1930er Jahren kam, und die erste Wasserleitung erst 1960 gelegt wurde.“ Astrid Markmann vom Sportvereinsvorstand des DJK SC Nienberge erinnert sich an ihre Kindheit, als Nienberge durch die Autobahn eingeengt wurde und sich viele wie abgeschnitten von Münster fühlten. „Typisch Nienberge ist, dass man eingekesselt, aber gleichzeitig wie eine eigene Gemeinde ist“. Die Künstlerin Andrea Ottenjann empfindet es ähnlich: „Typisch Nienberge ist das Gefühl, in einem behüteten Raum zu leben.“ Nienberge ist ein typischer Wohn-Stadtteil mit überwiegend Ein- und Zweifamilienhäusern, wobei es rundherum auch einige landwirtschaftliche Höfe gibt.

Wie lebt es sich da?
Astrid Markmann vom SC Nienberge findet, dass für das alltägliche Leben in Nienberge alles ganz gut erreichbar ist. „Was einfach toll ist, dass man immer Leute trifft, die man kennt“, meint sie. Für spezielle Wünsche müsse man zwar in die Stadt, aber da sei man mit dem Fahrrad in 20 Minuten am Domplatz. Auch Uschi Knievel, die sich an vielen Stellen ehrenamtlich engagiert, findet: „Hier kennt man sich eben, man ist sofort im Grünen und die Umgebung ist einfach nur schön!“
Für Kinder im Alter von null bis sechs Jahren existieren in Nienberge und Häger insgesamt fünf KiTas und Kindergarten-Einrichtungen. Die Grundschule Annette-von-Droste-Hülshoff-Schule hat zwei und drei Züge. Kulturelle und schulische Veranstaltungen finden im Kulturforum statt – der Verein Kulturforum Nienberge betreibt den Bau dieses Forums seit 1999 und hat fast alles, was drinnen steht, mithilfe vieler Spenden (fast 80.000 Euro) bezahlt. Außerdem nutzt die Musikschule (siehe bestes Vorzeigeprojekt) auch die Räume der Grundschule. Buslinien des ÖPNV fahren die Innenstadt an. Das Freibad hat 2007 geschlossen. Wer das Schwimmen mag, muss nach Roxel, Kinderhaus oder in die Stadt. Nienberge hat weiterhin einen Löschzug der Freiwilligen Feuerwehr, eine neue Wache wird derzeit gebaut. Zur Infrastruktur gehören zwei Caritas Pflegewohnheime für Senioren. Außerdem hat Nienberge ein buntes Vereinsleben: Eine wichtige Rolle spielt der DJK Sportclub Nienberge mit 1.500 Mitgliedern und großer Sportanlage an der Feldstiege. Weiterhin gibt es unter anderen den Pfadfinderstamm Friedensreiter e.V., den Reit- und Fahrverein
Nienberge, die St.-Jacobi-Schützenbruderschaft, in Häger die Sankt Aloysius Schützenbruderschaft von 1962, den Musikzug Nienberge e.V., den Reit- und Fahrverein Nienberge-Schonebeck oder den Heimatverein mit 177 Mitgliedern. Aktiv ist auch die Katholische Frauengemeinschaft. „Überhaupt wird in Nienberge ehrenamtliches Engagement großgeschrieben und die Vereine arbeiten vorbildlich zusammen“, finden Anneliese Janning und Uschi Knievel. Die Gemeinde St. Sebastian bietet offene Kinder- und Jugendarbeit an. Der evangelische Gottesdienst findet derzeit in der katholischen Kirche statt. Weiterhin hat Nienberge noch ein Orgelmuseum der Orgelbaufirma Friedrich Fleiter und eine Windhunderennbahn. Im Ort verteilen sich Einzelhandel und Dienstleistungen, Handwerksbetriebe sowie verschiedene Lebensmittelanbieter. Es gibt Gastronomie, Apotheken, Metzgerei, Bäckereien, Schreibwaren- sowie Bekleidungsläden.

