MÜNSTER! Magazin

In der Holzwerkstatt der Architektur-Studierenden auf dem Leonardo-Campus entstehen die Entwürfe in kreativer Atmosphäre. Foto: Team Public

Juli/August 2021 N°104


Dynamisch in Theorie und Praxis

Die FH Münster bewegt sich über die Tore des Hochschulgeländes hinaus, um Wissenschaft und Lehre besser zugänglich, agil und praxistauglich zu gestalten. In diesem Jahr wird die Hochschule 50 Jahre alt. Wie stellt sich die Hochschule den Herausforderungen auf dem Feld der höheren Bildung? Wir blickten hinter die Kulissen.

Text Annabel Schirrmeister


Wir feiern mit der FH Münster!

Am 1. August 1971 feiert die münstersche Hochschule für angewandte Wissenschaften Geburtstag! Als eine starke Institution unserer Region bringt sie mittlerweile seit einem halben Jahrhundert Absolventinnen und Absolventen hervor, die mit wissenschaftlichem Background startklar für das praktische Berufsleben sind. Neugierig, agil, realitätsnah und immer am Puls der Zeit hält sich die FH Münster fit. Wir haben mit verschiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächstpartnern über die FH Münster gesprochen und wie sich dort Dynamik in der Lehre zeigt.

MÜNSTER! Magazin
Studierende und Lehrende spielen sich ständig den Ball hin und her. Dabei begegnen sich alle Beteiligten auf Augenhöhe. Foto: FH Münster, Marek Michalewicz

Ein besonderes Maß  an Praxisbezug wurde den nordrhein-westfälischen Fachhochschulen in die Wiege gelegt. Es ging um „angewandte Wissenschaften“, als die Planungen für den neuen Hochschultyp vor etwa 60 Jahren begannen. Doch dazu gehört mehr, als junge Menschen „nur“ optimal auf die Arbeitswelt vorzubereiten.Professor Dr. phil. Thilo Harth, wissenschaftlicher Leiter der Hochschuldidaktik im Wandelwerk, dem Zentrum für Qualitätsmanagement der FH Münster: „Natürlich wollen wir auf reale Bedingungen vorbereiten. Ohne Persönlichkeitsbildung, Mündigkeit und die individuellen Kompetenzen zu stärken, ist das aber nur die halbe Miete.“

Praxisprojekte gehören für die Studierenden zum Pflichtrepertoire. Dabei nutzen Lehrende ihren guten Draht zu Industrie, Wirtschaft und sozialen Einrichtungen. Praxisbezug fängt dann schon an, wenn Professorinnen und Professoren zu Beginn der Vorlesung aus ihrem Arbeitsalltag berichten. „Es tut total gut, dass Lehrende sich aktualisieren und am Puls der Zeit leben. Da bekommt man wirklich Lust auf das Fach. Teilweise kommen Profs gerade aus dem Büro und erzählen, was sie dort gerade beschäftigt“, erzählt Anna Vogt, die sich neben ihrem Architektur-Studium an der Münster School of Architecture (MSA), dem Fachbereich Architektur der FH, in Hochschulgremien engagiert.

MÜNSTER! Magazin
PROF. DR. THILO HARTH, wissenschaftlicher Leiter der Hochschuldidaktik im Wandelwerk
MÜNSTER! Magazin
ANNA VOGT, Architekturstudentin an der Münster School of Architecture (MSA)

Reale Probleme, in die Lehre integriert, können dabei aus den unterschiedlichsten Feldern stammen. Neben den Studierenden profitieren oft auch Partnerunternehmen – oder auch die Region. Wie im Fall des Drittmittelprojekts unter der Aufsicht von Prof. Dr. Jeanette Klemmer. Die FH Münster unterstützt LOOPmünster, ein Mobilitätsprojekt mit individuell nutzbarem Nahverkehrsservice für Münsters Süden, indem sie das Projekt durch Befragungen wissenschaftlich begleiten. In einem Selbstexperiment testeten die Studierendenteams die Kleinbusse als Fahrgäste mit Handicap. Mit Alterssimulationsanzügen, die extra für diese Erfahrung angeschafft wurden, sowie Rollstühlen, Rollatoren und Sehbehinderungsbrillen verwandelten sich junge, fitte Studierende in Menschen mit Einschränkungen. Beobachtet wurde unter anderem, wie lange der Ein- und Ausstieg unter den beschwerlichen Voraussetzungen dauert. Dabei entstand eine Checkliste, worauf beim Fahrbetrieb des LOOPmünster zu achten ist. Die Ergebnisse spiegelt die FH Münster anschließend den Auftraggebern. „Durch praktische Erfahrungen fällt es den Studierenden viel leichter sich einzuprägen, was sie auch im späteren Berufsleben berücksichtigen müssen“, so die Professorin.

MÜNSTER! Magazin
PROF. DR. JEANETTE KLEMMER, Fachbereich Bauingenieurwesen, Foto: FH Münster, Ralf Emmerich Wilfried Gerharz

Durch praktische Erfahrungen fällt es den Studierenden leichter sich einzuprägen, was sie im späteren Berufsleben berücksichtigen müssen.“ - Prof. Dr. Jeanette Klemmer

MÜNSTER! Magazin
Foto: FH Münster, Frederik Tebbe
MÜNSTER! Magazin
Ideen wie die Kooperation mit LOOPmünster bieten Praxisbezug und bringen Abwechslung in den Hochschulalltag. Foto: Stadtwerke Münster

Seit 13 Jahren leitet Prof. Dr. Ute von Lojewski die Hochschule für angewandte Wissenschaften. Ab Oktober gibt sie ihren Posten an den jetzigen Vizepräsidenten für Bildung und Internationales Prof. Dr. Frank Dellmann ab.

