MÜNSTER! Magazin

Winteridyll: Vorne tragen die Ufer-Häuser weiß, im Hintergrund wird die Turmspitze der Kirche St. Clemens sichtbar. Foto: Stadt Telgte

Februar N°110


Zu Besuch bei Münsters kleiner Schwester

Sie ist charmant, hübsch und ganz sch n alt. Telgte, die kleineSchwester Münsters, hat immerhin schon 1.200 Jahre auf dem Buckel.Heute präsentiert sich die Kleinstadt an der Ems jedoch lebendiger denn je. Jährlich besuchen etwa 400.000 Gäste den Wallfahrtsort mit seinem gemütlichen Marktplatz, den kleinen Geschäften und der gut erhaltenen Altstadt. Auch das MÜNSTER! Magazin begab sich auf Telgte-Tour.

Text Katrin Jäger


Die Entspannung beginnt schon bei der Anreise. Telgte liegt nur gut 13 Kilometer von Münster entfernt. Jede Stunde fährt ein Zug, Autofahrer können gratis parken und – was die nachhaltigste Wahl ist – ein sehr schöner Radweg (die Friedensroute) führt in einer knappen Dreiviertelstunde über die Pleistermühle zum Ziel. Vor Ort kann man sein Fahrrad getrost am Marktplatz stehen lassen; denn die Wege sind kurz. Zu Fuß  kann man die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auf einer 2,5 Kilometer langen Rundtour erkunden. Diese nennt sich KulturSpur und rote Pflastersteine weisen den Weg an insgesamt 30 Stationen vorbei und leiten die Besucherinnen und Besucher auch in entlegene Winkel und Orte der Altstadt, die sonst vielleicht verborgen blieben. Wer mag, kann sich vorab eine Gratis- Broschüre bei der Touristen-Information (tourismus@telgte.de, 02504/690100) bestellen oder vor Ort abholen (Kapellenstraße 2).

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Unumstrittener Mittelpunkt Telgtes ist der Marktplatz mit seinen Restaurants und Cafés sowie dem Ausrufer aus Bronze. 
Foto: Katrin Jäger
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Die Gnadenkapelle ist alljährlich das Ziel tausender Gläubiger, die auf der Fußwallfahrt von Osnabrück nach Telgte pilgern. Schon von weitem weist der goldene Engel mit Strahlenkranz den Weg. Foto: Stadt Telgte

FEST VERANKERTE RELIGIOSITÄT

 PrÄgend für die Altstadt und sinnbildlich für die fest verankerte Religiosität ist der so genannte Telgter Dreiklang. Das Gebäudeensemble besteht aus Wallfahrtskapelle, Propsteikirche St. Clemens und Museum REliGIO. Es ist nicht umsonst das Postkartenmotiv Nummer eins. Jedes Jahr pilgern Tausende Gl ubige zur sogenannten Schmerzhaften Mutter Gottes, die ihren gestorbenen Sohn Jesus auf dem Schoß  hält, um von ihr Trost zu erbitten. Sie ist in der Gnadenkapelle zu finden. Architekturfreunden wird das moderne Gebäude des REliGIO auffallen. In den großen Fassaden-Fenstern spiegeln sich die benachbarten Barockgebäude und der Museums-Altbau aus dem 16. Jahrhundert. Die Pläne zum gradlinigen Kubus, der Historisches mit Neuem verbindet, stammen vom Architekten Paul Kleihues. Das Museum ist spezialisiert auf das religiöse Leben, sakrale Kunst und es beherbergt eine besondere Kostbarkeit: das Telgter Hungertuch von 1623, das auch liebevoll „Smachtlappen“ genannt wird und von Telgter Burgmannsfrauen während des 30-jährigen Krieges genäht wurde.

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Die Ems fließt mitten durch Telgte. An ihrem Ufer kann man lange Spaziergänge unternehmen und so schöne Wasser-Spiegelungen wie diese entdecken.
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Im Neubau des Museums RELiGIO spiegelt sich die Gnadenkapelle und das ehemalige Heimathaus in der modernen Glasfassade. Im Vordergrund wacht die dreieinhalb Meter große Bronzeplastik von König Melchior über das Haus (Künstler: Berhard Kleinhans). Foto: Simon Thieringer
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Kurze Wege in die Telgter Altstadt. Dieser hier führt entlang des Museums Richtung Kirche St. Clemens. Foto: Siegfried Becker

Graffiti trifft Grass 

Die Günter-Grass-Brücke am Busparkplatz (Emstor 5) war einmal eine unscheinbare, graue Umflutbrücke. 2021 ist sie zur farbgewaltigen Hommage an den Literaturnobelpreisträger geworden. Durch sein 1979 erschienenes Buch "Das Treffen in Telgte" ist Grass für immer mit dieser Stadt verbunden. Diese Verbundenheit ist durch die Kunst des Graffiti-Kollektivs Die Jungs – Wandgestaltung bildhaft und greifbar geworden. Der auf den Beton aufgebrachte Satz „Gestern wird sein, was morgen gewesen ist“, hat seinen Ursprung übrigens in Günter Grass‘ Erzählung. Die berühmten Grass-Federzeichnungen von Händen sind die zentralen optischen Elemente. Abstrakte und florale Formen ergänzen das Gesamtbild. Nicht weit von der Günter-Grass-Brücke entfernt (Emsstraße 25) liegt übrigens die Gaststätte Im Wilden Mann. Sie diente Grass als Vorbild für den Gasthof Brückenhof, der in seinem Buch den zentralen Handlungsort darstellt. Grass war während der Recherchen zu seinem Werk und auch noch nach der Veröffentlichung  öfter zu Gast in Telgte.

