MÜNSTER! Magazin

Ausgezeichnet: Die Car Sharing-Autos stehen an ausgeschilderten Stationen– in diese Parklücke darf kein anderes Auto. Foto: Cornelia Höchstetter

März 2021 N°100


Mein Auto, Dein Auto, weniger Autos

Ein Auto steht im Durchschnitt 23 Stunden am Tag – und in der Stadt meistens im Weg. Deshalb gibt es in Münster seit fast 30 Jahren die Möglichkeit zum CarSharing. Wie das geteilte Auto die Mobilitätswende voran bringen könnte …

Text Cornelia Höchstetter


„Ich muss mich nicht um Reparaturen kümmern und habe flexibel je nach Zweck verschiedene Autotypen zur Verfügung – selbst als ich früher zum Kindergeburtstag fünf oder sechs Kinder fahren musste: Dann konnte ich mir einfach einen Van nehmen“, erzählt Tanja Grude, zweifache Mutter, die im Geistviertel wohnt und viele Jahre lang CarSharing nutzte. Besonders alltagstauglich ist CarSharing, wenn sich wie im Fall von Tanja Grude rund um ihre Wohnung gleich drei Stationen befinden. „Maximal einen Kilometer muss ich mit dem Fahrrad fahren, bis ich am Auto bin. Der Nachteil ist, dass man Fahrten gut planen und sich mit der Buchung auf eine Uhrzeit festlegen muss. Oder wenn man spät in der Nacht noch mit dem Rad nach Hause fahren muss. Schwierig war es auch, als meine Kinder noch klein waren, weil ich dann mit den Kindern im Fahrradanhänger zum Auto fahren musste – das war schon sehr aufwändig.“ Unter dem Strich war für Tanja Grude das Stadtteilauto viele Jahre lang eine sinnvolle Alternative zum eigenen Auto. „Aus Gründen des Umweltschutzes und auch aus finanziellen Gründen – weil ich im Monat nicht mehr als drei oder viermal ein Auto benötigte.“

EIN PLATZSPARENDES KONZEPT

Ein Auto für viele Nutzer – das ist Car- Sharing. Dank Online-Reservierung oder heutzutage mithilfe einer App kann man an den verschiedenen Stationen geplant oder spontan in ein Auto steigen und losfahren. Vorausgesetzt, man hat sich vorher bei einem der Anbieter registriert, manchmal ist auch ein Vertrag nötig, und man hat seinen Führerschein vorgelegt – das geht inzwischen per Videochat. Durch die vielfache Nutzung wird ein einzelnes Auto besser ausgelastet, ist mehr unterwegs und blockiert seltener den wertvollen Parkraum in der Stadt.

Laut Bundesverband CarSharing e.V. (bcs) zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien, dass CarSharing das Mobilitätsverhalten der Nutzer verändert: Wer beim CarSharing teilnimmt, nutzt öfter die Verkehrsmittel des Umweltverbundes als die Vergleichsbevölkerung. CarSharing verhindert so die ein oder andere Anschaffung eines Privat-Pkws und trägt dazu bei, die Anzahl der Autos in einer Stadt zu reduzieren.

Wie viele, da schwanken die Aussagen. Aber im Schnitt kann ein CarSharing-Auto vier bis zwanzig Privat- Pkws ersetzen. Ob ein Auto oder vier Autos in einer Straße am Rand parken, macht einen riesigen Unterschied. Und darum geht es vor allem: Denn die Privatautos sind es, die im ruhenden und im fließenden Verkehr einen großen Teil des öffentlichen Stadtraums einnehmen. Dabei steht ein Auto oft zu 95 Prozent seines Lebens einfach nur herum. Das ist in der Stadt ein Problem, weil der Platz knapp ist und so für Fahrradfahrer, Fußgänger oder für eigene Busspuren fehlt. Ziel soll also sein, dass CarSharing zum Puzzleteil für die Mobilitätswende hin zu den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes wird, also samt Fuß-, Rad- oder Öffentlichem Personennahverkehr.

