N°142
Julias Zuhause für Pinsel & Prosecco
So manches Hobby ist nur schwer mit dem Alltag zu vereinbaren: Zum Malen etwa braucht es Platz, Materialien und – zumindest am Anfang – etwas Anleitung und gute Tipps vom Profi. Deswegen gründete Julia Schmalstieg Pinsel & Prosecco, das nun mit dem Atelier Augusta endlich ein Zuhause gefunden hat und dort Gesellschaft von weiteren kreativen Formaten bekommt.
Text LOTTA KRüGER
Ein blumiges Porträt von Frida Kahlo, ein abstraktes Gemälde mit gespritzten Knall-Farben, eine aus Pinselstrichen gemalte Eule, die dem Betrachtenden direkt in die Augen zu schauen scheint: Die Motive, die im Atelier Augusta entstehen, sind vielfältig. Die Kunstwerke sehen aus wie vom Profi erschaffen – dabei hatten einige der Malerinnen und Maler, von denen sie stammen, vorher noch nie einen Pinsel in der Hand. Wie das möglich ist? Das verrät uns Julia Schmalstieg, die das Atelier Augusta im vergangenen Jahr eröffnet hat und hier Kurse und Workshops unter dem Namen Pinsel & Prosecco gibt: „Der erste Schritt ist, dass ich die Teilnehmenden dazu animiere, sich mit dem Medium vertraut zu machen – damit sie ein Gefühl dafür bekommen, wie Acrylfarbe auf der Leinwand wirkt und sich verteilen lässt. Damit fängt man am besten auf dem Hintergrund an, wo nicht viel schiefgehen kann.“ Bei gegenständlichen Motiven hilft den Teilnehmenden außerdem ein Gitterraster, das über der Vorlage liegt und mit Bleistift auf die Leinwand übertragen wird. „Und dann heißt es ‚Copy and Paste‘, Kästchen für Kästchen!“ Während die Atelierbesuchenden malen, geht Julia herum – wie beim Tischtennis-Rundlauf immer im Kreis – und unterstützt, gibt Tipps, zeigt Techniken. Der Prosecco aus dem Namen des Kurskonzepts ist natürlich auch dabei und sorgt für ausgelassene Stimmung. Oft ist es bei den Kursen aber auch erstaunlich ruhig, wenn die Malenden sich ganz in ihr Kunstwerk vertiefen. „Das ist der Moment, in dem man alles um sich herum vergisst. Diesen wunderbaren Flow-Zustand möchte ich den Teilnehmenden mitgeben.“

EIN SCHICKSALSSCHLAG MIT FOLGEN
Dass Julia ihre Begeisterung für Kunst in Kursen an andere weitergibt, war ursprünglich gar nicht der Plan der 38-Jährigen. „Eigentlich wollte ich einfach nur malen!“, erzählt sie lachend. Und das schon seit ihrer Kindheit, die von einem Schicksalsschlag geprägt war: Julia wuchs auf einem Bauernhof in Niedersachsen auf, wo sie sich im Alter von zwei Jahren auf einer landwirtschaftlichen Maschine beide Beine brach – und dadurch für lange Zeit ans Bett gefesselt war. Um den kleinen Wirbelwind zu beschäftigen, drückte Julias Mutter ihr Farben in die Hand – und die Kleine begann, viel zu malen. Als sie später endlich wieder auf den Beinen war, nahm ein Künstler aus dem Dorf das kleine Mädchen an die Hand und wenig später mit zu seinen Kursen. Julias Leidenschaft war entfacht – so sehr, dass sie nach der Schule Kunst studieren wollte. Der Plan ihres Vaters war jedoch ein anderer: Sie sollte den Hof übernehmen, statt sich einer „brotlosen Kunst“ zu widmen. Also machte Julia erst einmal eine Ausbildung zur Landwirtin und schloss ein Studium der Agrarwissenschaften an. Auch wenn das eigentlich nicht der Weg war, den die Niedersächsin gerne eingeschlagen hätte, kam es am Ende doch, wie es kommen sollte: Nach dem Master begann sie ihren Job im Marketing beim Landwirtschaftsverlag – und kam so nach Münster.

