MÜNSTER! Magazin

An der Waldkugelbahn in Mettingen sind nicht nur die Holzkugeln ständig in Bewegung. Theo (3) ist schon so etwas wie ein Profi im Waldkugeln. Foto: Jörn Schumacher

N°141


Dem Waldspass einen Schubs geben

Im Wald spielen und frischeLuft schnappen wird jetzt im Münsterland noch etwas aufregender: Die Waldkugelbahn im Köllbachtal bei Mettingen lockt seit einigenMonaten Familien aus dem ganzen Land an. Ein Besuch beim etwas anderen„Waldbaden“.

Text JÖRN SCHUMACHER


„NOCHMAL?” Mutter Anja kennt die Antwort ihres kleinen Theo bereits. Der sagt zwar nichts, aber seine Antwort ist eindeutig: Wie auf ein Stichwort rennt er los, zurück zum Startpunkt der Waldkugelbahn, der etwa 200 Meter weiter oben liegt. Eine Holzkugel hält der Dreijährige dabei in seiner kleinen Hand umklammert, er hat sogar eine zweite in der anderen. „Die Holzkugelbahn ist fantastisch”, schwärmt Theos Mutter. „Sie ist kostenlos. Die Kinder stehen drauf. Alle kommen an die frische Luft, das ganze Jahr über, es gibt keine Öffnungszeiten.” Anja und Theo sind extra aus Osnabrück ins 25 Kilometer entfernte Mettingen gekommen. Genau wie gestern schon. Und wie morgen wahrscheinlich auch wieder. Da ist jemand süchtig geworden. 

MÜNSTER! Magazin
Foto: Jörn Schumacher

Es reicht, die Kugel in das Startloch zu werfen, der Rest ist reinste Magie aus Tischlerhandwerk und Schwerkraft. Während die Sonne helle Strahlen durch das grüne Laubdach schickt, rollt die kleine Holzkugel leise die Bahn hinab. Mal beschleunigt sie, dann wieder klackert sie sich über ein Brett mit aufgeschraubten Holzwinkeln, wo sie sich hin und her wirft. Immer wieder jauchzen Kinderstimmen durch den Wald. Vielleicht ist mal wieder eine Kugel in der geschnitzten Holz- Schale am unteren Ende der Bahn angekommen? Plötzlich stapft ein kleines Mädchen weinend und mit hochrotem Kopf den Abhang hoch. Da ist wohl eine Kugel verlorengegangen … Zwischendurch schreitet ein älterer Herr ganz allein gedankenverloren die Bahn ab, sein Blick weicht nicht von seiner Kugel, die gerade ein wenig Geschwindigkeit aufnimmt und auf eine Spirale zurollt.

MÜNSTER! Magazin
Die erste Holzkugelbahn des Münsterlandes wurde im April 2024 eröffnet – und seitdem lockt sie Familien von überall an. Foto: Jörn Schumacher

EINE RUHIGE KUGEL SCHIEBEN? ODER EIN RENNEN STARTEN! 

Im April 2024 haben die Mitglieder der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) in Mettingen die erste Holzkugelbahn des Münsterlandes gebaut. Und das in nur 72 Stunden. Das Projekt war Teil der Sozialaktion „72 Stunden” des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die alle paar Jahre stattfindet und „die Welt ein Stückchen besser machen soll“, so das Motto. In Absprache mit der Gemeinde Mettingen und den Besitzern des Waldgrundstücks bauten 30 bis 40 Ehrenamtliche die Waldkugelbahn im nördlichen Münsterland auf. 

Wie oft Theo bereits hier im Wald seine Kugeln über die Holzplanken auf Reisen geschickt hat, hat sie nicht mehr mitgezählt, sagt seine Mama Anja. Anja und Theo sind schon Profis. Sie haben sich in einem großen Rucksack ausreichend Proviant für den Waldkugelsport mitgebracht. Theo perfektioniert derweil seine Technik. Um die Spannung zu erhöhen, stoppt er seine Kugeln vor anstehenden „Schikanen”, also Abschnitten, auf denen eingebaute Holzwinkel den Kugellauf ein wenig durcheinanderbringen. Hier ist Überholen erlaubt und erwünscht! Kinder, die schon etwas älter sind, machen aus dem Kugelspaß einen Wettbewerb. Viele haben ihre Holzkugeln angemalt. Richtige Prachtexemplare rollen da durch den Wald, gepunktete, in grellen oder gedeckten Farben. Auch Theo hat eine seiner Rennkugeln hellblau angemalt, die andere nennt er einfach nur „die Helle mit Dreckflecken”.

MÜNSTER! Magazin
Wer will, kann seine Kugel selbst verzieren. Foto: Jörn Schumacher
MÜNSTER! Magazin
Die Kugeln laufen mal schneller, mal langsamer und durch so manches Hindernis wie diese geschnitzte Spirale. Foto: Jörn Schumacher

DAS GROSSE WALDKUGELN

Dreckig werden die Kugeln früher oder später alle. An einer Stelle, am Ende einer von einem Künstler geschnitzten schönen Spirale, hopst fast jede Kugel aus der Schiene. Dann hüpft sie über den Waldboden und scheint von da an ein Eigenleben zu entwickeln, schnell sucht sie sich ihren Weg über das Laub und die Erde. Die erfahrenen Wald- Kugler kennen diese gefährliche Kurve schon, sie halten im richtigen Moment die Hand auf oder helfen den Neulingen des Waldkugelsports, verloren gegangene Kugeln wiederzufinden. Das wiederholte Hoch- und Runterlaufen kann schon den Atem rauben. Die Japaner kennen das entspannte „Waldbaden”, die Münsterländer praktizieren jetzt das große Waldkugeln.

