MÜNSTER! Magazin

Verschiedene Stadtansichten von Warendorf. Foto: Cristina Costas Rodríguez

N°122


Schweinemarktdrucke aus Warendorf:  Jedes Haus ein eigenes Gesicht

Ein Faible für alte Häuser hatte Cristina Costas Rodríguez schon immer. Und Spaß am Zeichnen und kreativ sein sowieso. In Warendorf fertigt sie kunstvolle Häuserdrucke auf Stempelgummi an, mit viel Lokalkolorit und persönlichen Geschichten. 

Text Nina Lenze


Ein beliebtes Motiv etwa ist die Warendorfer Skyline, die den Großteil der historischen Häuser am Markt abbildet. Die grafische Exponierung scheint den alten Bürgerhäusern aussagekräftige Gesichter zu verleihen, fast so, als würden sie zu neuem Leben erwachen. Dass ihre stilisierten Zeichnungen auf so großes Interesse stoßen, hätte die Wahl-Warendorferin selbst nicht gedacht. Bei einem Werkstattbesuch verrät sie, wie alles angefangen hat, was sie an alten Häusern so fasziniert, warum gerade Instagram eine geeignete Plattform für ihre Arbeit ist und welche neuen Projekte inzwischen dazugekommen sind.

MÜNSTER! Magazin
Vor kurzem ist die Künstlerin Cristina Costas Rodríguez mit ihrer Werkstatt in einen kleinen Laden am Schweinemarkt gezogen. Foto: Nina Lenze 

Wie alles begann

Die gebürtige Cuxhavenerin mit spanischen Wurzeln ist von Haus aus Historikerin und Volkskundlerin und hat sich schon im Studium begeistert mit Alltagskultur und Alltagsphänomenen beschäftigt. Und wie Menschen zusammenleben, welche sozialen und kulturellen Hintergründe eine Rolle spielen, spiegelt sich letztlich auch in der Architektur wider. „Alte Gebäude atmen Geschichte, in historischen Straßenzügen scheint gewissermaßen die Zeit still zu stehen. Man spürt die Vergangenheit und bekommt eine vage Vorstellung davon, wie die Menschen hier früher gelebt haben“, erklärt die Künstlerin bei unserem Gespräch Ende letzten Jahres. Cristina Costas hat ein fröhliches Auftreten, mit einem Lachen in den Augen, und ist voll kreativer Energie und Tatendrang. Mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen wohnt sie mitten in Warendorf in einem schönen alten Fachwerkhaus direkt am Schweinemarkt. Daher auch der Name Schweinemarkt, unter dem ihre Arbeiten gelabelt sind. Wir treffen uns zunächst bei ihr zu Hause. Draußen ist es kalt und ungemütlich, drinnen gibt es heißen Tee. 

Angefangen hat alles 2017 in der Ateliergemeinschaft Die Bunte Kuh, der sie mit verschiedenen kleineren Projekten wie Näh- und Holzarbeiten und dekorativen Accessoires beigetreten ist. Fast zufällig ist sie hier auf den Stempeldruck gekommen, bei dem ihr das Stempelgummi als weiches und leicht zu bearbeitendes Material als besonders geeignet erschien. Schnell hat sie Gefallen gefunden am schrittweisen Entstehungsprozess, dem detaillierten Zeichnen, dem sorgfältigen Übertrag auf das Stempelgummi, dem feinen Schnitzen und abschließenden Drucken. „Der erste Druck war die Fassade unseres Hauses, mit dem Hinweis: Ihr Haus als Druck. Und das lief gut!“ Erste Anfragen kamen, und es sprach sich herum, was sie da machte und konnte. Da ihre Drucke nicht nur bei Hausbesitzern beliebt waren, entstanden bald auch eigene Arbeiten von bekannten Altstadthäusern als Einzelporträt oder Stadtansicht mit mehreren Gebäuden.