Rechts: Künstlerin Andrea Ottenjann arbeitet gerne mit lebensfrohen Farben. Foto: Andrea Ottenjann
Wer arbeitet dort?
Neben der klein- und mittelständischen Betriebsstruktur gehören zu den größeren Firmen PVS Westfalen-Nord GmbH, ein medizinischer Abrechnungsdienst der Krankenkassen. Legendär bei Baumarktfans ist Kortenbrede, weil da jede Schraube und noch viel mehr erhältlich ist. Ansässig ist das Familien-Textilunternehmen Prorena mit simply4you. Etwas Besonderes sind die Classic Cars mit internationalen Oldtimern. Weiter gibt es noch unter anderen das Ingenieurbüro GEOlogik, den Pflegedienst Die Pflegefreunde, einen Schnorchel-Tauchshop, ansässig sind das Verkehrsinstitut Münster, das M+B Bekleidungsgeschäft, die Tischlerei Trentmann, Autolackiererei Stiller und viele mehr.
Was wird gefeiert?
Das Erntedankfest auf dem Hof Suttrup mit Gottesdienst und Tanzabend. Der St. Martinszug wird zelebriert. Rock am Turm – am jeweils dritten Septemberwochenende stellen Nienberges Jugendliche ein Musikfestival auf die Beine: mit Hüpfburg, Kaffee, Kuchen und einer Musikshow mit Nachwuchsbands, die bis in die Nacht spielen. Außerdem feiern die vielen Schützenvereine ihre Schützenfeste. Vom 15. bis 17. Dezember 2023 findet der Münsterland Cup statt, die Fußballturniere des SC Nienberge. Es schließen sich vom 27. bis zum 30. Dezember die Junioren-Turniere an. Für den Sportverein ist das der jährliche Höhepunkt und alle kommen gerne zum Zuschauen, weil hier alle Altersklassen am Start sind.
Who is Who?
Der Nienberger Künstler Hilm Böckmann (1932–2020) gehörte zu den zehn Künstlern aus Münster, die als Neue Gruppe Münster 60 und als erste deutsche Künstler ihre Werke in Israel ausstellten. Das war im Jahr 1986, laut den Westfälischen Nachrichten berichteten sogar Zeitungen aus den USA darüber. Aus Nienberge kam ein Politiker, der Zeitgeschichte miterlebte: Helmuth Becker (1929–2011): Er war 1969–1994 Mitglied des Deutschen Bundestages, unter anderem von 1990 bis 1994 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Bezirksbürgermeister Stephan Brinktrine erzählt, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt nach Münster-Nienberge kam, um Helmuth Becker zum 47. Geburtstag zu gratulieren. Brinktrine erzählt weiter: „Helmuth Becker war am 9. November 1989 mit Helmut Kohl auf Staatsbesuch in Warschau. Er sei aufgewacht, weil im Hotel jemand die deutsche Nationalhymne sang. Als er in die Lobby kam, riefen die Journalisten: ‚Die Mauer ist offen‘“. Eine prominente Nienbergerin war Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848), Dichterin, Lyrikerin und Komponistin. Sie lebte mit Mutter und Schwester auf Haus Rüschhaus (ihrem „Schneckenhäuschen“) und schrieb dort die Novelle Die Judenbuche.

Fotos: Archiv Stephan Brinktrine
Ab ins Grüne
Das Naturschutzgebiet Vorbergs Hügel ist ein beliebtes Spazierziel. Durch Nienberge fließen der Nienberger Bach, die Aa und die Hunnenbecke mit ihren grünen Bachufern. Wenn denn mal Schnee fällt, wird der Rösteberg zum Rodelhang. Und Nienberge hat einen eigenen „Bank“direktor: Winfried Dahlhaus hat 13 Sitzbänke mit Motiven gebaut und im Grünen aufgestellt: eine Schlumpfbank, eine Eulenbank, eine Lärmschutzbank – Google Maps kennt sogar seine „Pferde-Bank“ nahe an Vorbergs Hügel.

Das schönste Haus oder Gebäude?
Haus Rüschhaus, das sich der Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun 1748 als Sommersitz baute und später das Zuhause der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff wurde. Heute ist dort das Center of Literature untergebracht und es finden regelmäßig Kulturveranstaltungen statt – zu besichtigen sind die Räume, unter anderen Annettes Schreibstube, und natürlich der Garten!