VON DER SCHNAPSIDEE ZUR GRÜNDUNG
Das Malen wollte Julia schon damals in ihren Alltag integrieren – was jedoch gar nicht so leicht war. „Ich habe an Kursen teilgenommen, konnte aber wegen vieler Dienstreisen nicht bei jeder Sitzung dabei sein. Zuhause zu malen, fand ich auch schwierig: Erstmal muss man den ganzen Schreibtisch freiräumen, um Platz zu schaffen – und dann tendiert man dazu, doch nochmal eben eine Waschmaschine anzustellen oder den Müll rauszubringen, statt sich aufs Malen zu fokussieren und in den Flow zu kommen.“ Stattdessen träumte Julia von einem Ort, an dem all ihre Materialien bereit liegen würden und zu dem sie jederzeit hinfahren und direkt loslegen könnte. Übergangsweise fand sie diesen zunächst im Atelier einer Freundin. Ebenjene Freundin kam auch auf die Idee mit den Kursen – und schubste Julia einfach ins kalte Wasser, indem sie spontan ein paar Mädels zusammentrommelte und Julia die Anleitung übergab. So kam eins zum anderen: Die Teilnehmerinnen waren begeistert, und die Idee zu Pinsel & Prosecco – zunächst der Arbeitstitel, später dann der echte Programmname – war geboren. Das war 2019, und als die Kurse sich schnell herumsprachen und immer mehr Anfragen reinkamen, reduzierte Julia ihre Arbeit beim Landwirtschaftsverlag auf vier Tage, um mehr Zeit für ihren neuen „Nebenjob“ zu haben.

EIN PROGRAMM, VIELE LOCATIONS
Einen festen Ort hatte Julia für ihre Kurse damals nicht: Sie zog mit Sack und Pack umher und unterrichtete mal in der Hafenkäserei, mal im Café und Restaurant 1648, mal im „alten“ Schönwerk, damals noch an der Warendorfer Straße (heute am Spiekerhof, Anmerkung der Redaktion). Alles tolle Locations, aber der aufwendige Transport der Leinwände, Staffeleien, Farben und Co. wurde auf Dauer anstrengend. Erst 2024 wurde Julia über Ebay Kleinanzeigen auf das Ladenlokal in der Augustastraße 28 im Südviertel aufmerksam. So bekam Pinsel & Prosecco mit dem dort daraufhin gegründeten Atelier Augusta endlich seinen Heimathafen, in dem nun jede Woche mehrere Kreativ-Events stattfinden.

„Eigentlich wollte ich einfach nur malen!“ Julia

Inzwischen hat Julia, die im vergangenen Jahr Mama geworden ist, sich fünf Kolleginnen ins Boot geholt, die sie bei der Organisation unterstützen und ebenfalls Kurse geben. So sei die Wahlmünsteranerin „aus Versehen“ zur Unternehmerin geworden – obwohl sie doch eigentlich nur einen Platz zum Malen gesucht habe, lacht sie. Die eigene Kunst komme aktuell mit einem kleinen Sohn und dem Unterrichten etwas zu kurz – aber in Zukunft möchte Julia sich dafür wieder mehr Zeit einräumen. Und die Chancen stehen gut: Mit der Eröffnung des Standortes in der Augustastraße hat Julia auch das Offene Atelier eingeführt. Bei diesem Format können Münsteranerinnen und Münsteraner zum eigenständigen Malen in die Räumlichkeiten kommen, ohne Anleitung und jeder für sich. „Da kann ich mich dann auch gut mal dazusetzen und vor mich hin pinseln!“, freut sich die Gründerin.

DIVERSE WORKSHOP-FORMATE
Mit dem Atelier Augusta hat Julia sich und ihren Besuchenden die Möglichkeit geschaffen, auch neue Kunstrichtungen und Workshop- Formate auszuprobieren. So gibt es inzwischen neben den klassischen Kursen auch die Abstrakte Werkstatt, Mixed-Media-Formate und das Kinderangebot Pinsel & Popcorn. Mit dem Programm wird auch Julias Publikum diverser: Während Kurse mit Tier-Motiven vor allem bei der Ü-50-Zielgruppe beliebt sind, kommen bei den abstrakten Themen und Techniken auch viele junge Menschen. So etwa beim Event Abstract Splash, bei dem die Teilnehmenden mit verschiedensten Hilfsmitteln Farbe auf der Leinwand verteilen und sich so richtig austoben können: Es darf mit Pipetten getropft, mit Strohhalmen gepustet und sogar mit den bloßen Händen gewischt werden. Die größte Hürde bei vielen der Besuchenden: der erste Farbklecks auf der weißen Leinwand. Doch wer sich traut, wird belohnt: „Das löst in mir totale Glücksgefühle aus!“, freut sich eine Teilnehmerin, die den Kurs zusammen mit ihrer Mutter besucht, schon nach den ersten Pinselstrichen. Die gemeinsame Unternehmung war ein Geschenk, um nicht nur Zeit und eine neue Erfahrung miteinander zu teilen, sondern am Ende auch eine Erinnerung daran zu haben – in Form der zwei fertigen Bilder, die sich Mutter und Tochter gegenseitig schenken wollen. Während einige impulsiv drauf loslegen und spontan schauen, wie sich die verschiedenen Farben und Formen auf der Leinwand entwickeln, haben andere Kursteilnehmende einen genauen Plan und eine Vorlage von Instagram oder Pinterest mitgebracht, die sie mit Julias Hilfe umsetzen wollen.

