MÜNSTER! Magazin

Foto: Daniel Witte

Mai 2021 N°102


Eine Reise zur Gelassenheit

Aus dem frech-sympathischen Wer-wird-Millionär- Gewinner Leon aus Münster ist inzwischen Doktor Windscheid geworden. Dennoch ist er weit davon entfernt, gesetzt, abgehoben oder verkopft zu sein. Der Experte in Sachen menschliche Psyche beschreibt in seinem neuen Buch sehr nahbar, konkret und bildhaft, warum unsere Gefühle so wertvoll sind und wie wir sie für uns nutzen können. Das MÜNSTER! Magazin sprach mit dem promovierten Psychologen Dr. Leon Windscheid (32) über Gelassenheit in Münster, Trubel in Berlin und den Irrglauben, dass Geld glücklich macht.

Text KATRIN JäGER


Herr Windscheid, Ihr neues Buch „Besser Fühlen – Eine Reise zur Gelassenheit“ ist sehr persönlich geworden. Haben Sie sich mehr Gelassenheit gewünscht in Ihrem Leben?

Leon Windscheid: Absolut. Ich habe versucht, die größten Fragen, die mich umtreiben, zu klären. Und das, was ich aus den Gesprächen mit Wissenschaftlern, aus Experimenten und aus der atemberaubenden Wissenschaft zusammengetragen habe, das wollte ich teilen. Ich habe gemerkt, dass das alles viel mit mir macht.

Zusammen mit Atze Schröder sind Sie regelmäßig in dem Podcast „Betreutes Fühlen“ zu hören. In einer Folge geht es um Geduld. Dort sprechen Sie auch über Ihr Buch, das Sie zu der Zeit gerade vorbereitet haben. Lief das also parallel – Podcast und Buchrecherche?

Ja, total. Die schönsten Podcast-Folgen sind die geworden, bei denen es um Kapitel in meinem Buch ging. Weil ich da ja unglaublich umfangreich recherchieren konnte. Ich bin jemand, der sich in ein Thema reinkniet, auch ein paar Monate lang. Die Folge mit der Geduld hat mir gut gefallen, weil ich wusste, dass wir in einer Welt, in der alles so schnell und hektisch ist, in dem Amazon am selben Tag liefern soll und wir schon ausrasten, wenn wir mal ein paar Sekunden in der Supermarktschlange stehen, die Geduld zurück brauchen. Denn die großen Probleme unserer Welt – und auch unsere großen Projekte – brauchen die Langstrecke.

Sie leben ja nicht nur in Münster, sondern auch in Berlin. Das Ungeduldige, Hektische findet man doch dort noch mehr, oder?

Das beobachte ich auch bei mir selbst. Wenn ich zwei Wochen in Berlin war, dann freue ich mich wieder sehr auf das beschauliche Münster. Aber umgekehrt ist es genauso. Wenn ich länger in Münster war, denke ich, „jetzt mal wieder in den Trubel“.

Brauchen Menschen immer diesen Gegenpol?

Ja, das ist auch die Kernbotschaft des Buchs. Es ist das Auf und Ab unserer Gefühle, das Wechselbad – es macht uns als Menschen einzigartig, so viele Gefühle wahrzunehmen und für uns zu nutzen. 

Schwanken Sie selbst auch in Ihren Gefühlen?

Manchmal suche ich ganz bewusst und geduldig langweilige Momente auf, um Dinge zu klären, runterzukommen, Gedanken in meinem Kopf zuzulassen. Doch dann will ich auch mal wieder raus und die krassen Impulse haben, mit anderen Menschen reden, Dinge kennenlernen, die dann eher etwas mit Neugier und Sensationslust zu tun haben. Und mit Aufregung. Das macht das Menschsein aus.

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Auf Erfolgskurs: Leon Windscheids Ausflugsschiff MS Günther kommt inzwischen ohne ihn zurecht. Er konzentriert sich jetzt voll und ganz auf die Psychologie. Foto: Daniel Witte

Fühlen Sie in Münster besser, fühlen Sie sich selbst sogar besser?

Ich habe immer damit gehadert, weil mir jede Form von Lokalpatriotismus fremd ist. Ich habe in vielen verschiedenen Ländern leben dürfen – in Frankreich, in Spanien, in der Türkei, in Deutschland. Ich sehe mich als Europäer, als Weltbürger und weniger als ein Deutscher. Geschweige denn fühlte ich mich einer bestimmten Stadt verbunden. Doch seit 2009 bin ich in Münster, und je länger ich hier bin, desto besser kann ich nachvollziehen, dass die Leute auf diese Stadt abfahren. Wenn man auf den Wochenmarkt geht, zum Hansaring, an den Hafen – und wenn dann noch unser Schiff vorbeifährt, dann merke ich manchmal, dass ich ein Gefühl dafür kriege, was Heimat ist.

