MÜNSTER! Magazin

Foto: Cornelia Höchstetter

N°113


Gib mir die Kugel

Ein Wurf, ein Schlag und die Stahlkugeln stieben auseinander. Beim Boule legen oder schießen die Spieler ihre Stahlkugeln möglichst nah an die kleine Zielkugel – ganz nebenbei pflegen sie die gute Gesellschaft, haben Spaß an Bewegung und sind überzeugt: Boule ist ein Sport für alle. 

Text cornelia höchstetter


Es gibt Themen, die schiebt man wie eine Kugel vor sich her. Boule ist ein solches Beispiel. Immer wieder kreuzten sich unsere Wege: Im Rosengarten in Seppenrade (MÜNSTER! #104/Juli-August 2021) hatten wir einen wunderschönen Bouleplatz entdeckt. Kürzlich stellte der Fahrradclub ADFC sein neues Jahresprogramm vor – neu dabei: Boule und Bike. Als unsere Kollegin Beate Dechant ganz angetan von den Spielerinnen und Spielern am Aasee erzählte, war klar: Jetzt, zur Freiluftsaison, ist die perfekte Zeit für uns, diese Kugel zu spielen. Und was sollen wir erzählen: Selten so vielen freundlichen Menschen an einem einzigen Tag begegnet!

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Carola Kiwitt  misst nach, welche Kugel näher am „Schweinchen“ liegt. Der neue Punktestand wird in dem schicken Lederbändchen markiert. Fotos: Cornelia Höchstetter

Laisser faire – auch ohne Baskenmütze 

„Es ist Bewegung für den ganzen Körper“, beschreibt Carola Kiwitt vom Klub für Kugelsport (KfK) Münster e. V. Wir treffen sie und weitere Mitglieder am Vereinssitz im Sportpark Sentruper Höhe, neben dem Freilichtmuseum Mühlenhof. Dort haben die Spieler seit der Vereinsgründung 1986 ein „Boulodrôme“ mit inzwischen über 40 Spielbahnen gebaut.  Im Spiel mit den Stahlkugeln (650 bis 800 Gramm schwer) geht es darum, die eigene Kugel möglichst nah am Ziel zu platzieren oder die gegnerische Kugel, die nahe am Ziel liegt, wegzuschießen. „Wir bücken uns mindestens hundertmal und bewegen so im Verlauf eines Boule-Tages mit fünf bis sechs Partien fast eine Tonne Gewicht!“, erzählt Carola Kiwitt, die auf dem Kopf eine rote Kappe trägt, die sehr an eine Baskenmütze erinnert. Schließlich kommt das Spiel aus Frankreich. „Nein, das ist keine Baskenmütze“, lacht sie, und in ihrem Fall sei es die heute fehlende Frisur, weshalb sie die Kappe trägt. Damit ist eins geklärt: Boulespielerinnen und Boulespieler sind völlig unkonventionell und unkompliziert. Auf diese Weise eben schon etwas französisch, ein bisschen Laisser-faire. 

Spiel, Spaß und Spannung 

Boule wird in Münster an verschiedensten Orten gespielt. „Sport für alle“ sagen die Fans, und das funktioniert organisiert wie unorganisiert, verabredet im Freundeskreis oder spontan, weil jemand neugierig beim Spiel zuschaut und sich plötzlich mitten drin befindet. Christoph Roderig gehört zum Vorstand des KfK. Sein Herz schlägt für die organisierte Kugel: So erklärt er uns, dass der deutsche Pétanque-Verband aus zehn Landesverbänden mit insgesamt 22.000 Lizenzspieler bestehe. Die KfK-Spieler spielen Turniere im In- und Ausland. Aber auch reine Spaßspieler finden beim KfK ihren Platz. Da tun sich Janne und Henry Jürgens hervor. Henry Jürgens ist aktives Mitglied des Breitensport-Ausschusses im Boule- und Pétanqueverband NRW (BPV NRW e. V.). Die beiden organisieren in diesem Jahr zum ersten Mal gemeinsam mit dem ADFC Münsterland Rad-Touren unter dem Motto „Boule & Bike“. So liegen in der Fahrradtasche die Stahlkugeln und die Fahrt geht los, um unterwegs immer mal zum Spielen anzuhalten. Zum Beispiel am Aasee.    

