MÜNSTER! Magazin

Maike Denkers Tochter Mina entdeckt ganz selbstverständlich gemeinsam mit ihrer Mutter die Naturräume Münsters und wird so auch Teil der Prozesse. „Raus geht immer“, lächelt Maike Denker, auf den Einfluss der Pandemie auf das Leben der Kinder angesprochen. Foto: Michail Stamm

Februar 2022 N°110


Dem Kreislauf der
Natur auf der Spur

Naturbetrachtungen faszinieren und inspirieren die Künstlerin Maike Denker, sie prägen ihre Arbeiten auf unterschiedlichste Weise. Darum wundert es uns nicht, dass die 39-Jährige jeden einzelnen Tag bei Wind und Wetter mit einer Stunde in der Natur beginnt. 

Text Britta Heithoff


Maike Denker schaut sehr genau hin, wenn sie durch Wiesen streift, Bäume beobachtet und deren Früchte sammelt, wenn Wind durch Gräser streicht und  Äste den Weg versperren. Ganz besonders nimmt die Künstlerin, über deren Arbeiten wir bei einem Besuch der Offenen Ateliers im Speicher II im Hafen stolperten, die komplexen und ineinandergreifenden Kreislaufsysteme der Natur unter die Lupe.

Auch wenn vielen ihrer Werke für uns als unkundige Betrachter eine leichte Selbstverständlichkeit anhaftet, ist deren Entwicklung oft akribisch und von filigraner Konzentration geprägt. Nichts daran ist schnell, die Wege von der ersten Inspiration bis zum Ergebnis sind oft Langlaufprojekte oder gar Geduldsproben, manchmal auch über Umwege – nehmen wir etwa das Werk Door (oben): Was hier anmutet wie eine in Perfektion ausgesägte U-Boot-Klappe, ist das Werk des asiatischen Samenkäfers. Maike Denker hatte in Münsters Botanischem Garten die ledrigen Schoten der Gleditschie gesammelt und in ihrem Atelier zur weiteren Verwendung gelagert. Eines Tages fand sie ihren Arbeitsort übersät mit kleinen Käfern: Diese hatten sich in mühevoller Kleinarbeit aus den Schoten gesägt und waren über die geöffneten Klappen zu Mitbewohnern im Atelier 4.2 des Speichers geworden. Mehr noch, die Arbeiten, die sie aus den Samen entwickelte, beansprucht sie nun nicht nur für sich allein, sie schreibt diese auch ihren „Koproduzenten“, den Samenkäfern, zu. Diese hatten nun auf ungewöhnliche Weise ins Atelier gefunden und wurden durch die Künstlerin und das geöffnete Fenster wieder in ihre Freiheit entlassen. Aus Asien über Pflanzen eingeschleppt, fühlen sich die Käfer übrigens dank der Veränderungen durch den Klimawandel auch in Münster wohl. Sie sind zwar fremd, aber fügen sich ein. Das lässt bildreiche gesellschaftliche Vergleiche zu.

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Grid – Rispengras, Weidelgras, Mauergerste und andere Gräser im Luftzug, 120   80 cm, 2021 Foto: Maike Denker
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Door aus der Serie Koproduktion mit Samenkäfer, C-Print, 2019 Foto: Maike Denker

Dieses Aufnehmen der natürlichen Metamorphosen ist vielleicht auch ein bisschen typisch für die Offenheit der Künstlerin, Veränderungen anzunehmen: Als nach dem ersten Lockdown die Ateliers im Speicher II wieder für eine offizielle Veranstaltung öffnen durften, faszinierte diese Wandinstallation (oben) aus in einem Raster formierten Gräsern die Besucherinnen und Besucher. Aus Hygienegründen mussten an diesem Abend die Fenster und Türen konsequent geöffnet bleiben: Das verstärkte die verzaubernde Wirkung der natürlichen Werkstoffe bei dieser Arbeit. Das konsequente Lüften als Merkmal unserer Zeit wurde über den so entstehenden leichten Wind im Atelier zum Merkmal für das Werk, das auch auf Veränderungen in der Natur hinweist: „Unsere heimischen Wiesen gehören zu den artenreichsten Ökosystemen. Pflanzen, Insekten und Mikroorganismen leben hier in einer Symbiose und sichern sich gegenseitig das  Überleben. Die Fläche der artenreichen Wiesen nimmt seit 50 Jahren dramatisch ab. Die intensive Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und die Klimakrise sorgen dafür, dass die Wiese als Lebensraum beginnt zu verschwinden“, heißt es in Denkers Portfolio zu ihren Arbeiten mit Gräsern. Die Nachhaltigkeits- und Biodiversitätsdiskussionen sind plötzlich automatisch ganz nah, wenn wir uns mit Denkers Kunst beschäftigen. Und die Künstlerin ist glücklich, in Münster zu leben, wo etwa die  ökologisch vielfach ausgezeichneten Rieselfelder einen lebendigen Gegenpol zur allgemeinen Entwicklung bilden.

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Archetypes, Bronzegüsse einiger Moose und Flechten auf Rinde und Zweigen, 2021 Foto: Maike Denker

Gräser haben eine  ästhetische und gestalterische Kraft“, so Maike Denker, „ ich bewundere auch ihre Stabilität, die im scheinbaren Widerspruch zur filigranen Struktur steht. So können wir Landschaftsbilder beobachten, in denen sich Gräser und Felder im Wind bewegen und fast kontemplative Wirkung entfalten.“ Wir können nachvollziehen, was die Künstlerin meint. Und sehnen den Sommer herbei für genau diese Effekte. Auch das Material der klassischen Bildhauerei, Bronze, kommt bei Maike Denker, die ihr Studium der Bildenden Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig absolvierte (2009–2016) und zuvor ein Studium für Kommunikationsdesign an der FH Münster (2004–2009) zugrunde legte, zum Einsatz. Im Maßstab 1:1 verwandelt sie Fundstücke aus der Natur zu Bronzegüssen (Seite 18). Hierfür werden die Originalteile von Pflanzen mit einer Mischung aus Bienenwachs und Glyzerin ummantelt und dann eingebettet, schließlich werden sie herausgebrannt und zerfallen zu Asche. Der frei gewordene Raum wird mit Bronze einmalig ausgegossen. So entstehen Unikate, die die eigentlich mehr oder weniger schnell vergängliche Schöpferkraft der Natur in die Zukunft tragen. Etwa als bronzener Zweig, als metallene Schote, als fein glitzernder Halm …

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„Mich beschäftigen interdisziplinäre Sichtweisen auf das Miteinander zwischen Mensch, Pflanze und Tier: Die Wechselbeziehungen, Symbiosen und Abhängigkeiten. Ich glaube an eine universelle Verbindung zwischen den Dingen, die uns umgeben. Etwas Größeres, von dem wir als Menschen immer nur ein Teil sein können“, so Maike Denker, die 2022 auch bei den Hafengesprächen der Freunde des Museums für Kunst und Kultur zu erleben sein wird. Das Bild zeigt ihr Naturalienkabinett im Atelier 4.2 im Speicher II im Hafen. Foto: Maike Denker