MÜNSTER! Magazin

Unsere Frage: „Was macht am meisten Spaß?“ Marlon (links) und Justus finden: „Die Arbeit auf dem Acker.“ So hacken sie den Boden für die Blumenzwiebeln. Foto: Peter Leßmann

N°122


Komm, wir ackern zusammen     

Die Kinder aus der Wichtelhöhle sind Ackerdemiker: Sie pflanzen Gemüse und Salat, pflegen, harken, ernten und kochen. Vorerst setzen sie Zwiebeln für Osterglocken in die Erde – mit der Unterstützung der Senioren aus dem Kloster zum Heiligen Kreuz. 

Text Cornelia höchstetter 


Gelb leuchtet heute nur das Feuer, an dem sich die Kinder nach getaner Arbeit wärmen. An langen Stecken drehen sie Apfelscheiben bis zur Bratapfelreife. Das brennende Holz knistert, und die heiße Teetasse in den kleinen Händen tut gut. Bald wird sich das Bild im großen Garten am Spillenbach in Freckenhorst ändern: Dann blühen die Osterglocken gelb und strahlen wie kleine Sonnen.

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Emil (links) möchte wissen, welche Blumenzwiebeln das sind. Marianne (rechts) erkennt die Narzissenzwiebeln sofort. „Wir sind als Kinder immer mit dem Bollerwagen in unseren Garten losgezogen.“ Foto: Peter Leßmann

Studieren und Probieren

Dorothee Wiedeler und Jessica Kahlert leiten den Kindergarten Wichtelhöhle in Freckenhorst. Der Kindergarten nimmt seit 2019 am bundesweiten Projekt Gemüse-Ackerdemie teil (siehe weiter unten): Die Kinder haben wenige Minuten vom Kindergarten entfernt einen eigenen Garten – mit Ackerfläche, Beeten, Wiese und einem pinken Bauwagen. Das ganze Jahr pflegen, pflanzen, gießen, ernten und bereiten die Wichtel daraus Speisen zu – Letzteres in der Küche des Kindergartens, wo auch alle danach Mittagessen.

„Vor Jahren haben wir mit den Kindern schon kleinere Beete bearbeitet“, erzählt Dorothee Wiedeler. Sie arbeitet seit 27 Jahren in der Wichtelhöhle. Mit anderen Worten: Inzwischen betreut sie die Kinder ihrer ersten Kindergartenkinder. Dorothee Wiedeler ist seit jeher eine große Naturliebhaberin. Das möchte sie weitergeben: „Viele Kinder haben keinen Garten mehr im Elternhaus, auch hier auf dem Land. In der Ackerdemie bekommen sie hautnah mit: Wo wachsen die Lebensmittel? Und wie schmecken die?“ Dieses geschärfte Bewusstsein, so die Idee der Ackerdemie, soll helfen, die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln und Gemüse zu reduzieren. Nähe und Selbermachen steigert die Wertschätzung. Die Ackerdemie ist an einigen Schulen in Münster und im Münsterland vertreten. Schulgärten und Naturprojekte für kleine sowie größere Kinder und Jugendliche sind im Trend.

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Maila (Foto links) holt sich die Blumen­zwiebeln von Jutta Farwick (Foto links), der pädagogischen Leiterin im Seniorenheim. 
Die Kinder harken den Boden im Beet zum Pflanzen (Foto rechts). Fotos: Peter Leßmann 
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Wer kriecht denn da? Ein Regenwurm! Foto: Peter Lessmann 

„Mag’ ich nicht“ –  gibt’s draußen (fast) nicht
 

Die Gemüseackerdemie ist interdisziplinär aufgestellt: Kürbisse, Palmkohl, Möhren, Kartoffeln, Erdbeeren, Radieschen und mehr gedeihen unter den Kinderhänden. Mangold ist weniger Leibspeise als vielmehr Augenschmaus. „Dafür naschen die Kinder begeistert Tomaten direkt vom Strauch – selbst diejenigen, die zuhause die größten Tomatenverweigerer sind“, erleben Dorothee Wiedeler und  Jessica Kahlert immer wieder. Janne – die Tochter von MÜNSTER!-Art-Direktorin Elena Frielinghaus – ist so ein Mädchen. Lieblingsspeise aller Wichtel sind Maiskolben zum Abknabbern. Sogar einzelne Salatblätter würden auf dem Acker verzehrt, erzählen die Erwachsenen. 