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Probefahrt für Boule & Bike: Am Samstag, 4. Juni, startet die erste Tour um 9.30 Uhr ab dem Sportpark Sentruper Höhe neben dem Mühlenhof. 55 Kilometer zu den schönsten Bouleplätzen, Leihkugeln werden gestellt. Foto: Cornelia Höchstetter
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So beginnt der Spielenachmittag: Alle stehen in einer Reihe, und beim „Auswerfen“ entscheidet sich, wer in welcher Mannschaft spielt. Mischen also, wer mit wem. Foto: Cornelia Höchstetter

Unter Platanen mit Blick aufs Wasser Zwischen 

Zwischen Café Zum Himmelreich und Segelclub Münster treffen sich im Schatten der Platanen alle, die Lust auf Kugeln haben. „Mischen!“ ist das Motto, wenn die Spieler mit dem Wurf der Kugel auslosen, wer in welcher Mannschaft spielt. Zwei gegen zwei mit je drei Kugeln (Doublette) oder drei gegen drei Spieler mit je zwei Kugeln (Triplette). Gewonnen hat die Mannschaft, die zuerst 13 Punkte hat. „Es gab schon Partien, die haben bis zu vier Stunden gedauert“, erklärt Christoph Roderig. „Beim lockeren Spiel in der Freizeit ist das natürlich fast ausgeschlossen, hier dauert es selten länger als eine knappe Stunde.“, fügt er ergänzend hinzu. Er gibt einen Crashkurs und drückt uns drei Stahlkugeln in die Hände. „Beide Füße stehen am Boden und bleiben so, bis die Kugel im Sand liegt“, erklärt er und zieht mit der Ferse den sogenannten Abwurfkreis in den Sand. „Vor dem Werfen musst Du den Bauch anspannen“ – Boulespieler sind „per Du“. „Beim Halten der Kugel Daumen weg, nur die Finger dran, Handrücken nach oben und Hand vorführen und dann die Kugel loslassen. Mit der Hand die Bewegung fortführen“ – so geht „Legen, „als ob man einen Vogel fliegen lässt“, beschreiben die Könner. „Je später der Plumps, je kürzer das Roll“, damit meint Christoph Roderig, dass ein hoher Wurf keine schlechte Idee ist, um den holperigen und damit unkalkulierbaren Landgang der Kugel bis zum Schweinchen, der Zielkugel, zu verkürzen. Anders ist das „Schießen“: dabei nimmt man die Kugel des Gegners ins Visier nehmen und versucht, sie „wie beim Wurf auf eine Untertasse wegzuschießen“. Wem das gelingt, der bringt mit einem Chaos davonstiebender Kugeln eine neue Ordnung aufs Spielfeld.  

„Verabredungen oder Anmeldungen sind unnötig, einfach kommen, es sind fast immer ausreichend SpielerInnen da.“
 Rudolf Müller

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Foto: Cornelia Höchstetter

Im Sommer ab 16 Uhr 

Einer, der im Sommerhalbjahr oft am Aasee Boule spielt, ist Rudolf Müller. Der Designer und Künstler trägt ein selbstgestaltetes T-Shirt: „Schwerter zu Boulekugeln“ lautet seine Friedensbotschaft. „Boule ist ein friedliches Spiel, fast eine Menschheitsutopie von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit  – kommt ja auch aus Frankreich. Wer drei Kugeln hat, kann immer gern dazu kommen und mitspielen.“ Gespielt wird täglich ab etwa 16/17 Uhr, am Wochenende schon früher. „Verabredungen oder Anmeldungen sind unnötig, einfach kommen, es sind fast immer ausreichend SpielerInnen da“, lädt Rudolf Müller ein. Anfänger können direkt einsteigen, sie lernen das Wichtigste direkt im Spiel. Ob das für erfahrene Spieler nicht langweilig wird? „Klar, es wird auf unterschiedlichen Niveaus gespielt, die Teams sind aber gemischt und so gleicht es sich aus, die Spiele bleiben spannend. Es gibt zwar mehr taktische und technische Feinheiten, als manche anfangs denken. Trotzdem sehen wir es hier am See nicht so sehr als Sport, sondern als Gesellschaftsspiel, zu dem auch stilvolles Verlieren gehört“, erklärt Müller.

