N°135
BERG FIDEL – zwischen Weißem Riesen
und Spitzensport
Berg Fidel ist die letzte Folge unseres MÜNSTER!-Stadtteilpuzzles – in dem wir vorerst den Innenstadt-Bezirk ausgeklammert haben. Es geht um Wohnungsbau der 1970er Jahre, um Sackgassenlage und um Spitzensport.
Text cornelia höchstetter
WO IST BERG FIDEL?
Berg Fidel gehört mit Amelsbüren zum Stadtbezirk Hiltrup und liegt zwischen Geistviertel und Hiltrup (das Wäldchen Jesuitenbrook gehört zu Berg Fidel), zwischen dem Kanal an der Robert-Bosch-Straße sowie dem Lechtenberger Busch und der Grafschaft – inklusive der Vennheide. Von Berg Fidel zur Innenstadt sind es fünf Kilometer. Etwa 5.800 Menschen leben in Berg Fidel.
Historisches
Einst gehörte die Fläche zur Bauernschaft Geist, wahrscheinlich siedelten schon Menschen um 1.000 Jahre vor Christi. Der Stadtteilname bezog sich früher lediglich auf einen Flurnamen, der möglicherweise auf eine erhöhte Lage des Geländes hindeutet. „Fidel“ könnte sich aus dem Lateinischen auf „sicher, treu“ beziehen, also eine Art „sicherer Ort“. Auf dem Gebiet des heutigen Berg Fidel wurden erste Wohnhäuser in den Jahren 1921/22 gebaut. 1926 war das Geburtsjahr des Preußen-Stadions, seitdem eine der wichtigsten Sportstätten der Stadt (siehe „Markanteste Gebäude“). 1939 gab es in der Vennheide bereits 125 Wohngebäude, vor allem Einfamilienhäuser. Den ganz großen Wurf erfuhr der Stadtteil mit der Planung am Reißbrett: Eine durchgeplante Wohnsiedlung mit urbaner Atmosphäre war das Ziel.
Zwischen 1967 bis 1976 wurden auf einer Fläche von 32 Hektar insgesamt circa 1250 Wohnungen errichtet, zum Teil von der damaligen Gemeinnützigen Wohnstättengesellschaft Münsterland mbH. „Die Idee damals war durchaus eine soziale Durchmischung mit mehrgeschossigen Mietshäusern und Eigenheimen, Bungalows, Doppel- und Reihenhäusern“, erzählt der heutige Bezirksbürgermeister Wilfried Stein, der selbst in Berg Fidel wohnt. „Anfangs hat das gut geklappt!“ Freiflächen sollten eine große Rolle spielen. Zwei Fußgängerachsen kreuzen sich im Zentrum. Im Rincklakeweg zwischen den Hausnummern 10 und 21 entstand eine Art Fußgängerzone mit Einzelhandel und Dienstleistung wie Friseur usw. Das Gebäude, das von weit hin auf Berg Fidel aufmerksam macht, ist der sogenannte „Weiße Riese“: Das 1975 erbaute 17-stöckige Hochhaus (Münsters größtes!) wurde auf dem höchsten Punkt (etwa 70 Höhenmeter) gebaut und war als Luxuswohnprojekt mit 113 Eigentumswohnungen und eigenem Schwimmbad geplant. „Zuerst ein echtes Vorzeigeprojekt“, sagt Wilfried Stein. Dass aus Luxus sich manche Nöte entwickelten, war nicht berechnet. Doch viele Eigentumswohnungen wurden immer wieder verkauft, dadurch erschwerten sich Sanierungsmaßnahmen. „Dennoch ist heute eine Wohnung im Weißen Riesen für viele junge Familien in Münster die einzige Möglichkeit, Wohneigentum zu kaufen“, weiß Wilfried Stein um die Vorteile. Auch die Mietwohnungen sind günstiger als im übrigen Münster.
1989 stand dann die Eröffnung des Skateparks Snake-Run an, was deutschlandweit ziemlich einzigartig war. In dem Jahr öffnete auch die Großsporthalle Berg Fidel , siehe ebenfalls „Markanteste Gebäude“. Ein halbes Jahrhundert lang stand an der Trautmannsdorffstraße die Obdachlosensiedlung, die inzwischen abgerissen wurde.
WAS IST TYPISCH berg fidel?
