MÜNSTER! Magazin

An der Wand wacht Baumeister Schlaun über den gemütlich-modernen Gastraum. Foto: Markus Dudek

N°137


Tapas als Tisch-Buffet 

Geteilte Freude ist doppelte Freude – das ist das Prinzip der Nottulner Tapas, die Markus Dudek in der Alten Amtmannei anbietet.  

Text cornelia höchstetter


Da schaut einer von der Wand in die Gaststube. Rote Wangen, violette Nasenspitze, weiße Barockperücke – mit erstaunten Augen blickt das Antlitz von Johann Conrad Schlaun zu den 
Tischen, Stühlen und blauen Bänken. Als könne dieser kaum glauben, was im Erdgeschoss seiner Alten Amtmannei in Nottuln los ist: keine Völlerei wie in seinen barocken Jahren. Heute serviert hier der westfälische Zeitgeist viele Teller mit Nottulner Tapas.

Kultur, Kaffee und Kulinarisches 

Die Alte Amtmannei in Nottuln ist eine Neue: Während die Gemeinde im Obergeschoss seit langem ihr Kulturzentrum mit Konzertsaal betreibt, ist seit dem Frühjahr das Erdgeschoss frisch belebt. Markus Dudek eröffnete im März die Alte Amtmannei neu, „als Café tagsüber, abends als Restaurant“ – und peilt zukünftig auch kleinere Kulturveranstaltungen an. Zum Weinfest im Juli und danach wird der Pächter einige Winzer bzw. dessen Weine vorstellen. „Dann stelle ich mir Lesungen am Kamin vor oder einen lateinamerikanischen Abend mit Tango und kulinarischen Highlights“.  

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Links: Auf dem Tapas-Teller trifft Porree auf Erdbeere, mit Holunder und Dill. Foto: Markus Dudek
Rechts: Vis a Vis der Kaffeebar gibt es 
einen extra Gastraum. Foto: Cornelia Höchstetter

Land-Gastro neu gedacht 

Was im 18. Jahrhundert hinter Back- und Sandsteinfassaden das Wohnhaus von Verwaltungsangestellten, oder besser „Amtsmännern“ war, ist heute ein gemütlich-edles Café oder eben eine solche Gaststätte – je nachdem, zu welcher Uhrzeit man kommt. Der neue Pächter Markus Dudek überlegte lange, welche Einrichtung Leben und Optik in den Gastraum mit dem großen Kamin einkehren lassen würde. Zudem sollte es praktikabel sein, flexibel für Gäste, die alleine oder zu zweit Ruhe suchen, ebenso für Gruppen mit bis zu acht bis zwölf Leuten. Dafür brauchte der Gastwirt Stühle und Tische zum Hin- und Herschieben. Die Tische sind Erbstücke aus der alten Zeit, ihre hölzernen Tischplatten haben die Möbelmacher der Manufaktur Kawentsmann aus Münster dazugeliefert. Ebenso reaktivierten sie die alten Stühle mit neuen Bezügen. Die Kawentsmänner sorgten bei der Einrichtung für den klaren Stil, der mit alten Stücken wie den Kronleuchtern ein Stück Tradition erhält – auch wenn LEDs für Licht sorgen. „Wir haben das Interieur ‚Diner-artig‘ gestaltet: als Kombination von Bänken und Stühlen mit den Tischen.“ Dunkelblau, edel und satt wirken die Polsterbezüge der Bänke unter den Sprossenfenstern. Dem Erbauer des Hauses, Johann Conrad Schlaun, wurde sein Stammplatz in der Ecke an der Wand zugewiesen – als Bild, gemalt vom Nottulner Künstler Manfred Hubert. Nicht nur das Gebäude stammt von Schlaun, er hat die gesamte Ortsmitte von Nottuln als Stiftsdorf gestaltet. 

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Links: Hinter der Amtmannei finden Gäste draußen Sonnen- und Schattenplätze. Foto: Markus Dudek
Rechts: 
Markus Dudek und seine Speisekarte in Edelholz. Foto: Cornelia Höchstetter 