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Foto: Cornelia Höchstetter

ZWEI MODELLE MÖGLICH

Es gibt unterschiedliche Varianten für CarSharing: Stationsbasiert – das heißt, die Autos stehen an bestimmten Plätzen und müssen dort auch wieder zurückgebracht werden. Und das „Free Floating“-System. Das klingt flexibler, weil man die Autos spontan auch mal vor der eigenen Haustür abstellen kann, unabhängig von Stationen. Dieses Prinzip funktioniert erfolgreich nur in großen Städten mit einem entsprechend großem Angebot. Der Haken an der Sache: Eine wirkliche verkehrsentlastende Wirkung kann dem Free-Floating- System nicht nachgewiesen werden. Eine Ausnahme gibt es: Die Kombination von stationsbasierten Autos mit einer Free-Floating-Flotte. Das wäre für den Endverbraucher noch attraktiver und kann trotzdem verkehrsentlastend wirken. Tatsächlich steigen die Zahlen der Free-Floating- Nutzer und Autos in Deutschland sprunghaft an.

MIT EINEM VEREIN FING ES AN

In Münster gibt es ausschließlich stationsbasierte CarSharing-Unternehmen: das Stadtteilauto, das Start-up wuddi und Flinkster von der Deutschen Bahn. Platzhirsch und das älteste – sogar eines der ersten in ganz Deutschland – ist das Stadtteilauto. Till Ammann, heute Geschäftsführer von Stadtteilauto, war ein kleiner Junge, als sein Vater Robert mit Gleichgesinnten im Jahr 1991 den Verein Verkehrswende gründete. Daraus entwickelte sich das Unternehmen Stadtteilauto, das heute eine GmbH ist, an der die Stadtwerke Münster 29 Prozent halten.

MÜNSTER WAR VORREITER: FAST 30 JAHRE STADTTEILAUTO

In den 1980er Jahren gab es die ersten Car-Sharing-Projekte in der Schweiz. 1991 und 1992 kamen in Deutschland die ersten Projekte auf. „Und Münster war unter den ersten fünf Städten dabei. Das erste Stadtteilauto kam 1992 und war ein weißer VW Polo“, weiß Till Ammann noch genau. Die weitere Entwicklung: 1998 waren es 50 Teil-Autos, 2010 etwa 125 und heute rund 250 Fahrzeuge in verschiedenen Größen und Funktionen, auch Elektro- und Wasserstoffautos sind dabei, in der Stadt und im Münsterland. „Gerade im Umland ersetzt das Stadtteilauto manches Mal den Zweitwagen“, weiß Till Ammann.

CarSharing ist schon jetzt an einigen Mobilstationen wie an der Weseler Straße ein Baustein der angebotenen Mobilitätsvielfalt. An den Knotenpunkten gibt es Parkplätze für private und CarSharing-Autos, Leezenboxen, ÖPNV-Haltestellen, evtl. einen Anschluss zur geplanten S-Bahn- Münsterland. Inzwischen sind dank neuer Gesetze in der Straßenverkehrsordnung auch Parkplätze extra für Stadtteilautos oder für den wuddi ausgeschildert. „Das bringt alles Lebensqualität und das Vorhaben der autoarmen Innenstadt voran“, findet Till Ammann.

Es gibt eine Faustregel: Wer im Jahr unter 10.000 bis 14.000 Kilometer fährt, für den ist es finanziell günstiger, am CarSharing teilzunehmen. Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht supergünstig aussieht: „Für den Wocheneinkauf mit einem Weg von insgesamt etwa 25 Kilometer zahlt man grob gerechnet im Stadtteilauto etwa 10,55 Euro, inklusive Sprit“, rechnet Till Ammann an einem Beispiel. Was ein Autobesitzer gern verdrängt, sind die Kosten des eigenen Pkw. Der ADAC setzt die Komplettkosten im Durchschnitt für eine Golfklasse bei 450 bis 500 Euro pro Monat an – mit Wertverlust, Versicherung und Kraftstoff usw. – das sind 16 Euro am Tag.