Zucchini gedeihen explosiv. Weiße und Rote Kohlrabi säen die Kleingärtner im Wechsel aus. So lernen die Kinder gleich eine Spielart der Drei-Felder-Wirtschaft kennen. Im Monat Mai setzen die Wichtel zum Beispiel Kohlrabi, Salat und Mais in die Erde. Dann wird gegossen. Die bunten Gießkannen hängen am Treppenaufgang zum Bauwagen. Der ist im Sommer ein heißgeliebtes Ziel – zum Schlummern, Vorlesen, Malen, in Büchern Blättern oder um sich dort zu verstecken. 
 

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Kindergartenleiterin Dorothee Wiedeler erklärt, wie tief die Zwiebeln in den Boden müssen. Foto: Peter Lessmann

Für’s Leben lernen

Eine Fünfjährige wie Paula lernt in der Acker­demie zum Beispiel, wie lange es dauert, bis die Pflanzen wachsen und erntereif sind. Gerade am Hochbeet beobachten die Kinder diese Prozesse. Sie üben sich im sorgfältigen Umgang mit zarten Pflänzchen und mit der eigenen Geduld. „Ein netter Nebeneffekt: Auf dem Acker herrscht ein unheimlich gutes Miteinander, zur Arbeit und in der Begeisterung, wenn die Kinder etwas finden“, empfindet Dorothee Wiedeler.

Samen und Jungpflanzen gibt es wie jede Menge Infomaterialien, Fortbildungen und Ratschläge von der Organisation der Ackerdemie. Der Förderverein des Kindergartens genau wie die Eltern unterstützen die ein oder andere Anschaffung. Mit 500 Euro pro Jahr rechnen die Verantwortlichen. 

„Wenn alles blüht, ist das richtig schön. Und wir haben alle Kontakt zu den Kindern.“ – Elsa

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Lagerfeuer im Spätwinter knistert besonders gemütlich. Am Stock gart der Bratapfel – köstlich mit Zimt und Zucker. Justus wärmt sich am Tee. Fotos: Peter Leßmann

Generationenvertrag

Was die Ackerdemie in Freckenhorst besonders macht: Hier ackern nicht nur die Kinder, hier spazieren auch Besucher im Großeltern-Alter vorbei. Das Gartengrundstück mit dem pinken Bauwagen ist ein Treffpunkt der Generationen. So wie zum Ortstermin für MÜNSTER! kommen häufiger die Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Seniorenheim Kloster Zum Heiligen Kreuz vorbei. Zum Beispiel Elsa: „Ich freue mich, dass das Personal im Heim sich so um uns kümmert und hierher begleitet. So haben wir immer den Kontakt zu den Kindern.“ Sie kann das Frühjahr kaum erwarten, wenn alles blüht.

Zum Mit-Pflanzen und Anpacken sind die Besucherinnen nicht mehr mobil genug. Dafür erzählen sie von ihren Gartenerlebnissen. Maria erinnert sich, dass die Erdbeeren aus ihrem Garten nie für die ganze Familie gereicht hätten – „die Ernte passte nur in ein Händchen.“ Michael Wilken, heute der einzige Herr in der Seniorengruppe, hat den scharfen Blick fürs Grüne: „Da spitzen schon die ersten Knospen raus!“ Das Gartenprojekt findet er gut – auch, weil „die Kinder manchmal etwas vom übriggebliebenen Gemüse mit ins Kloster bringen“.

Petra Porz leitet das Seniorenheim: „Für Senioren sind Kinder echte Seelenwärmer. Wir haben schon länger einen guten Kontakt zur Wichtelhöhle: Zum St.-Martins-Tag kommen die Kinder mit ihren Laternen vorbei, zu Ostern singen sie Lieder und während der Corona-Epidemie haben sie uns auch nicht alleine gelassen, sondern Bilder gemalt und vorbeigebracht.“ Für die Kinder, das erzählen die beiden Kindergartenleiterinnen, ist es wertvoll, sich mit den älteren Menschen zu treffen und so die Scheu vor dem Altwerden, dem Alter oder vor Menschen im Rollstuhl zu nehmen.