„Der Zeitgeist ist abseits der Völlerei. Es geht um bewusstes Genießen.“

Markus Dudek

Südafrika, Franken, Münsterland 

In Nottuln lebt der neue Pächter Markus Dudek seit 15 Jahren. Von der Welt hat er schon einiges gesehen: Als kleines Kind zog er nach Südafrika, wuchs dort auf, blieb 15 Jahre dort, denn der Vater arbeitet bei Siemens. Später zog die Familie zurück an den Hauptstandort von Siemens nach Franken. In Erlangen lernte Markus Dudek erst mal was Richtiges: Bankkaufmann. Gute Basis für jemanden, der später in die Gastronomie abtaucht. Und Franken war die richtige Region, um Genuss, Gemütlichkeit und gutes Essen lieben zu lernen. „Die Essenskultur bekommt man von dort mit“, findet Markus Dudek, der den Bankkaufmann ad acta legte und mit einer Geschäftsidee in die Selbständigkeit wechselte: Er bot Fahrdienste mit Chauffeur an, spezialisierte sich als Reiseveranstalter auf kleine Gruppen, die aus dem Ausland kommen und Europa kennenlernen wollen. So lernte er Hotels und Restaurants in vielen Ländern kennen. Diese Welt fesselte ihn, ein unbezahltes halbjähriges Praktikum in einem 5-Sterne-Hotel legte er zwischendurch ein. „Harte Schule, alte Schule. Ich habe noch die Köche erlebt, die in der Küche rumschrien. Aber ich habe einiges gelernt …“, erzählt er, während er am Tisch sitzt und die Speisekarte in ihrem Holzrahmen in Händen hält. „Symmetrische Anordnung aller Möbel und Tische, die Kerzen blicken zum Eingang“, sagt Markus Dudek. Das sind nur Beispiele, die die Gäste im Unterbewusstsein wahrnehmen, die Gastro-Kennern aber vieles sagen.

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Fotos: Cornelia Höchstetter

Gemütlichkeit und Gourmet 

Das Schlaunsche Porträt des Nottulner Künstlers Manfred Hubert ist in der Gaststube ein Hingucker. Und Vorbote für den Herbst. Dann soll eine Vernissage von Manfred Hubert stattfinden und wenn der nächste Winter kommt, wird das Feuer im sandsteingefassten Kamin lodern. „Mehr Gemütlichkeit geht nicht“, meint Dudek. Für die Küche ist Max Prior verantwortlich. Dessen vorige Wirkungsstätte war das 2-Sterne-Restaurant Coeur d’Artichaut in Münster. Aber Max Prior wohnt eben in Nottuln – warum nicht auch in Nottuln kochen? Die Münsteraner Gäste sind ja mobil. Zumal es im Münsterland gefühlt immer mehr ungewöhnliche Gastro-Ideen gibt, die einen Besuch lohnen. So wachsen die Stadt Münster und das Münsterland auch kulinarisch zusammen. Vorhaben wie die Alte Amtmannei kämpfen tapfer gegen das Wirtshaussterben auf dem Land. Das ist wichtig: Wirtshaus ist Geselligkeit, Geselligkeit macht Heimat, Zugehörigkeitsgefühl, Identifikation, Gemeinsamkeit und Menschlichkeit.  

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Dekoration heißt den Gast willkommen.Blick auf die Amtmannei und den Turm der Stiftskirche von Nottuln. Fotos: Markus Dudek, Cornelia Höchstetter

Wende gut, alles gut  

Mit seinem Unternehmen für Reisen schloss Markus Dudek 2015 ab und verkaufte es. Bis dahin ist er zwischen Nottuln und Nürnberg gependelt, betreute beispielsweise geladene Gäste und Sportler von Adidas bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Das war wenig familienfreundlich, zumal 2018 sein Sohn zur Welt kam. „Dann war ich fünf Jahre im Marketingbereich in Dortmund angestellt“. Inspiriert vom Familienzuwachs eröffnete Markus Dudek 2020 mit seiner Frau das Dorfkind, das durch die Fenster der Alten Amtmannei zu sehen ist. Ein Geschäft mit Kinderkleidung und einem Caféladen, direkt neben dem Spielplatz – und dem Beginn des plattdeutschen Weges (siehe nächste Seite).  Das Konzept der Alten Amtmannei ist das trendige Regionale: Im Café rieseln die Bohnen aus der Rösterei des Stifts Tilbeck durch das Mahlwerk der Siebträgermaschine, für die aufgeschäumte Milch sind die Kühe von Hof Fockenbrock aus Telgte verantwortlich, der Kuchen kommt bei unseren Recherchen im Mai aus Senden vom Hofcafé Grothues-Potthoff. „Wir backen auch selbst und das immer mehr“, verrät der Pächter. Seit Juni hat die Alte Amtmannei eine eigene Konditorin. Das Ziel ist, alles an Kuchen selbst zu backen. In der Küche zaubert Max Prior Nottulner Tapas. Auf der Karte stehen Mittags-Tapas, Abend-Tapas und Terrassen-Tapas. „Die Tapas-Teller stehen in der Tischmitte und die Gäste teilen und probieren. Das ist für mich der Inbegriff für ein geselliges Essen“, findet Markus Dudek. „Tapas sind wie ein Tisch-Buffet“. Mit dem Finger auf der Speisekarte kommt der Appetit: Serviettenknödel, Rindfleischbällchen, dazu Dinkel-Sauerteigbrot, selbst gebacken. 100-Gramm-Rumpsteak, Mais-Quesa­dillas aus mexikanischem Maismehl und mit Bergkäse – auch regional, aber eben aus fernen Regionen. Die meisten Zutaten kommen aber tatsächlich aus dem Münsterland, verspricht Markus Dudek. Münsterländer Spargel mit Bärlauchöl – „die Öle macht Koch Max selber“, ist Markus Dudek stolz. Veganes und Vegetarisches sind in der Speisekarte extra gekennzeichnet. „Der Zeitgeist ist abseits der Völlerei. Es geht um bewusstes Genießen.“ 

alte-amtmannei-nottuln.de