Bestes Vorzeigeprojekt
Nienberge hat eine eigene Musikschule. Diese wurde 1974 von Anneliese Janning und dem inzwischen verstorbenen Dr. Bernold Bendel gegründet – nächstes Jahr steht das 50jährige Jubiläum an. Anneliese Janning erzählt: „Ich war Mutter von kleinen Kindern und wollte, dass sie mit Musik groß werden. So hatte ich andere Eltern angesprochen und vor der Eingemeindung nach Münster realisierten wir die Musikschule in Nienberge mit musikalischer Früherziehung für die Kleinsten bis zu Angeboten für die älteren Menschen.“ Bis zum Bau des Kulturforums spielte die Musikschule ihre Musicals im Wirtshaus Zur Post. Unterricht findet in der Grundschule, im Kulturforum, im Pfarrzentrum Nienberge und in neun anderen Schulen in der Stadt statt. Anneliese Janning ist die Geschäftsführerin der Musikschule und initiierte auch vor 24 Jahren den Verein Kulturforum. Die Musikschule hat rund 1200 Schülerinnen und Schüler und veranstaltet alle zwei Jahre ein Musical. Auch zum Beispiel Kammermusik im Haus Rüschhaus oder unterschiedlichste Veranstaltungen, Workshops, Podiumsdiskussionen, Konzerte, Ausstellungen und mehr.
Ein anderes Projekt: Die Rhönradgruppe im SC Nienberge: Um 1980 zog eine Familie aus Frankfurt nach Nienberge und die Tochter wollte Rhönrad turnen – ein Sportgerät aus zwei Reifen mit Sprossen verbunden. Der Sportler stemmt sich mit Händen und Füßen in den großen Reifen und bringt ihn durch seine Körperspannung zum Drehen und Fahren. Inzwischen hat der Sportverein etwa 20 Rhönräder, eine eigene Abteilung ist entstanden und es gibt abgesehen von den 40 aktiven Kindern eine lange Warteliste. Alle zwei oder drei Jahre finden in Nienberge auch Wettkämpfe statt.
Essen und Trinken
Traditionell isst man im Wirtshaus Zur Post, schick und gut ist es in der Herzdame an der Kirche, italienisch schmeckt es bei Dalla Mamma. Weiterhin gibt es noch den Nienberger Grill, Franz Küche, La Medya, das Café Schrunz, das Restaurant Hüerländer und die Eisdiele von Silvano Fontana.

Größtes Problem?
Manches fehlt einfach in Nienberge: ein echter Ortskern, ein zeitgemäßer Lärmschutz an der Autobahn oder direkte Busanbindungen nach Kinderhaus und Roxel. Der Radweg in die Stadt hat am Wäldchen bei Wilkinghege keinerlei Beleuchtung, was in den winterlichen Spätnachmittagsstunden zu einer düsteren Angelegenheit wird.
Warum sollte man Nienberge unbedingt besuchen?
Es gibt viele Gründe: den Hochzeitswald bei Haus Rüschhaus , der Speckbrettplatz, das Maislabyrinth im Sommer oder die Kürbiskollektion von Familie Stertmann an der Altenberger Straße. Künstlerin und Einzelhändlerin Andrea Ottenjann sieht „Nienberge als ein Ziel zum Erlebniseinkauf, weil es hier viele unterschiedliche schöngeistige Produkte gibt.“ Damit meint sie zum Beispiel den familieneigenen Concept Store Langemeyer Ottenjann, den inzwischen ihre Tochter Nina-Kim Langemeyer übernommen hat. Daran schließt sich Andrea Ottenjanns Galerie mit rund 200 Werken und einem Flügel („Besucher dürfen gerne spielen!“). In Nienberge ist das Strandhaus mit italienischer Mode bekannt und beliebt bei Münsteranern, ebenso wie das Modehaus M+B Münsterkötter oder das Wäsche- und Dessous-Fachgeschäft Prorena Simply4you. Dann wäre da noch Andrea Wommelsdorf&Schmidt mit Inneneinrichtungen und Dekoration, das Geschäft Faszination Wolle von Brigitte Keller oder der Blumenhof Kumbrink, nicht zu vergessen für Pferdefreunde Reitsport Wohlhorn.
Zukunftspläne
Derzeit wird in Nienberge die neue Feuerwache gebaut. Gegenüber dem Supermarkt K+K entsteht auf dem Grundstück der Kirchengemeinde ein Gebäudekomplex mit einem Raum für die evangelische Kirche sowie Wohnungen und Räume für Arztpraxen. Im Stadtteilentwicklungskonzept Nienberge sind zwei Wohnbaugebiete vorgesehen: Am Waltruper Weg weist der Flächennutzungsplan fünf Hektar für etwa 175 Wohneinheiten aus, und in Nienberge-West an der Feldstiege etwa 20 Hektar für 500 bis 700 Wohneinheiten. Beschlossen sind auch eine Art Stadtteilzentrum oder Haus der Begegnung, mit Räumen für Veranstaltungen. Erst war von einem Baubeginn 2024/2025 die Rede, das könnte sich aber weiter verschieben, weil man eine neue Idee für die Entwässerung brauche. Laut Pressemitteilung wird es eine neue Bike-Anlage zwischen Nienberge und Kinderhaus auf dem ehemaligen „Landfahrerplatz“ an der Steinfurter Straße/Ecke Vorbergweg geben: mit Dirtpark und Pumptrack. Die Umgestaltung der rund 2.500 Quadratmeter großen Fläche zwischen Nienberge und Kinderhaus soll im kommenden Jahr erfolgen. Die neue Freizeitsportanlage mit Geländefahrstrecken für Mountainbiker und BMX-Fahrende soll vor allem Kindern und Jugendlichen aus Nienberge und Kinderhaus einen neuen Ort für Bewegung und Sport bieten.