N°146
Bygge heißt bauen!
Vom selbst gebastelten Pappmodell zum Millionenumsatz: Das münstersche Start-up Bygge erobert Europas Kinderzimmer.
Text mona contzen
Ein Begegnungscafé in der Innenstadt, ein eigenes Kreativstudio am Hafen, große Events, bei denen tausende Bausteine Kinder zum Spielen animieren: Wenn Florian Schade und Stephan Limke über die Zukunft ihres Start-ups sprechen, schlagen die Ideen Purzelbäume. Ende 2021, noch in der Corona-Pandemie, haben die beiden Cousins Bygge gegründet – zunächst in ihren Köpfen. An einem einzigen Abend. Jetzt stehen sie in ihrem Büro im historischen RATIO-Gebäude – das Whiteboard vollgekritzelt, Hafermilch im Kaffee, sofort per du – und sprechen über Umsätze in Millionenhöhe.

Ich bau mir die Welt …
Bygge bedeutet auf Dänisch ganz einfach bauen. Die münstersche Firma mit einem Hang zu skandinavischem Design verkauft robuste, bunte Spielbausteine aus Hartschaumstoff im XXL-Format, die nach dem Klemmbausteinprinzip zusammengesteckt werden können – zum Spielen, Klettern, Welten erschaffen. Im Mittelpunkt steht dabei das sogenannte „Open-Ended Play“: Das multifunktionale Spielzeug soll Kinder zwischen drei und acht Jahren in ihrer kreativen und motorischen Entwicklung fördern, indem sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen und ohne Anleitung eigene Lösungen finden.
Die Idee dazu entstand beim Spielen. Florian und Stephan stapelten gemeinsam mit ihren Kindern runde Schalen aus demselben EPP-Material, das jetzt auch Bygge nutzt. „Wir haben sofort gesagt: Lass das doch mal weiterdenken. Wie cool wäre das als Klemmbaustein“, erzählt Florian heute. „Noch am selben Abend hatten wir den Namen für unser Start-up, haben uns die Maße und Größen der Bausteine überlegt und angefangen nach Produzenten zu suchen.“


Starkes Wachstum auf dem „Bygge-Bau“
Damals hätten sie noch mit ihren Frauen, die ihren Enthusiasmus belächelten, gescherzt: Jetzt lacht ihr, aber wartet ein paar Jahre – dann gibt es neben dem Legoland® auch unsere Bygge-Welt. So weit ist es noch nicht, aber die Verkaufszahlen des jungen Start-ups sind im vergangenen Jahr, dem ersten vollen Geschäftsjahr seit der Gründung, stark gewachsen: 100.000 verkaufte Steine, 900.000 Euro Umsatz, 40.000 Follower allein bei Instagram. Für das laufende Jahr planen die Münsteraner eine gute Verdoppelung und „in der Regel übertreffen wir unsere Planung“, sagt Stephan.
Aber warum funktioniert diese eine Corona-Idee, wo doch während der Pandemie so viele Menschen geschäftlich herumgesponnen haben? Die Familienväter, beide 38, ganz lässig in Jeans und Sneakern, bleiben bescheiden. „Wir hatten viel Glück“, meint Florian. „Und wir haben einfach gemacht.“ Im Wohnzimmer bauten sie Modelle aus Pappkartons, Florian fertigte 3D-Zeichnungen für den ersten Prototypen an, den sie dann RATIO-Chef Tim Snoek vor die Tür stellten. Der Unternehmer, für dessen Unternehmens-Gruppe die beiden Gründer nach wie vor in Teilzeit angestellt arbeiten, kam als Gesellschafter an Bord und sorgte für die nötige Finanzierung. Mitte 2023 gingen die Münsteraner mit ihrem Shop und einem Starterset aus zwölf Teilen online, nach dem Weihnachtsgeschäft war die erste Produktcharge, immerhin 30.000 Steine, ausverkauft.
„Bei jeder neuen Herausforderung fragen wir uns: Können wir das nicht selbst?“ Florian Schade

Kurze Lieferketten
Gefertigt werden die Bausteine in Bielefeld, das Lager ist in Sassenberg. Kurze Lieferketten sind Florian und Stephan wichtig: Durch die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern wollen sie ihren CO2-Abdruck minimieren. Denn das EPP, das zum Beispiel auch in Fahrradhelmen zum Einsatz kommt, ist zwar ein ressourcenschonender, langlebiger Rohstoff und zu hundert Prozent recyclebar, aber eben kein nachhaltiges Material. „Wir wollen da kein Greenwashing betreiben“, stellt Stephan klar. „Die Farben Ocean und Schwarz enthalten zwar schon recycelte Rohstoffe, aber dieser Anteil soll mehr werden. Unser Weg zur Nachhaltigkeit ist noch lang.“
Dass sie dabei auf die Hilfe des Herstellers angewiesen sind, ist für die Gründer eine ungewohnte Situation. Denn eigentlich machen die Kindheitsfreunde – nur mit Unterstützung ihrer Frauen und einer befreundeten Fotografin – von Anfang an alles selbst. Die erste Mitarbeiterin, eine Produktdesignerin, haben Florian und Stephan gerade erst eingestellt.

