MÜNSTER! Magazin

Foto: SuperBioMarkt AG

Januar 2022 N°109


Fairtrade Town mit Ambitionen

Seit zehn Jahren ist Münster Fairtrade-Town – viel zu tun gibt es trotzdem noch. Michael Radau koordiniert als Leiter der Steuerungsgruppe die Aktivitäten zum fairen Handel in der Stadt. Im Interview verrät der Superbiomarkt-Chef, wie sich Anspruch und Wirklichkeit angenähert haben und was für die kommende Dekade auf dem Plan steht.

Text MONA CONTZEN


Herr Radau, Sie planen einen Umsturz des Welthandels. Sind Sie ein Revolutionär? 
Ich bin ein moderater Revolutionär. (lacht) Bei mir ist einfach die Erkenntnis da, dass wir grundlegend Sachen ändern müssen – nämlich all das, was nicht enkeltauglich ist. Die Kunst ist dabei, die Veränderung mit Spaß und Freude voranzutreiben und sich nicht als jemand zu verstehen, der nur etwas mies machen will. Ich predige keine Askese, sondern Veränderung.

Direkt vor unserer Haustür hat sich schon etwas verändert: Münster ist seit zehn Jahren Fairtrade-Town. Es gibt in der Stadt inzwischen zahlreiche Projekte und Aktionen – von den Fairtrade-Schools über konsumkritische Stadtführungen bis hin zu Rezeptvideos und Filmvorführungen. Was fällt Ihnen für die nächsten zehn Jahre ein? 
Ein ganz entscheidender Faktor ist, im Beschaffungswesen eine Veränderung vorzunehmen. Das klingt sehr technisch, ist aber ganz pragmatisch: In Verwaltungen, Behörden, großen Unternehmen kümmern sich ganze Abteilungen um die Dienstkleidung der Mitarbeiter, die Ausstattung der Büros, die Materialien. All das muss zur richtigen Zeit von den richtigen Unternehmen geliefert werden. Und bei diesen Unternehmen sollte die höchste Priorität darauf liegen, dass die gelieferten Produkte einen fairen Handelshintergrund haben. Die LWL-Kliniken in Münster sind ein tolles Beispiel: Da gibt es jetzt auf dem gesamten Klinikgelände Fairtrade-Kaffee. Wenn das ein LWL kann, dann können es alle großen Unternehmen. Ich habe dafür einen schönen Leitsatz: Wenn ich etwas wirklich will, dann finde ich einen Weg. Und wenn ich es nicht will, dann finde ich einen Grund. Wir müssen uns auf den Weg machen und die Gründe hinter uns lassen.

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Mehr als 600 deutsche Städte sind bereits als Fairtrade-Town ausgezeichnet. Beim Wettbewerb „Hauptstadt des Fairen Handels“ ist Münster 2019 Vizemeister geworden. Wann holen wir endlich den Meistertitel nach Hause? 
Wir hatten gehofft, 2021. Aber da der Titel auch mit Preisgeldern verbunden ist, ist es aus Sicht der Jury wahrscheinlich schwierig, immer die gleichen Player auf die Bühne zu holen. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und wir sind sehr optimistisch für 2023, weil sich hier tatsächlich was bewegt. Es stimmt mich zuversichtlich, dass in Münster ein breites Bündnis von Menschen, Organisationen und Unternehmen an einem Strang zieht. Die Handwerkskammer ist dabei, die IHK, die Uni, die Kirchen. Es gibt ein breites gesellschaftliches Commitment. 

Wo stehen wir in Sachen Fairtrade denn aktuell in Münster? Mit welchen Zielen ist man vor zehn Jahren angetreten und wie haben sich Anspruch und Wirklichkeit in dieser Zeit angenähert? 
Die Hürden, Fairtrade-Town zu werden, waren einerseits sehr niederschwellig: Bei Ratssitzungen musste es Fairtrade-Kaffee geben, es brauchte so und so viele Händler, Cafés und Restaurants, die Fairtrade-Produkte in der Stadt verkaufen, und im Bildungsbereich musste es Aktionen geben. Andererseits hatte Fairtrade damals noch viel stärker diese Grundattitüde von Gutmenschentum und war keine Selbstverständlichkeit. Also haben wir eine Menge Gespräche geführt und die Hürden relativ schnell übersprungen. Mit der Auszeichnung ging die Arbeit dann aber erst richtig los. Denn uns war ja daran gelegen, nicht einige wenige Institutionen dafür zu gewinnen, sondern den Gedanken breit in die Gesellschaft zu tragen. Wir sind auf dem Weg dahin, aber die Wirklichkeit ist noch weit entfernt davon, dass Kunden automatisch danach fragen, wo und wie Produkte produziert wurden. Beim ersten, zweiten und dritten Mal wird der Händler vielleicht denken: Was soll der Blödsinn? Aber spätestens beim vierten Mal wird sich ein guter Händler darum kümmern, dass er solche Fragen zufriedenstellend beantworten kann.