Mal abgesehen von den Großsportereignissen: Wer nicht gezielt nach Berg Fidel möchte, wird den Stadtteil nicht kennenlernen. Von der Hammer Straße führt die autobahnähnliche Abfahrt auf die vierspurige Trautmannsdorffstraße, die schließlich im Wohngebiet zur Sackgasse wird. Das bedeutet: kein Durchgangsverkehr im Wohnviertel.
Berg Fidel wurde als Edel-Viertel gegründet und wurde zum Multikulti-Viertel: „Die Internationalität: Etwa 45 verschiedene Nationalitäten sind vertreten“, sagt Wilfried Stein. 73 Prozent der Kinder haben eine Migrationsgeschichte, so viele wie sonst nirgends in Münster. Im Gegensatz zu den meisten anderen Stadtteilen ist Berg Fidel relativ arm an Vereinen.
WIE LEBT ES SICH DA?
„Aus meiner persönlichen Sicht lebt es sich hier wunderbar, weil die Menschen hier offen und ansprechbar sind. Man ist ganz schnell in einem Schnack, fast wie im Ruhrgebiet“, sagt Christian Möwes, seit 2003 Lehrer und seit 2022 Schulleiter an der Primus Schule Münster (siehe beste Vorzeigeprojekte) – „Berg Fidel ist meine Berufsheimat“. Ähnlich sieht es der Leiter des Stadtteilhaus und Treffpunkts Lorenz Süd (siehe ebenfalls bestes Vorzeigeprojekt), Berthold Götte. Der Sozialarbeiter ist seit 1997 in Berg Fidel, ihm ist eins besonders wichtig: „Ich kenne viele Familien, die hier wirklich sehr gerne leben. Es ist rundum grün, der Wohnraum ist günstiger und wir sind hier keineswegs mit Problemen überhäuft, wie es manchmal zu hören ist. Wir haben eine gute Chance, als Stadtteil entdeckt zu werden. Wer hier wohnt, weiß, dass es einen großen Zusammenhalt gibt, quer durch religiöse, ethnische und soziale Strukturen.“ Berg Fidel hat das Stadtteilhaus Lorenz Süd mit Stadtteil-Café, die Städtische KiTa Berg Fidel an der Hogenbergstraße, das evangelische Wohnstift Haus Simeon, die Primus Schule (siehe beste Vorzeigeprojekte, Modellschule). Der Förderverein Alte Post , das erklärt Bezirksbürgermeister Wilfried Stein, der dort auch der Vorsitzende ist, „bietet nachmittags eine Lernhilfe an, vormittags in Kooperation mit den Trägern der sozialen Arbeit Beratung zu verschiedenen sozialen Themen. Dazu gibt es eine Nähgruppe und die Malgruppe ‚Bunt gemischt‘.“ Hier trifft man auch Monika Al-Daghestani, die den zukünftigen Quartierstreff leiten wird.
Zu den wenigen Vereinen zählen der Eisenbahner Sportverein Schwarz-Weiß Münster 1927 e.V. an der Siemensstraße, Berg Fidel Vennheide – Münster von 1972 e.V. (BFV 72) als Verein für Sport, Spiel und Freizeit am Sonnebergweg oder den MS Mitrovica, ein Fußballverein, der sich aus jungen Berg Fidelern, überwiegend mit Migrationshintergrund, selbständig gegründet hat, sowie die Kleingartenvereine Am Lechtenberg e.V., Grafschaft e.V. sowie Vennheide e.V. Sozial engagiert sind die Vereine Münster-Tafel e.V. in der Siemensstraße oder der Arbeiter-Samariter-Bund Landesverband NW e.V. in der Schuckertstraße. Seinen Sitz in Berg Fidel hat der Spitzensportverein Sportclub Preußen von 1906 Münster (Westf) e.V. Die Nahversorgung in Berg Fidels Kern tragen lediglich ein Supermarkt, eine Apotheke, der Friseurladen und der Pizzadienst. Eine Stadtteilbücherei gibt es nicht, den Bücherbus und ein offenes Bücherregal schon.
WER ARBEITET DORT?
Viele Arbeitsplätze gibt es im Industriegebiet an der Siemensstraße und in der Robert-Bosch-Straße. Dort findet man auch Gewerbe, das neue Alexianer Bildungszentrum am Kanal, große Einzelhandelsketten wie Media Markt, Praxen für Ergotherapie und andere, Rechtsanwälte, Fachgeschäfte wie Jeggle.Das Bett und vieles mehr.