Florian ist ausgebildeter Informatiker, Stephan Betriebswirt. „Eine Zeit lang haben wir beide für dasselbe Start-up gearbeitet und dort alle E-Commerce-Prozesse rauf und runter gemacht“, erzählt Florian, der zu Studizeiten mit seinem Cousin in einer WG wohnte. „Inzwischen sind wir beide Generalisten und fuchsen uns überall rein. Bei jeder neuen Herausforderung fragen wir uns: Können wir das nicht selbst?“
So kam es zum Beispiel zur eigenen Manufaktur, in der das Bygge-Zubehör – Holzbretter, die mehrere Steine miteinander verbinden und zum Balancieren oder als Tischplatte genutzt werden können – mit Namen oder Sprüchen individualisiert wird. Sogar „Die Maus“ kann man hier bestellen: Aktuell läuft eine entsprechende Kooperation mit dem WDR.

International aufgestellt, lokal verankert
Seit dem vergangenen Jahr führen Händler in Benelux und Tschechien die Bygge-Produktpalette, auch Anfragen aus Frankreich, Italien, Polen erreichen die Münsteraner. „Natürlich wollen wir im EU-Raum wachsen, aber die Shops müssen zur Marke passen“, betont Stephan. Das Start-up sei auf der Suche nach hochwertigen, langfristigen Partnerschaften – auch in Münster.
Zuletzt hat Bygge den Toberaum des im Dezember eröffneten Pelikanhauses, das im Clemenshospital einen Rückzugsort für Familien schwerkranker Kinder schaffen soll, mit bunten Bausteinen ausgestattet. „Für uns war das etwas Besonderes, weil drei unserer Kinder dort geboren wurden. Wir möchten aber auch sonst gerne mehr Präsenz in der Region zeigen“, sagt Florian.
So sei das Pelikanhaus eine Art Pilotprojekt, dem weitere lokale Initiativen folgen sollen: Kindertagesstätten und andere Bildungseinrichtungen, Hebammen- oder Ergotherapiepraxen könnten die Bausteine in der Praxis testen und für das Unternehmen als Multiplikatoren dienen. „Dieses Jahr steht bei uns im Zeichen Professionalisierung“, sagt Florian. „Natürlich hat Bygge einen spielerischen Aspekt, aber es bringt den Kindern auch etwas in ihrer motorischen und kreativen Entwicklung. Wir wurden dafür schon mit mehreren Siegeln ausgezeichnet und wollen das weiter theoretisch unterfüttern.“ Außerdem wollen die Gründer die Markenbildung vorantreiben: Ein neuer Webauftritt mit einer einheitlichen Bildsprache, ein stärkerer Fokus auf die Alleinstellungsmerkmale und ein neues Verpackungskonzept gehören dazu. „Tatsächlich haben wir im Moment noch gar keine richtige Verpackung abgesehen von den Versandkartons“, verrät Stephan. „Aber vielleicht kann man uns Ende des Jahres schon in dem ein oder anderen Laden in Münster finden.“
„Bygge ist komplexer und kreativer als einfach nur ein Set aus großen Klemmbausteinen.“ Stephan Limke


Bygge goes Zylinder
Ein großer Schritt war rund um Ostern die Einführung neuer Bauklötze, mit denen die Spielmöglichkeiten noch einmal erweitert werden: kleine zylindrische Steine zum Werfen, Rollen, Kegeln und Balancieren. „Damit wollen wir uns noch stärker von den Konkurrenzprodukten abheben“, sagt Stephan. „Und zeigen: Bygge ist komplexer und kreativer als einfach nur ein Set aus großen Klemmbausteinen.“
Was danach kommt, hängt auch davon ab, wie häufig die beiden Freunde demnächst mit dem Auto unterwegs sind. Begegnungscafé? Kreativstudio? Events? „Wenn wir Auto fahren, ist es immer am ‚schlimmsten’ mit der Weiterentwicklung“, erzählt Stephan und grinst. „Dabei sprechen wir nämlich am liebsten über unsere kreativen Ideen.“
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