MÜNSTER! Magazin
Das schöne alte Fachwerkhaus war eine Auftragsarbeit. Foto: Cristina Costas Rodríguez 

Geschichten erzählen mit Bildern

Jedes Haus hat eine Geschichte. Alte Häuser allemal. Sie überliefern ein Bild verschiedener Epochen und ihrer Baustile und Bauweisen, welche Materialien verwendet wurden und welche Handwerkstechniken wie zum Einsatz kamen. Und sie erzählen persönliche Geschichten. Wer darin gelebt hat, welche Schicksale sich abgespielt haben und vieles mehr. Auch deshalb hat die Warendorfer Altstadt mit ihren vielen alten Fachwerkhäusern Cristina Costas so fasziniert. Etwa der historische Marktplatz mit seinem intakten Ensemble gut erhaltener Patrizierhäuser und dem weißen Rathaus oder die verwinkelten Häuser in den angrenzenden Gassen mit ihren interessanten Giebeln und Fassaden. Durch ihre intensive Beschäftigung mit den Häusern und ihre Herauslösung aus dem Kontext, was etwas Sezierendes hat, verleiht sie ihnen eine ganz eigene Bedeutung. Die Darstellungen variieren in Form und Größe, arbeiten aber immer die architektonischen Besonderheiten heraus. So vereint die Skyline einen Großteil der Markthäuschen, die zwar nicht wirklichkeitsgetreu abgebildet sind, dafür aber den charmanten Charakter des Platzes verstärkt zum Ausdruck bringen. 

Aber auch die Türme der Stadt haben es ihr angetan. Allen voran der alte Wasserturm von 1908, ehemals höchster geografischer Punkt in Warendorf und heute ein bedeutendes Industriedenkmal der Stadt, der ins Grafische transformiert besonders reizvoll zur Geltung kommt. Ebenso der tendenziell eher wuchtig wirkende Marienkirchturm als Überbleibsel der ehemaligen Marienkirche, der im Mittelalter vermutlich als Wehr- und Fluchtturm genutzt wurde und heute abseits der neuen Kirche steht. Im Gegensatz dazu erscheint die eindrucksvolle Turmgruppe der Laurentiuskirche, deren Grundmauern um 800 errichtet wurden und die damit älteste Kirche der Stadt ist, fast bodenständig. Der spitz zulaufende Mittelturm mit seinen zwei kleinen Türmchen ist allerdings das Ergebnis von Umbauarbeiten 1913/14. Gerade in Cristina Costas Nebeneinander der Türme zeigen sich die charakteristischen Eigenarten der Bauwerke.

MÜNSTER! Magazin
Der Warendorfer Wasserturm von 1908 als Stempelgummi. Foto: Cristina Costas Rodríguez

Das Goldene Tor von Kiew: Ein Spendendruck

Unter dem Eindruck des Ukrainekrieges kam ihr im Frühjahr 2022 dann die Idee, einen Spendendruck anzufertigen, der das Goldene Tor von Kiew zeigt. Das historische Stadttor ist eine Rekonstruktion der Ruine des alten Tors von 1037 und gilt als eines der bedeutendsten Baudenkmäler von Kiew. 100 Prozent des Erlöses des 30 x 40 Zentimeter großen Originaldrucks gingen an die lokale Hilfsorganisation Aktion Kleiner Prinz, die sich vor Ort vielfältig engagiert. „Mit dieser Arbeit wollte ich meinen eigenen kleinen Beitrag leisten und meine Solidarität zum Ausdruck bringen.“

MÜNSTER! Magazin
Alles fertig für den Spendendruck vom Goldenen Tor von Kiew, dessen Erlös zu 100 Prozent an die lokale     Hilfsorganisation Aktion Kleiner Prinz in Warendorf ging. Foto: Cristina Costas Rodríguez

„Etwa 20 Arbeitsstunden dauert so ein Prozess 
im Schnitt.“ – Cristina Costas Rodríguez
 

