N°143
Lebenstraum:
ACKERN UND TEILEN
Der große Traum liegt manchmal direkt vor den eigenen Füßen. Doch trotzdem kann es noch eine ganze Weile dauern, bis wir ihn wahrnehmen können. Sarah Hoffmanns und David Büchler haben ihren persönlichen Lebenstraum mit ihrem ökologischen Landwirtschaftsprojekt Biolee in Münsters Westen gefunden. Doch danach sah es lange nicht aus.
Text veit christoph baecker
Nein – ganz hatten Sarah Hoffmanns (31) und David Büchler (34) die Hoffnung noch nicht aufgegeben, einen eigenen Hof zu bewirtschaften. Darum waren sie ja auch zum Studium der ökologischen Landwirtschaft nach Witzenhausen bei Kassel gegangen. Hatten sich dort kennen- und lieben gelernt und diesen, nun gemeinsamen, Traum formuliert.
Doch nach rund 30 erfolglosen Kontakten zu Landwirten, die ihren Betrieb eigentlich abgeben wollen, siegte erst einmal die Vernunft. „Wir haben uns dann darauf verständigt, dass wir uns erstmal einen anderen Job suchen müssen“, blickt David zurück.

Kreative Wohnungssuche
Als dann die Zusage für berufliche Optionen von der Landwirtschaftskammer Münster kam, war klar, wo für beide der Lebensmittelpunkt der kommenden Jahre liegen würde. Die Domstadt kannten sie nur flüchtig, Sarah stammt aus Kleve und David aus Marburg. Also standen sie vor einer neuen Herausforderung – schnell eine Wohnung zu finden. „Wir haben dann in der Stadt Zettel mit »Fritten suchen Bude« aufgehängt“, berichtet Sarah. Der erste Anruf kam vom Gesundheitsamt. Ob denn überhaupt eine Erlaubnis bestehe, viele Menschen bei einer Party mit Pommes Frites zu versorgen, wurde gefragt. Denn für die Vermittlung einer Wohnung hatte das Paar diese kulinarische Gegenleistung in Aussicht gestellt. „Da konnten wir gleich beruhigen, alle erforderliche Zertifikate liegen vor. Denn schon als Studierende haben wir in Kassel ab 2018 einen Stand mit Bio-Pommes betrieben – damals noch mit zugekauften Waren“, berichtet David.


Im Westen was Neues
Schon einer der nächsten Kontakte brachte den erhofften Erfolg: „Seither wohnen wir auf der ehemaligen Hofanlage der Familie Richter, wo mehrere Einheiten eine gute Nachbarschaft bilden.“ Am Dingbänger Weg in Münsters Westen, idyllisch im Grünen und gleichzeitig nah an der Innenstadt, liegt die Anlage, die früher einmal das Herz eines weitreichenden landwirtschaftlichen Betriebes war. So nahm schon mal alles einen guten Lauf. David begann 2019 bei der Kammer seine Tätigkeit als „Berater für ökologische Landwirtschaft“, Sarah im Forschungsbereich „Milchviehhaltung im Klimawandel“. 2021 kommt Tochter Franka, 2023 ihre Schwester Rieke auf die Welt.
Das Gute liegt so nah
Derweil ändert sich 2022 die Perspektive. Die benachbarten landwirtschaftlichen Flächen – 6,7 Hektar – an der Roxeler Straße und dem Dingbänger Weg stehen zur Neuverpachtung an. Da war sie, die Chance, den gemeinsamen Lebenstraum endlich umzusetzen. „Der Wunsch nach Autarkie verbindet uns. Wir wollen das Ergebnis unserer Arbeit sehen können, Freiräume haben und unser eigenes Ding machen.“ Ihr Konzept überzeugte die Eigentümer, benachbarte Landwirte signalisierten Unterstützung bei Fahrzeugen und Geräten und auch die Familien der beiden Jung-Landwirte standen voll hinter dem Plan.
„Der Wunsch nach Autarkie verbindet uns. Wir wollen das Ergebnis unserer Arbeit sehen können, Freiräume haben und unser eigenes Ding machen.“ David Büchler