MÜNSTER! Magazin
Mit einem 50-Cent- Stück am Automaten eine Holzkugel ziehen, der Rest ist reinste Magie aus Tischlerhandwerk und Schwerkraft. Foto: Jörn Schumacher

EINMAL 50 CENT – STUNDENLANGER WALDSPASS 

„Hat mal jemand 50 Cent?”, fragen regelmäßig Mütter und Väter die anderen Erwachsenen, die an der Bank am Startpunkt kurz mal durchschnaufen. Ehemalige Kaugummiautomaten spucken gegen eine Münze die tischtennisgroßen Holzkugeln aus. Ungefähr 22.000 Kugel seien bereits durch die Automaten gegangen, weiß Luca Kessling, einer der Hauptverantwortlichen des Projektes. Bestellt habe man sie bei einem Internet-Versand.

Als im Sommer jemand auf Instagram Fotos der neuen Waldkugelbahn postete und damit im Nu über 500.000 Likes bekam, nahm der Andrang an der Wald-Bahn schlagartig zu, berichtet Kessling. Ein zweiter Automat musste her. Zweimal in der Woche kommt jemand von der KLJB vorbei und schaut nach dem Rechten, leert die Münzen und füllt neue Holzkugeln nach. Wer möchte, kann seine Kugel mit nach Hause nehmen, edle Spender können sie aber auch in eine Box am Ende der Bahn werfen. Dann können auch Waldkugler mitspielen, die gerade keine 50 Cent parat haben.

Start der etwa 120 Meter langen Bahn ist am Marienbrünneken am südlichen Rand von Mettingen. Die Gemeinde Mettingen ist „komplett begeistert” von der Bahn, berichtet Kessling, sie empfiehlt, den Besuch mit einer Waldwanderung durchs Köllbachtal zu verbinden: die Stille des Waldes in sich aufnehmen, Sauerstoff tanken, den Blutkreislauf im nahegelegenen Wassertretbecken ankurbeln, die Bäume des Mischwaldes kennenlernen. An den Waldrand grenzt eine Wohnsiedlung, deren Anwohner befürchten gerade, dass zu viele Besucher ihre Autos in der Siedlung abstellen. Um die Anwohner und die Natur zu schonen, bittet die Gemeinde daher darum, den großen Parkplatz im Ortskern zu nutzen und die restlichen 15 Minuten zu Fuß zu gehen.

MÜNSTER! Magazin
Die Waldkugelbahn entstand als Projekt der sozialen „72-Stunden“- Aktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Foto: KLJB Mettingen

BAUZEICHNER UND TISCHLER HABEN GEHOLFEN 

Schon das Entwerfen der Bahn habe großen Spaß gemacht, sagt Kessling. Kessling ist selbst gelernter Bauzeichner, jetzt studiert er Bauingenieurwesen an der Universität Münster. Außerdem halfen ein Zimmermannsmeister und zwei Tischler. Die Kosten für den Bau trug die Gemeinde Mettingen, die (geringen) Einnahmen über den Kugelverkauf fließen direkt in die Reparatur und in die Anschaffung neuer Kugeln. Theo und Anja haben derweil einen kleinen Boxenstopp bei ihrem Rucksack eingelegt. Theo mümmelt an einem Butterbrot, sein Blick ist aber auf die Bahn gerichtet. „Was fehlt, sind Toiletten”, sagt Anja. „Und ein Kiosk wäre natürlich auch nicht schlecht.” Dann frage ich den kleinen erfahrenen Waldkugler: „Willst Du denn gleich nochmal?” Die Betonung liegt auf „nochmal“. Der hält abrupt im Kauen inne und schaut mich an, als hätte ich gerade eine sehr, sehr doofe Frage gestellt. Das halb angegessene Butterbrot wirf er achtlos in Richtung Brotdose, gibt seinem rechten Bein einen Schwung und schon ist er von der Holzbank gesprungen und rennt zum Startpunkt. Wie zig Male vorher klettert er wieder auf das Trittbrett des Start-Podests und ertastet mit seiner Kugel das Loch für den Start, er wartet, als ginge er das Folgende noch einmal im Kopf durch. Ein Schubs, und die Kugel geht wieder auf Reisen. Ob die beiden erfahrenen Waldkugler noch einen Tipp für mich haben?, frage ich sie zum Abschied. „Immer genügend 50-Cent-Stücke mitbringen.” Und vielleicht Filzstifte.

MÜNSTER! Magazin
Foto: Jörn Schumacher

Die Waldkugelbahn

  • Länge der Holzkugelbahn: 120 Meter 
  • Vor Ort können Holzkugeln für 50 Cent aus einem Automaten gekauft werden
  • Zum Schutz von Umwelt und Anwohnern wird der Parkplatz im Ortskern Mettingen empfohlen, Adresse für das Navi: Kardinal-von-Galen-Str. 1, 49497 Mettingen
  • Der Bahnhof Ibbenbüren ist ca. 9 km entfernt und wird regelmäßig von Regionalzügen aus Bad Bentheim, Bielefeld und Osnabrück angefahren.
  • Die Waldkugelbahn liegt an einem Hang und ist daher für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen schwer zu erreichen