WAS WIRD GEFEIERT?
Schützenfeste gibt es in Berg Fidel nicht. Wenn das Zuckerfest der gläubigen Muslime als Abschluss des Fastenmonats gefeiert wird, feiern viele Berg Fideler verschiedener Religionen im Lorenz Süd mit. „Immer wenn gefeiert wird, kommen unheimlich viele Menschen“, sagt Bürgermeister Stein. Am Samstag, 15. Juni, steigt das Bergfest (Skateboarding) in der Skateboardanlage Berg Fidel, mit internationalen Pro-Skatern und hochkarätigen Musikacts.
WHO IS WHO
Manfred Pollert (1938–2023) war der ehemalige Leiter der örtlichen Grundschule, aus der sich die
Primus Schule entwickelte. Er war als „Seele von Berg Fidel“ bekannt. In der Münsterschen Zeitung stand in seinem Nachruf: „ … er galt als Pädagoge, dem der gemeinsame Unterricht von Kindern unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne Behinderungen, eine Herzenssache war.“ Manfred Pollert war Mitgründer des Fördervereins Alte Post Berg Fidel am Rincklakeweg.
In der Alten Post ist die Chance groß, der AWO-Mitarbeiterin und „Stadtteilkümmerin“ Monika Al-Daghistini zu begegnen. Stellvertretend für alle, die Soziale Arbeit machen und sich herzlich kümmern, sei sie hier genannt. „Ich rede mit den Leuten auf Augenhöhe“, erzählt sie von ihrem Alltag. Den Internationalen Frauentag etwa feierte sie mit 35 Frauen aus sieben Nationen. Sie hält Sprechstunden für die Bewohner ab, lädt zum Kaffeetrinken und zum Deutsch-Sprechen ein, holt Theatervorstellungen nach Berg Fidel oder organisiert Familienflohmärkte.
AB INS GRÜNE
Grün ist es rundherum, am Lechtenbergweg, am Sternbuschpark , am Kanal, in der Vennheide, im Wäldchen Jesuitenbrook, in der nah gelegenen Grafschaft. Dazu hat Berg Fidel seinen eigenen Wanderführer mit 100 Seiten und drei Touren: 1.000 Tage lang haben sich die „Vorstadttouristen“ Martina Muck und Ruppe Koselleck dem Stadtteil Berg Fidel gewidmet. Dabei ist das Büchlein entstanden, das es für 9,80 Euro hier gibt: wirvorstadttouristen.de
DAS SCHÖNSTE HAUS?
Eine Landmarke ist der Weiße Riese (siehe oben). Bald 100 Jahre alt wird das Preußenstadion, damals ein hochmoderner Bau, und heute noch die Heimat des SC Preußen 06 e. V. Münster. Dieser war 1951 Finalist im Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft und 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga. Der Verein hat 4.300 Mitglieder. Achtung, die nächsten Heimspiele sind am Sonntag, 5., und Samstag, 18. Mai, allerdings sind die Spiele bereits ausverkauft. Ab August gibt’s wieder Eintrittskarten für 15 Euro. Der Verein hat übrigens verschiedenen Abteilungen (Handball, Tennis, Faustball, Leichtathletik), die Breitensport-orientiert sind.
Markant und eher flach ist die Sporthalle Berg Fidel als größte Sporthalle in Münster, für Schul- und Vereinssport, aber auch für Spitzensport: Der Basketballbundesligist UBC Münster e. V. spielt seit der Saison 2022/23 mit der ersten Mannschaft Uni Baskets Münster in der BARMER 2. Basketball Bundesliga ProA. Der USC Münster spielt in der 1. Volleyball Bundesliga. Aus dem Verein heißt es: „In der abgelaufenen Saison hatte der USC eine sehr junge Mannschaft. Am Ende der Saison qualifizierte sich der USC vorzeitig für die Playoffs, musste sich da allerdings im Viertelfinale geschlagen geben.“ Der Verein steht in gutem Austausch mit dem Lorenz-Süd. Im Sommer ist eine Stunde Beachtraining geplant.
BESTES VORZEIGEPROJEKT?