Die Geschichte des Boule-Spiels  

Boule, Pétanque, Kricket, Boccia oder auch Boßeln: all das sind Spiele mit Kugeln, die in verschiedenen Ländern schon ab dem 19. Jahrhundert Volkssport waren. In Frankreich gab es Boule Parisienne, Boule Lyonnaise oder das Jeu Provençal. Jedes Spiel hatte eigene Kniffe und Regeln, damals mit Schwung, Anlauf und viel Bewegung. Überliefert ist, dass in der Nähe von Marseille im Ort La Ciotat einer der Spieler, Jules Le Noir, sich wegen eines Unfalls, einer Behinderung oder wegen Rheuma (verschiedene Quellen liefern verschiedene Geschichten) kaum bewegen und nicht mehr an einem Spiel mit Anlauf teilnehmen konnte. So soll er aus Frust auf der Bank begonnen haben, Kugeln im Sitzen auf kurze Distanz zu werfen. Seine Kameraden überlegten sich daraufhin, die Kugeln aus einem Abwurfkreis ohne Anlauf zu spielen, aber aus dem Stand. So konnte Jules Le Noir wieder mitmachen. Alle für einen und Boule für alle. 1910 wurden die neuen Regeln niedergeschrieben. 

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Links: Mark Schubert in der Abend­sonne von Gremmendorf. Die einen sagen Boule (wie Federball), die anderen Pétanque (wie Badminton). Pétanque kommt vom provençalischen „pieds tanqués“ – geschlossene Füße. Es gibt viele Spielflächen in Münster, das städtische Sportamt listet unter anderem alle Wege im Schlosspark auf. Fotos: Cornelia Höchstetter

Francophiles Gremmendorf 

Apropos Frankreich – dort hat Mark Schubert das Spiel kennengelernt. Wir besuchen ihn in Gremmendorf. Er engagiert sich im SC Gremmendorf in der Boules-Abteilung. „Es ist der geeignete Sport, um lange Nachmittage unter Platanen in Parks zu verbringen“, erlebte Mark Schubert in Frankreich, und lernte dort seine französische Frau kennen. Inzwischen leben beide in Münster und sind in Gremmendorf im Verein, dessen Platzadresse nach Urlaub klingt: Am Hohen Ufer. „Wenn der Schwiegervater zu Besuch ist, spielt er hier mit, obwohl er kein Wort Deutsch spricht“, freut sich Mark Schubert. Er arbeitet in einer IT-Firma und hat schon mehrmals die Kollegen zum After-Work-Boule mitgebracht. Die Idee für die Zukunft ist, Gymnasiasten mit Leistungskurs Französisch auf den Platz einzuladen.  Abteilungsleiter Ingo Holz zeigt Gästen gerne das Zelt für das Ganzjahresspiel und öffnet den Kühlschrank für ein Willkommens-Getränk. An Sommerabenden, so erzählen die Spieler zwischen Legen und Schießen, Kugeln putzen und Zielen, wird gemeinsam gegrillt. Boule macht gesellig. Mal ausprobieren? In Gremmendorf trifft man sich Dienstag und Mittwoch von 18 bis 20 Uhr. Erzählen Sie uns, wie Ihr erstes Spiel war!   

Boule-Spielflächen in Münster 

Alleine in der Stadt Münster gibt es fast 30 Spielflächen für Boule. Die Liste findet man online:   Stadt-Muenster.de 
 

Boule zum Ausprobieren

Wer Lust hat, kann sich an die im Artikel genannten Personen und Vereine wenden.   

SC Gremmendorf 

Am Hohen Ufer 111, 48167 Münster 
sc-gremmendorf.de 

Klub für Kugelsport Münster e.V.  

Boulodrôme, Theo-Breider-Weg, 48149 Münster 
kfk-muenster.de  

Dort findet am Sonntag, 22. Mai, der 32. Coupe de Kiep statt. 
Zuschauen können alle, 8.30–19 Uhr. 
Interessierte Spieler können sich bis zum 17. Mai anmelden: 
info@kfk-muenster.de  

Noch mehr Boule in Münster, Münsterland und in NRW unter   
boule.nrw