MOTIVAUSWAHL? BAUCHKRIBBELN UND DEMOKRATIE!
In den Kursen mit gegenständlichen Motiven ist dagegen von Anfang an festgelegt, was gemalt wird. Vom Rotkehlchen über ein tobendes Wellenmeer bis zur winterlichen Schneelandschaft – die Sujets sind vielfältig. Welche Vorlagen es in die Kurse schaffen, entscheidet Julia danach, bei welchen Motiven es bei ihr „im Bauch kribbelt“ – und natürlich auch danach, was für Anfängerinnen und Anfänger gut umsetzbar ist. Mittlerweile lässt sie ihre Community außerdem in Umfragen auf Instagram über die Motivauswahl mitentscheiden. „Denn nur weil es bei mir kribbelt, muss es ja nicht jedem gefallen!“. Ganz unabhängig vom Motiv haben jedoch alle Kurse etwas gemeinsam: Am Ende gehen die Teilnehmenden glücklich und stolz mit einem tollen Ergebnis nach Hause – und oft mit einem neuen Hobby oder sogar einem neu entdeckten Talent. „Das ist einer der schönsten Momente für mich: zu sehen, wie überrascht die Menschen davon sind, wie gut es geklappt hat – selbst wenn sie vor dem Kurs keinerlei Erfahrung hatten“, so Julia. Weil die Kurse auch für blutige Anfängerinnen und Anfänger geeignet sind, werden im Atelier auch kreative Team-Events angeboten: vom Junggesellenabschied bis zur Firmenfeier, bei der am Ende zum Beispiel eine tolle Collage fürs Büro entsteht.

DOPPELT GUTE SACHE
Pinsel & Prosecco kommt übrigens nicht nur kreativitätsliebenden Münsteranerinnen und Münsteranern zugute, sondern auch jenen, die es weniger leicht haben: Jedes Jahr veranstaltet Julia ein Charity-Event für den guten Zweck. So konnten in den letzten Jahren etwa Spenden für Seniorinnen und Senioren sowie Geflüchtete gesammelt werden, 2025 sollen die Erlöse an Krebspatientinnen und -patienten gehen. Und auch die Umwelt liegt Julia am Herzen: „Wir bemühen uns, im Atelier möglichst ressourcenschonend zu arbeiten, indem die Teilnehmenden sich zum Beispiel einen eigenen Putzlappen mitbringen und ihre Palette aus altem Pappkarton basteln.“ Weil Julia sich darüber bewusst ist, dass der Verbrauch von Leinwänden und Co. trotzdem nicht ganz nachhaltig ist, lässt sie für jedes Event einen Baum von ihrem Kooperationspartner Artenglück pflanzen, sozusagen als Gegenmaßnahme. Es scheint so als habe Julia von Beginn an so ziemlich an alles gedacht. Und es ist ihr anzumerken, wie sehr sie ihre Arbeit im Atelier Augusta erfüllt: Zwischen knallbunten Stühlen, Kerzenständern und Kunstwerken hat nicht nur das Format Pinsel & Prosecco, sondern ein Stück weit auch die Künstlerin selbst ein Zuhause gefunden.
Lust auf einen Coworking- Space in kreativer Kulisse?
Weil die Events von Pinsel & Prosecco nur abends und am Wochenende stattfinden, steht das Atelier Augusta werktags meist bis 17 Uhr leer. Schade drum! Wer die Räumlichkeiten mieten und mit Leben füllen möchte, ist herzlich eingeladen, sich bei Julia und ihrem Team zu melden.
Website: pinselundprosecco.de
Mail: hallo@pinselundprosecco.de
Instagram: @pinselundprosecco und @atelier_augusta