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Foto: Cornelia Höchstetter
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Till Ammann stieg als kleiner Junge in Münsters erstes CarSharing-Auto, natürlich nur zum Probesitzen. Heute ist er Geschäftsführer beim Stadtteilauto. Foto: privat
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An manchen Stationen gibt es eine Art „Schlüsselkasten“. Foto: Cornelia Höchstetter

CARSHARING FÜR DIENSTWAGEN

Nicht nur Privatleute nutzen das Car- Sharing. Inzwischen können sich auch Unternehmen einen Dienstwagenpool aus CarSharing-Autos anschaffen – Mitarbeiter oder Anwohner können diese Autos zusätzlich nach Feierabend oder an Wochenenden nutzen. Das bieten Stadtteilauto und wuddi an. Beide übernehmen für Firmen und Unternehmen das Fuhrparkmanagement sowie die Wartung und Buchung der Fahrzeuge. Weil bei den geteilten Geschäftsautos im Anschluss einer Dienstfahrt der Arbeitnehmer das Auto noch privat nutzen und direkt nach Hause oder woanders hinfahren kann, wird manche Pendlerfahrt eingespart.

WUDDI = AUTO AUF MASEMATTE

Das jüngste CarSharing-Unternehmen in Münster ist das Start-up wuddi, MÜNSTER! stellte es in Heft #90 im April 2020 vor, als vor etwa einem Jahr die Corona-Epidemie in Fahrt kam und der erste Lockdown begonnen hat. Seitdem ist trotzdem viel passiert. Die geistigen Väter der weißen wuddi-E-Flotte aus verschiedenen Smart-Typen sind Thomas Ulms und Manuel Schlottbom. Kurz zur Entstehungsgeschichte: Auch für dieses Unternehmen steht „Nutzen statt Besitzen“ im Mittelpunkt. Die beiden wuddi-Geschäftsführer kommen aus der Beresa-Gruppe, dem Mercedes Autohaus in Münster. Sie überlegten, wie sich ein 100-jähriges Unternehmen auf die Mobilität der Zukunft einstellen kann. Aus einem Experiment und Probelauf im Jahr 2018 wurde ein eigenständiges CarSharing-Unternehmen, das im November 2019 startete –mit einer durchdachten App, dem Versprechen, sich in zehn Minuten registrieren lassen zu können und mit sechs Elektroautos. Heute, Anfang 2021, sind es 50 Autos. Im Angebot: Smart ForTwo, Smart Forfour oder Smart Cabrio. Inzwischen ist noch die A-Klasse Hybrid von Mercedes dazugekommen, in Zukunft wolle man aber markenunabhängig sein. Wuddis Zielgruppe: „vom Fahranfänger bis Rentner“, sagt Thomas Ulms. Die Nutzungsart und -dauer für den wuddi ändert sich übrigens, das beobachten die beiden: Waren es anfangs noch die ein bis drei Stunden, die typisch für einen Großeinkauf sind, so fällt inzwischen der Großteil der Buchungen auf einen ganzen Tag. Als Preisbeispiel nennt Schlottbom für einen Wochenendausflug von Freitag bis Montag 35 Euro. Was extra dazu kommt, sind 28 Cent pro Kilometer. Der Rest ist inklusive.

MOBILITÄT BLEIBT EIN PUZZLE

Der Bundesverband für CarSharing schlägt einige Maßnahmen vor, die die Kommunen umsetzen könnten: So ermöglichen reservierte Car-Sharing- Stellplätze im öffentlichen Straßenraum, ein flächendeckendes Netz für Car-Sharing-Stationen aufzubauen – das passiert in Münster bereits. Je dichter das Netz, desto näher stehen die Autos am Wohnort potentieller Nutzer, desto niedriger die Hemmschwelle, auf CarSharing umzusteigen und auf ein eigenes Auto zu verzichten.

Alles in allem: CarSharing ist nur ein Instrument im großen Orchester – funktionieren kann eine stadtverträgliche Mobilität nur, wenn insgesamt der Umweltverbund gestärkt wird. Das passiert, wenn die Attraktivität des ÖPNV-Angebots gegenüber der Privatauto- Nutzung steigt, wenn eine strikte Parkraumbewirtschaftung durchgeführt wird und es unbequemer wird, ein eigenes Auto zu halten, wenn die Fahrradinfrastruktur weiter ausgebaut wird und – wenn die Münsteraner und Münsteranerinnen weiterhin gute neue Ideen für Alternativen haben

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Foto: wuddi