 

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Warum ist fairer Handel denn so wichtig? 
Fairer Handel ist eben nicht Gutmenschentum, sondern muss eigentlich – böse gesagt – aus Eigenschutz zur Selbstverständlichkeit werden. Wenn wir mit unseren Familien in einem afrikanischen Staat leben würden, wo zum Teil katastrophale Rahmenbedingungen herrschen und es keine Aussicht auf Besserung gibt, würden wir alles daran setzen, dass wir oder zumindest unsere Kinder eine Chance haben auf ein besseres Leben. Das Bestreben der Menschen nach ein bisschen mehr Sicherheit und Wohlstand ist ein völlig menschlicher Zug, den jeder von uns hat. Und wenn wir dafür sorgen, dass durch einen global faireren Handel die Rahmenbedingungen in diesen Ländern gut sind, dann werden diese Menschen gar nicht das Bedürfnis haben sich auf die Flucht zu begeben. 

Wenn man sich die Umsatzentwicklung von Fairtrade-Produkten in Deutschland ansieht, geht die Kurve bis 2019 steil nach oben – dann kommt der Corona-Knick. Wie wollen Sie beim Trend hin zu fairem Handel wieder für Aufwind sorgen? 
In den letzten 20 Monaten war Corona das beherrschende Thema, aber der Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit werden wieder mehr in den Vordergrund rücken – und damit auch den fairen Handel als Teil dieser Transformation. Aber es braucht Kunden, die das tagtäglich konsequent einfordern und Händler, die die Durchhaltekraft haben, das durchzuziehen. Ein Beispiel: Lidl hat vor einigen Jahren bei Bananen komplett auf fairtrade umgestellt. Natürlich kostet eine Fairtrade-Banane ein paar Cent mehr. Etwa ein Jahr später haben sie dann einen Rückzieher gemacht, weil sie „x Prozent“ Umsatzanteil gegenüber den anderen Discountern im Bananenmarkt verloren haben. Bei einem Unternehmen in dieser Größenordnung habe ich aber die Erwartungshaltung, dass es diesen Weg durchzieht. Und hätten auf der anderen Seite im nächsten Monat Millionen von Kunden nach diesen Fairtrade-Bananen gefragt, wären sie schnell wieder im Sortiment gewesen.

Wir alle merken es an der Supermarktkasse: Alles wird teurer. Wer kann sich Fairness denn noch leisten? 
Tatsächlich ist das verfügbare Geldvolumen in der Pandemie gestiegen: Wir konnten nicht verreisen, konnten nicht ins Restaurant. Für mich ist es eher eine Prioritätenfrage als eine Geldfrage, mit welcher Wertschätzung ich Lebensmittel betrachte. Es gibt ein paar Leute, die sich Fairtrade nicht leisten können. Aber es gibt mehr Leute, die sich Fairtrade nicht leisten wollen – und die lieber Geld für Sachen ausgeben, die vielleicht mehr Status darstellen, das neue iPhone, den Flachbildschirm oder die Reise nach Mallorca. Am Ende kostet eine Tasse Fairtrade-Kaffee übrigens etwa zwei bis drei Cent mehr als anderer Kaffee.

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Was wünschen Sie sich von den Bürgerinnen und Bürgern? 
Ich bin froh, dass eine Generation aufwächst, die bereit ist, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Das macht mir Mut. Es sollten sich mehr Leute damit auseinandersetzen und kritisch hinterfragen, was wir als Gesellschaft tun und welche Auswirkungen das auf die Zukunft hat. Ich habe den Wunsch, dass sich die Menschen um ihre Nahrung und deren Herkunft bewusster werden und sich darum kümmern, da mehr Transparenz reinzubringen. So wie sie sich ganz selbstverständlich informieren und beraten lassen, wenn sie größere Anschaffungen tätigen und ein Auto oder einen Fernseher kaufen. 

Ich denke beim Stichwort Fairtrade zuerst an Kaffee und Bananen. Geben Sie uns eine Orientierungshilfe: Bei welchen Produkten sollte man als Verbraucher besonders auf Fairtrade achten und auf welche Siegel kann ich mich dabei verlassen? 
Das Übliche sind Lebensmittel, aber wir müssen auch an Textilien denken. Organic Fairtrade Cotton ist ein ganz wichtiger Bereich bei Kleidung, Bettwäsche oder Handtüchern. Auch im Handwerk kann man auf Manufakturen statt auf asiatische Massenproduktion setzen. Ich kenne zum Beispiel einen Goldschmied, der ausschließlich Gold verarbeitet, das nicht aus Minen kommt, wo Kinderarbeit die Regel ist. Da macht sich aber wahrscheinlich kaum jemand Gedanken drüber, wenn er seine Eheringe kauft. Leider gibt es nicht ein Super-Siegel für alles, sondern viele verschiedene Initiativen: die GEPA (der größte europäische Importeur fair gehandelter Lebensmittel und Handwerksprodukte, Anm. d. Red.), das Hand-in- Hand-Projekt (firmeneigenes Siegel des Lebensmittelherstellers Rapunzel, Anm. d. Red.), aber auch das klassische Fairtrade-Siegel.