Bio + Allee = Biolee
Der Grundstein für Biolee, den Bauernhof, der neue Wege geht, war gelegt. „Häufig werden ja die Begriffe »Gut« oder »Hof« für die Benennung verwendet. Da wir aber keinen klassischen Hof mit Gebäuden bewirtschaften, haben wir die typisch münsterländische Allee entlang unserer Felder als Namenspaten genommen.“ Und so wird aus „Bio“ und „Allee“ das eingängige Biolee. Was folgte war ein Kraftakt. Alle Flächen wurden sofort auf ökologischen Landbau umgestellt. Ein Schlepper wurde angeschafft und auch weitere Geräte wie eine Sortieranlage. Saatgut wurde gekauft und Vertriebswege wurden erschlossen – für Kartoffeln, Kürbisse und Getreide.
Mehr als „ackern“
Die schönsten Träume sind die, die mit anderen geteilt werden! So können Interessierte heute nicht nur Produkte direkt bei Biolee kaufen. Darüber hinaus bestehen viele weitere Möglichkeiten, mit dem Team in Kontakt zu treten oder sich ins Konzept einzubringen. „Der Bildungsgedanke ist ein wichtiges Element unserer Arbeit“, erzählt Sarah. Viele Menschen seien noch gar nicht mit ökologischer Landwirtschaft in Berührung gekommen, bei einigen überwögen noch Bedenken. Daher bieten Sarah und David im Frühjahr etwa ein Kartoffel-Abo mit Besuch auf den Feldern. Auch Grundschulklassen können sich die Arbeit auf dem Feld ganz aus der Nähe anschauen und dabei viel über die Natur, Ernährung und Nachhaltigkeit erfahren.
„Der Bildungsgedanke ist ein wichtiges Element unserer Arbeit.“ Sarah Hoffmanns



Im Herbst locken die „Buddeltage“ viele Kinder, aber auch Erwachsene aufs Feld. Die geernteten Kartoffeln werden mit nach Hause genommen. Und in der Adventszeit betreibt das Paar den Pommes-Stand auf dem lokal-regionalen Weihnachtsmarkt X-MS-Markt am Harsewinkelplatz. Wer etwas für die Insekten tun will, kann bei Biolee eine Blühpatenschaft abschließen. So können Flächen in den Feldern bunte Rückzugsräume werden.
Nachholbedarf für Münster
„Wir waren überrascht, dass derzeit nur zwei Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Münster ökologisch bewirtschaftet werden. Das liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt.“ Hier bestehe ein Nachholbedarf, findet das Biolee-Team. Aber auch finanziell können Interessierte die Idee des Öko-Landbaus unterstützen. Über die kulturland Genossenschaft kann Jeder Geld für den Erwerb und den Erhalt von landwirtschaftlichen Flächen einzahlen. Diese werden dann dauerhaft an Bio-Bauern verpachtet – in diesem Fall an Biolee. Läuft dieses Verfahren in anderen Bundesländern ohne Probleme, haken in Münster noch die Mühlen der Bürokratie. „Aber auch das werden wir wohl lösen“, zeigt sich David zuversichtlich.
„Wir haben das gute Gefühl am richtigen Ort zu sein. Münster hat eine hohe Lebensqualität, ein breites kulturelles Angebot und alles ist mit dem Fahrrad zu erreichen.“ David Büchler
Heimat & Perspektive
Wie geht es weiter? In 2024 ist Biolee gewachsen. Die ehemals von Lütke-Jüdefeld bewirtschaften Flächen an der Gasselstiege konnten übernommen werden. Das bietet neue Herausforderungen und Perspektiven. Hört sich also so an, dass Sarah, David und die beiden Töchter nicht nur ihren Lebenstraum, sondern auch ihre Heimat gefunden haben? „Wir haben das gute Gefühl am richtigen Ort zu sein. Münster hat eine hohe Lebensqualität, ein breites kulturelles Angebot und alles ist mit dem Fahrrad zu erreichen. Wir sind angekommen“, resümmiert David und nickt.
biolee-acker.de