„Ich finde 50 ist ein super Alter. Da ist man auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Und das gilt für die FH Münster natürlich auch“, sinniert von Lojewski. Was die FH Münster in ihren Augen jung hält, ist die Fähigkeit, in Lehre und Forschung immer auch neue, aktuelle Themen aufzugreifen. „Wenn Gesellschaft dynamisch ist, dann muss es eine Hochschule erst recht sein“, findet der wissenschaftliche Leiter der Hochschuldidaktik im Wandelwerk Harth. 

Um die gesellschaftliche Dynamik in die Lehre zu übertragen, entwickelt das Qualitätszentrum der FH Münster unter anderem die Lehrformate weiter. Neu ist das „Agile Modul“, in dem Studierende lernen, überkomplexe Fragestellungen zu bearbeiten, bei denen kein Lösungsweg vorgeschrieben ist. Lehrende und Lernenden müssen sich auf Neues einlassen, ‚out-of-the-box- denken‘, kreativ sein. Das Training ist herausfordernd und realitätsnah.

MÜNSTER! Magazin
PROF. DR. UTE VON LOJEWSKI, Präsidentin der FH Münster, Foto: FH Münster, Thorsten Arendt
MÜNSTER! Magazin
PROF. DR. FRANK DELLMANN Vizepräsident für Bildung und Internationales und zukünftiger Präsident, Foto: FH Münster, Thorsten Arendt
MÜNSTER! Magazin
Anna Vogt (Mitte) bei ihrer Abschlusspräsentation im zweiten Semester 2019 im Baukonstruktionskurs zu Massivbau. Das Thema lautete „massiv zu Besuch“. Sie bewältigte die Aufgabe, einen Gemeinschaftsort auf der Passhöhe des Julierpasses im Schweizer Kanton Graubünden zu entwerfen. Foto: Laura Waclawek

„Mir ist es wichtig, dass wir spontan, zugleich aber souverän reagieren können. Gerade wenn sich alles so schnell verändert“, kommentiert Studentin Anna Vogt realitätsnahe und offene Lehrformate, die auch in ihrem Studium vorkommen. Bei der Entwicklung eines Gebäude- Entwurfs beispielsweise, ist die Arbeitsmethode der angehenden Architekten  ähnlich offen. „Wir können uns kreativ ausleben, das allein macht schon Spaß! Da können wir uns auch mal das ein oder andere erlauben und uneingeschränkt ausprobieren. Dafür ist so ein Studium ja auch da. Es gibt kein richtig oder falsch, es geht vielmehr darum, wie sich der Entwurf entwickelt. Das Feedback bereichert diesen Prozess und daraus lernen wir dann für die Zukunft.“ Abendliche Zusammenkünfte, gemeinschaftliche Lern-Treffs und kreative Brainstormings steigern das Wir-Gefühl der FH-Studierenden. Zudem trägt der intensive Austausch in Zweier- bis Sechser-Teams zu einer regen Dynamik bei. Dabei kommt es nicht, wie Vogt erklärt, zu negativem Druck oder Wettbewerb, sondern durch die Vielfalt an Meinungen zum bestmöglichen Endergebnis. Die Verabredung dazu „geht heute ruck zuck“, erzählt Dellmann „man hat es kaum ausgesprochen ,Bildet bitte Arbeitsgruppen‘, da haben die Studierenden ihre Whatsapp-Gruppe schon gegründet. Das ist eine sehr schöne, positive Veränderung.“

MÜNSTER! Magazin
SARAH THERESA SCHULTE, MARTIN NAUEN & LARA WAGEMANN, Start-up-Gründer, Foto: REACH - EUREGIO Start-up Center

Bei intensiven Lerneinheiten kommt eines beim Studium an der FH Münster sicher nicht zu kurz: Kaffeetrinken. Der beträchtliche Kaffeekonsum brachte die Studentinnen Sarah Theresa Schulte und Lara Wagemann auf die Idee für AllCup. Sie entwickelten einen essbaren Kaffeebecher, der lecker, praktisch und auch nachhaltiger als die herkömmlichen Alternativen ist. Was ihnen fehlte, war ein gelernter Produktentwickler im Team. Prof. Dr. Guido Ritter von der FH Münster kam ins Spiel und vermittelte den Kontakt zum heutigen Mitgründer Martin Nauen. Die Bachelor-Thesis nutzten die drei Gründer, um sich auf wissenschaftlicher Ebene mit ihrem Thema auseinanderzusetzen. Ritter begleitet die Truppe nach wie vor als Mentor und Experte im Bereich Lebensmitteltechnologie. „Jemand, der intuitiv begeistert ist und sich sein Leben lang schon mit diesen Themen befasst, ist genau der richtige Unterstützer an unserer Seite“, so Schulte.

„Jemand der intuitiv begeistert ist und sich sein Leben lang schon mit diesen Themen befasst, ist genau der richtige Unterstützer.“ - Sarah Theresa Schulte

Die FH Münster blickt positiv in die Zukunft, auch weil die komplette Hochschule sich im Veränderungsmodus sieht. Wenn es nach dem wissenschaftlichen Leiter der Hochschuldidaktik im Wandelwerk Harth geht, darf der Blick dafür gerne weiterhin über den Tellerrand und durch die Hörsaaltüren gehen: „Das Ziel ist, ein Studium zu formen, das nicht einfach von der Stange kommt. Wir möchten herausfinden, in welchen Bereichen wir ganz konkret flexibler und auch individueller werden können.“