Am Anfang steht immer ein Foto

Nachdem wir einen Blick auf eine Handvoll originale Stempelgummis geworfen haben, die hier in einem alten Zeichenschrank lagern, wechseln wir in ihren neuen Werkstattladen schräg gegenüber. Das frisch gemalerte kleine Ladenlokal am Schweinemarkt erstrahlt in hellem Weiß, im Schaufenster sind einige ausgesuchte Objekte präsentiert. Mitten im Raum steht ein großer Arbeitstisch mit Zeichnungen, verschiedenen Druckplatten und Farben und natürlich einer Druckerpresse, drumherum wenige Regale mit diversen Vorlagen und älteren Arbeiten. Die Vorgehensweise ist immer gleich. Zunächst nimmt Cristina Costas das zu porträtierende Gebäude von allen Seiten in Augenschein. Dann werden Fotos gemacht. Möglichst von einer Warte aus, von der aus man das ganze Objekt aufs Bild bekommt. Wenn sich drumherum störende Elemente wie angrenzende Häuser, parkende Autos oder Bäume befinden, werden diese bei Bedarf am Rechner entfernt. Auch eventuell verzerrte Perspektiven lassen sich so kaschieren und korrigieren. Die Fotografie dient nun als Vorlage für eine feine Handzeichnung mit weichem Bleistift auf Transparentpapier, die anschließend auf das Stempelgummi übertragen wird. Ihr bevorzugtes Stempelgummi gibt dabei die Maximalmaße 22 × 30 Zentimeter bzw. 30 × 30 Zentimeter vor. Und natürlich die Druckerpresse, die alles bis DIN A3 fasst. Ähnlich wie beim Linoldruck wird das Stempelgummi dann mit unterschiedlich feinen Linolmessern geschnitzt, probe­gedruckt und gegebenenfalls noch verändert und retuschiert. „Etwa 20 Arbeitsstunden dauert so ein Prozess im Schnitt.“

MÜNSTER! Magazin
Bis zum fertigen Druck braucht es viele einzelne Schritte (links). Die Skyline von Warendorf (rechts). Fotos: Cristina Costas Rodríguez

„Viele Kunden finden mich auf Instagram“

Auf ihrem Instagram-Kanal gibt Cristina Costas Einblick in ihre Arbeit und stellt die einzelnen Schritte anhand von kleinen Foto- und Videosequenzen vor. „Hier werden potentielle Interessenten auf mich aufmerksam und schreiben mich dann direkt an.“ Neue Aufträge gibt es reichlich. Hausbesitzer mit einer großen emotionalen Beziehung zu ihrem Haus suchen den Kontakt, um ein Porträt anfertigen zu lassen.

MÜNSTER! Magazin
In Zusammenarbeit mit Kantholz sind auch diese schönen Holzanhänger entstanden. Foto: Cristina Costas Rodríguez 

Gut vernetzt

Aber auch auf lokaler Ebene funktioniert der Kundenkontakt gut. Ihre Drucke von Warendorfer Altstadthäusern haben sich herumgesprochen. Seit 2021 werden ihre Arbeiten zudem bei NaTour­Erlebnis verkauft, einem schönen kleinen Laden mitten in der Altstadt mit vielen nachhaltig ge­fertigten Produkten und Arbeiten von lokalen Künstlern. Im letzten Jahr hatte Cristina Costas sogar einen Stand auf dem Warendorfer Weihnachtsmarkt, zusammen mit Kantholz, einem lokalen Möbelbauunternehmen mit Schwerpunkt auf außergewöhnlichen Unikaten, das außerdem einige ihrer Motive weiterverarbeitet hat. Zum Beispiel schlichte Holzschneidebretter mit der Warendorfer Skyline oder die Silhouette ihrer Markthäuser als filigrane Metalllampe. Neben den Hausdrucken auf Papier und bedruckten Kissen und Leinentüchern mit warendorftypischen Motiven gehören die aufwändig produzierten Weihnachtskarten zu den Highlights. „Acht Ebenen hatte die Weihnachtskarte von 2022“ berichtet Cristina Costas stolz. „Und sie ist up platt! Münsterländer Platt!“ Seit kurzem fertigt sie außerdem stilvolle Töpferarbeiten sowie handgefertigten Keramikschmuck. Auch für die Zukunft hat sie schon Pläne: Auf der To-do-Liste stehen weitere Seriendrucke mit westfälischen Redewendungen und architektonische Porträts kleinerer Orte in der Region. Geschichten, die bislang kaum oder gar noch nicht erzählt wurden.

schweinemarkt.com