Das Stadtteilhaus Lorenz Süd mit seinen Angeboten: Dazu gehören sechsmal wöchentlich der Jugendtreff und fünfmal wöchentlich der Kindertreff. Generell ist die Tür offen für Familien, von Kindern bis Senioren. Es gibt eine Holzwerkstatt sowie eine Töpferwerkstatt. „In der Fahrradwerkstatt bauen die Jugendlichen ihre geschenkten Räder unter Anleitung um. So haben sie eine ganz eigene Bindung zu ihrem Fahrrad“, freut sich der Leiter von Lorenz Süd, Berthold Götte. Er schätzt, dass 70 Prozent aller Berg Fideler Kinder schon mal im Lorenz waren. „Wir machen mit Jugendlichen Bewerbungstraining, wecken in den Werkstätten vielleicht die Lust aufs Handwerk, vermitteln Praktika.“ Im dazugehörigen Stadtteil-Café treffen sich Menschen jeden Alters.
Eine Modellschule für ganz Nordrhein-Westfalen ist die Primus Schule. Schulleiter Christian Möwes stellt sie vor: „Es ist eine Art Gesamtschule ab Jahrgang eins für alle Schulformen bis zur Mittleren Reife mit Qualifikation zum Abitur.“ Die Hälfte der Schüler kommt aus Berg Fidel, die andere Hälfte aus dem Rest der Stadt. „Hier kommen alle zusammen, Kinder mit Fluchterfahrung, Kinder von bodenständigen Münsteranern.“ In der Schule sind die Jahrgänge eins bis drei gemischt in einer Gruppe. Ebenso lernen die Jahrgänge vier bis sechs zusammen sowie die von sieben bis neun. Nur die Abschlussklasse zehn ist ein Einzeljahrgang. Das ist in Münster die einzige staatliche Schule, die ähnlich der Montessori-Idee funktioniert. Die Schule lief als Landesversuch zwölf Jahre lang mit positiven Ergebnissen. Jetzt ist Schulleiter Möwes sehr sicher, dass der NRW-Landtag im Sommer diese Schulform ins Gesetzbuch aufnimmt.
ESSEN UND TRINKEN
Das Stadtteil-Café Lorenz, der Pizzalieferdienst Texas, an der Hammer Straße gibt es ein portugiesisches Restaurant, das mongolische Restaurant Kaiser Palast im Industriegebiet und an der Hammer Straße Richtung Hiltrup das Restaurant Vennemann mit Biergarten.
GRÖSSTES PROBLEM?
In den über 50 Jahre alten Wohnblocks herrscht großer Sanierungsbedarf und Frust der Bewohner, weil Mängel nicht schnell behoben werden. Rohrbrüche sind keine Seltenheit, kaputte Heizungen auch nicht. Der Wohnungskonzern LEG kündigte eine umfassende Modernisierung von rund 700 Wohnungen an – hat die Sanierungspläne inzwischen aber wegen steigender Zinsen und Kosten gestoppt.
Wie in manchen anderen Großwohnprojekten hat auch Berg Fidel ein Müllproblem. Außerdem fehlen noch mehr Bewegungsflächen und Treffpunktmöglichkeiten für junge Leute.
WARUM SOLLTE MAN berg fidel UNBEDINGT BESUCHEN?
Natürlich, um Spitzensport live zu erleben, um den Städtebau der 1970er zu sehen, um engagierte Menschen kennenzulernen.
ZUKUNFTSPLÄNE
In der ehemaligen, seit Jahren geschlossenen Sparkassenfiliale im Zentrum werden die Arbeiterwohlfahrt als Träger gemeinsam mit dem Förderverein Alte Post und die Beratungsstelle Süd ein Quartierstreffen einrichten – dieses ist schon seit vier Jahren geplant und soll in diesem Jahr endlich öffnen.
In Arbeit ist das Integrierte Stadtteilentwicklungskonzept (InSEK) für Berg Fidel, mit Perspektiven für Bildung, Sicherheit, Begegnung, Integration, Armutsbekämpfung, lokaler Ökonomie, öffentlichen und privaten Grünanlagen, Klimaschutz und Wohnen. Befragungen sind bereits gelaufen. Die Hoffnung liegt auf Fördergelder für diverse Projekte. Einen Zukunftswunsch äußert Schulleiter Möwes: „Berg Fidel soll sich selbstbewusst so weiterentwickeln und von außen das Stigma als Brennpunkt immer weiter verlieren.“
stadt-muenster.de/stadtplanung/stadtteile/stadtteilentwicklungskonzept-berg-fidel web.muenster.de/stadtteile_bergfidel_info.html
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