Aber trotzdem sind Sie kein Lokalpatriot?

Ich habe mich eigentlich immer dagegen gewehrt. Und ich würde jetzt nicht mit einem Münster-T-Shirt rumlaufen, so weit geht es nicht. Aber ich kann nachvollziehen, dass man diese Stadt sehr mag. Und das ist ein anderes Grundgefühl als das, was ich in Berlin habe. Da ist es der Trubel, die Leute, die man dort kennt.

Wieviel Zeit verbringen Sie in Ihrer Fünfer-WG in Münster und wieviel in Ihrer Zweier-WG in Berlin?

 Ohne Corona war es so halb-halb. Jetzt bin ich deutlich mehr in Münster und sehr dankbar dafür, dass die Inzidenzwerte hier oft viel niedriger sind als in Berlin. In Ihrem Buch geht es auch um das Thema Glück und wie vergänglich es ist.

Wann war Ihr Glücksgefühl über den Millionengewinn bei „Wer wird Millionär?“ am größten und wann flachte es wieder ab?

Der glücklichste Moment war damals, als es vorbei war. Ich war so aufgeregt und angespannt in dem Moment, dann war da auf einmal so eine Leere. Ich habe vor Erleichterung geschrien. Es gab aber nie den Moment, in dem ich gedacht habe, dieser Betrag auf dem Konto macht mich jetzt glücklich. Ich bin immer irritiert, wenn Leute versuchen, ihr Glück aus dem Geld zu ziehen. Sei es mit Statussymbolen, die man peinlich nach außen trägt, oder immer versucht noch mehr Geld anzuhäufen.

Also macht Geld nicht glücklich?

Nein. Dass das Geld selbst glücklich macht, das ist ein Trugschluss! Man kann mit Geld kein Glück kaufen. Das ist nicht respektlos gemeint, denn ich weiß genau, wie unfassbar viel Geld das war, und dass dieses Geld eine Freiheit bedeutet, für die ich unbeschreiblich dankbar bin und auch sein muss. Trotzdem: Wenn ich zum Beispiel an die MS Günther denke, das gegründete Unternehmen – dafür hätte ich so viel Geld nicht gebraucht. Nicht mal im Ansatz. Ich glaube, man hätte es mir auch geliehen. Dann hätten wir zwar den Jauch am Anfang nicht gehabt, aber das ist jetzt Jahre her und das Schiff läuft besser denn je. Das Interesse am Boot ist viel höher als zu Beginn. Und damit ist das Schönste, dass mir das Geld die Angst genommen hat zu scheitern.

Sie belegen mit Ihren beiden Podcasts Spitzenplätze, touren mit eigenem Programm durch die Republik, sind im TV zu sehen und jetzt erscheint Ihr zweites Buch – soll es künftig so weitergehen, oder wollen Sie Ihr pralles Programm vielleicht sogar etwas abspecken?

Immer abspecken! Beispielsweise beim Schiff habe ich gemerkt, dass es viel besser läuft, seitdem ich nicht mehr in der Geschäftsführung bin, sondern Nina das macht. Das war auch keine ganz einfache Erfahrung, weil ich lernen musste, loszulassen und mich selbst hintenanzustellen. Aber es macht mich bei diesem Projekt am glücklichsten, dass das jetzt so toll mit diesem ganz jungen Team läuft. Abgesehen davon ist dieses Buch zwar jetzt fertig, aber ich habe schon fünf neue Bücher, die ich noch schreiben will. Außerdem hoffe ich, dass im Herbst meine Tour wieder losgeht. Und mit den Podcasts habe ich damit eh mehr zu tun als der Tag Stunden hat.

Ihr Fazit jetzt, nachdem Sie das Buch geschrieben haben: Sind Sie gelassener dadurch geworden?

Wo ich früher vielleicht noch den nächsten Schritt gegangen wäre und wieder versucht hätte, einen extra Meter zu rennen, da setze ich mich inzwischen aufs Fahrrad und fahr in die Rieselfelder. Ich genieße es, wenn mir dann dieses Münsteraner Wetter ins Gesicht schlägt und ich dann auf diesen Turm dort klettern und einfach gucken kann. Dann merke ich, es liegt sehr viel Zufriedenheit darin, nicht nur weniger zu haben, sondern auch weniger zu tun.

„Die großen Probleme unserer Welt – und auch unsere großen Projekte – brauchen die Langstrecke.“ LEON WINDSCHEID

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Besser fühlen: Eine Reise zur Gelassenheit Rowohlt Verlag ISBN, 978-3-499-00377-6 16 Euro Bitte unterstützen Sie den lokalen Buchhandel! Danke.