Wie fair ist Münster denn jenseits des Supermarkts? 
Im Vergleich zu vielen anderen Städten ist Münster grundsätzlich gut aufgestellt. Ich habe die Möglichkeit, im Café einen fairen Kaffee zu trinken, faire Textilien und Haushaltswaren zu kaufen, es gibt Fachgeschäfte. Aber Fairtrade ist noch keine Selbstverständlichkeit. Ich habe nicht in jedem Laden eine breite Auswahl an Produkten. Auch in Sportvereinen zum Beispiel ist es keinen Automatismus, dass die Trikots fair produziert sind.

Mit dem Projekt #fairestadtteile sollen auch Bezirke außerhalb der Innenstadt mobilisiert werden. Bisher ist allerdings Hiltrup Münsters einziger fairer Stadtteil. Was macht Hiltrup besser als andere Stadtteile? 
Mit der Stadtteiloffensive, dem Wirtschaftsverbund und einigen aktiven Menschen gab es in Hiltrup einfach Leute, die verschiedene Aktivitäten gestartet haben und damit bei den Verantwortlichen auf sehr offene Ohren gestoßen sind. Mittlerweile passiert in Kinderhaus und Mitte aber auch einiges, vor allem in Schulen und Kitas. Die Steuerungsgruppe hat inzwischen ein ganzes Baukastensystem an Sachen, die wir den Stadtteilen anbieten können. Wir können Impulse setzen, aber wir sind kein Dienstleister, die Umsetzung muss in den Stadtteilen passieren. Die Kernphilosophie der Steuerungsgruppe lautet: Wir helfen Euch, wenn Ihr Euch auf den Weg macht etwas zu verändern. Einen guten Überblick über Münsters Angebote bietet ab Frühjahr übrigens unsere App, die zeigt, wo ist ein Café, wo ist ein Laden, der Fairtrade-Produkte anbietet.

Denken wir noch einmal zehn Jahre weiter. Wo wollen Sie mit der Fairtrade-Stadt Münster hin? 
Ich glaube, in zehn Jahren sind fair gehandelte Produkte nichts Exotisches mehr. Sie sind ein normaler Bestandteil im Konsumportfolio der Münsteraner. Wem das zu visionär ist: Vor 15 Jahren war Bio noch relativ exotisch, heute kann es sich kein Lebensmittelhändler mehr leisten, kein Bio anzubieten. Im Gegenteil: Jeder Händler macht sich Gedanken, wie er mehr Bio-Produkte in sein Sortiment bekommt. Das wünsche ich mir zukünftig auch für Fairtrade. 

fairtradestadtmuenster.de

FAIRES ENGAGEMENT ...

braucht Ideen und Tatkraft. Ansprechpartnerin für alle, die sich in ihrem Stadtteil, ihrer Schule oder Kita für den fairen Handel engagieren wollen, ist Susanne Rietkötter im Amt für Bürgerund Ratsservice. rietkoetter@stadt-muenster.de

Faire Kleidung... 

gibt es zum Beispiel in den Gruene Wiese-Shops, die bei ihrer öko-fairen Mode auf viele verschiedene Zertifikate und Organisationen setzen. Zu den Standards gehören eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden, keine Kinderarbeit, existenzsichernde Löhne und faire Preise für Baumwoll- Bauern. Ein faires und ökologisches Sortiment an Kleidung für Damen, Herren und Kinder bietet auch Frau Többen im gleichnamigen Laden an. Bei allen Labels überzeugt sich die Inhaberin persönlich von den Produktionsbedingungen und verwendeten Materialien. 
gruenewiese-shop.de frautoebben.de

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Foto: Frau Többen
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Foto: Isabel Nordbeck/Gruene Wiese

Fair Essen und Trinken...

kann man zum Beispiel im Café Garbo. Die gastronomische Mischung aus Café, Kneipe und Restaurant ist dem Cinema angeschlossen und legt bei ihren hausgemachten Speisen und Kaffeespezialitäten besonderen Wert auf fair gehandelte und ökologisch produzierte Ware. Sogar das Geschirr, auf dem Quiches, Suppen und Co. serviert werden, stammt aus einer fair bezahlten und ökologischen Produktionskette. Weitere Cafés und Restaurants, die sich unter anderem dem Fairen Handel verpflichtet fühlen, listet die Plattform muenster.fair auf. cinema-muenster.de muensterfair.de

Faire Kosmetik... 

finden Mann und Frau bei Barbara Green Cosmetics. Der Naturkosmetik- Laden hat sich zwar vor allem auf umweltbewusste Nachhaltigkeit spezialisiert, führt aber auch Fair-Trade-Pflegeprodukte von Produzenten, deren geschäftliche Prinzipien auf Transparenz, Sozialverträglichkeit und Solidarität mit den Menschen in benachteiligten Regionen dieser Erde beruhen. barbara-green.de

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Foto: Calcanto Werbeagentur