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Foto: Siegfried Becker

Eine kleine Winterwanderung inklusive 

Gleich in Rathausnähe beginnt der Emsauenpark. Hier hat die Stadt in den letzten Jahren auf den Ausbau einer ursprünglichen Auenlandschaft gesetzt, und so sind hier wertvolle Biotopstrukturen und Kleingewässer gleich neben dem Emsufer entstanden. Auch im Winter ist hier ein herrliches Wanderrevier. Wer eine Runde drehen will, startet am besten auf der rechten Uferseite, neben dem Rathaus. Nach ca. 100 Metern entlang des rechten Emsufers steht ein Hinweisschild mit mehreren Routenvorschlägen, die zwischen drei und vier Kilometer lang sind. Auch wer gerne längere Wanderungen machen möchte, kann Telgte gut als Ausgangspunkt nutzen. Auf der Website der Stadt und in der Touristen-Information gibt es insgesamt sieben ausgearbeitete Gratis-Wandervorschläge, die allesamt in Telgte starten und wieder enden. Sie sind zwischen einem und 19 Kilometer lang. Kostenfreie Wanderkarten über tourismus@telgte.de per Mail anfordern oder zum Download unter telgte.de

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Foto: Simone Thieringer

BUMMELSPASS STATT MASSENWARE 

Wer durch Telgte bummelt, bekommt viel auf wenig Wegstrecke: Es gibt rund um den Marktplatz und in den angrenzenden Altstadtgassen noch inhabergeführte Geschäfte mit individuellem Angebot. Historische Gasthäuser, Cafés und Eisdielen laden zur Pause ein. Scheint die Sonne, stellen die Gastronomen Tische und Stühle auf den Marktplatz. Im Sommer mutet das manchmal fast mediterran an, doch auch im Winter sitzen Menschen in Decken gehüllt auf dem Lieblingsplatz der Einheimischen und Gäste.

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Lebendig und quirlig: Wenn die Wirte im Sommer die Stühle und Sonnenschirme aufstellen, kommt in der westfälischen Kleinstadt fast schon mediterrane Stimmung auf.

KUNSTGUCKEN UNTER FREIEM HIMMEL 

Kunstinteressierte bekommen quasi im Vorbeigehen jede Menge zu sehen. Zehn Bronze- und Sandsteinfiguren des Bildhauers Jörg Heydemann sind über die gesamte Altstadt verteilt. Die bekannteste Skulptur stellt einen lebensgroßen Ausrufer dar. Bei Wind und Wetter tut der Mann aus Bronze seine „Pflicht“. In seiner Hand hält er – wie es früher üblich war – ein Bekanntmachungspapier, in der anderen eine Glocke. Beides ebenfalls aus Bronze gegossen. Viele Touristen machen hier ihre Erinnerungsselfies. Die Kreuzwegfiguren von Heinrich Gerhard Bücker sind nicht nur für Gäubige einen Blick wert. Zumal der Weg idyllisch nicht weit von der Ems entfernt liegt, die mitten durch Telgte fließt. Im Sommer stehen hier und da die lebensnahen Betonfiguren der Künstlerin Christel Lechner im Stadtbild. Für Freunde moderner Kunst gibt es auch eine Anlaufstelle: Seit 2006 steht im Mittelpunkt des Telgter Kreisels (Wolbecker Straße 8) eine rote, auf den Kopf gestellt Eiche. Der in New York lebende Künstler Josef Zutelgte nimmt mit dieser Skulptur Bezug auf das Stadtwappen, das eine junge Eiche zeigt. Denn: Telgte leitet sich von Telge ab. Und Telge ist ein altes Wort für kleine Eiche, Zweig oder Sprössling. Und das klingt doch fast so wie „kleine Schwester“…

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Die Skulptur Der Ausrufer steht auf dem Marktplatz. Sie erinnert an Heinrich Sauerland, den letzten offiziellen Stadtausrufer von Telgte. Geschaffen hat sie Professor Jörg Heydemann. Foto: Simone Thieringer
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Der in New York lebende Künstler Josef Zutelgte schuf die Skulptur der auf dem Kopf stehenden roten Telge. Der Name der Stadt leitet sich aus dem Wort Telge ab, was kleine Eiche bedeutete. Foto: Simone Thieringer