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So schmeckt der Sommer: Zucchini und rote Bete (Foto rechts) werden im Sommer geerntet, dann steht der Bauwagen im Grünen (Foto links). Fotos: Kindergarten Wichtelhöhle

Boden-Lehre

Raus geht es für die Kinder im Sommer wie im Winter, oft mehrmals pro Woche. „Unsere Pflücksalate versorgen uns sogar bis in den November“, erzählen die Kindergartenleiterinnen. Marlon und Justus stehen derweil in ihren Gummistiefeln auf dem Acker und verteilen mit einer Harke die schützende Laubschicht neu. „Das machen wir etwa alle zwei Wochen“, erzählen die Kindergärtnerinnen. Das Mulchen soll den Boden fruchtbarer machen und gleichzeitig vor der Winterkälte schützen. Hinter dem Staketenzaun – extra niedrig für kurze Kinderbeine – steht derweil Paula und gräbt Löcher für die Blumenzwiebeln. Im Garten geht es rund: ein Kind findet eine längst verloren geglaubte Boccia-Kugel im Beet, drei anderen quieken, weil sie Regenwürmer entdecken und über ihre Finger kriechen lassen. Ihr Fazit ist: Eigentlich fehlen nur ein Bananen- und ein Limonadenbaum. Wie bei Pippi Langstrumpf.

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Bis zum Sommer gibt es noch ein Blätterbad mit tobenden glücklichen Kindern. Foto: Peter Leßmann 

Narzissen oder Osterglocken

Osterglocken oder Gelbe Narzissen gehören zu den Frühblühern. Manchmal wachsen sie wild, aber es gibt auch Sorten für den Garten, die 40 bis 60 Zentimeter hochwachsen. Die Zwiebeln pflanzt man am besten schon im Herbst, aber meistens klappt es auch noch im Januar, wie bei den Freckenhorster Wichteln. Sind die Zwiebeln im Boden, spitzen die Narzissen im Frühling ans Licht und blühen im März und April – meistens gelb, manche haben auch weiße oder weißgelbe 
Blüten. Sie vermehren sich in den folgenden Jahren durch Brutzwiebeln. Achtung – die Kinder wussten Bescheid und haben aufgepasst, seien auch Sie vorsichtig: Narzissen sind giftig.

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Austausch über (Kinder)-Garten-Erinnerungen zwischen Michael Wilken und Cornelia Höchstetter. Foto: Peter Leßmann

Erinnerungen

Michael Wilken aus dem Seniorenheim und MÜNSTER!-Redakteurin Cornelia Höchstetter tauschen ihre (Kinder)-Garten-Erinnerungen aus: Michael Wilken hatte früher selber einen Garten, „mit vielen Tomaten!“. Die Redakteurin erinnert sich an ihren Kindergarten – statt Beete gab es einen riesigen Sandkasten mit Holzpfählen zum Balancieren und in den Sand springen. Die Wichtelkinder werden die Tage auf dem Acker im Herz und im Kopf behalten. Ein Projekt, das Erinnerungen fürs Leben schafft.

Die Gemüse Ackerdemie

Seit 2014 gibt es das bundesweite Bildungsangebot Gemüse Ackerdemie für Kindergarten- und Schulkinder. Die Gründe für das Projekt waren: Kinder kommen immer seltener in direkten Kontakt mit der Natur; immer weniger Kinder wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen; viele Kinder bewegen sich zu wenig und ernähren sich ungesund; zu viel Obst und Gemüse landet im Müll. Das alles soll sich ändern, wenn Kinder selber Gemüse anpflanzen, den Acker pflegen, ernten, das Gemüse verarbeiten und selber essen. Die Gemüse Ackerdemie hilft bei der Anbauplanung, Saat- und Pflanzgut wird geliefert und Fortbildungen der Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen sind inklusive. Mehr als 1.350 Lernorte in Deutschland, Schweiz, Österreich und Liechtenstein gibt es bereits.

acker.co/gemueseackerdemie

In Münster und im Münsterland


Hier sind unter anderem folgende Einrichtungen dabei:

Kindergarten Wichtelhöhle,
Warendorfer Str. 29 in Freckenhorst. Aktiv seit 2019.

Kita Sonnentau, 
Im Sonnentau 15 in Münster, ebenfalls seit 2019 dabei.

Laurentiusschule Coesfeld,
Overhagenweg. Aktiv seit 2020.

Kita KiKu Lüttenland,
Georg-Muche-Straße 13 in Telgte. Aktiv seit 2021.

Städtischer Kindergarten,
am Schulzentrum Wolbeck in Münster. Aktiv seit 2019.

Schule an der Ems,
Alte Lindenstraße 25,
Nelson-Mandela-Gesamtschule,
beide in Greven, erste aktiv seit 2021, die zweite seit 2019.

Montessori Gesamtschule Sendenhorst,
Am Teigelkamp 5. Aktiv seit 2019.