MÜNSTER! Magazin

Komplexe Formen sind in einem Model aus Holz geschnitzt. Druckstöcke mit großflächigen Motiven dagegen haben manchmal einen Filzkern, der die Farbe noch besser aufsaugt. Foto: Peter Leßmann

N°112


Blaumachen ist harte Arbeit!

In Nottuln steht die älteste Blaudruckerei Nordrhein-Westfalens. Dort presst Dirk Kentrup zu Ostern Häschen, Hahn und Blumenmuster auf Leinenstoffe. Längst nicht mehr nur in blau: Sonnengelb ist die Frühlingsfarbe, und im Trend liegen Naturtöne. Die sind zeitlos – genau wie das Traditionshandwerk selbst.

Text Cornelia höchstetter


800 Model stehen in Reih’ und Glied in der Garage von Dirk Kentrup. Jedes trägt seine Nummer. Das eine Model hat feine Linien, das andere opulente Formen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie gut mit Druck umgehen können. Denn sie sind das Herzstück der Nottulner Blaudruckerei Kentrup. 

Model (sprich „Mooodel“) sind Druckstöcke aus Kirschen-, Birnen- oder Buchbaumholz, die verschiedene Muster auf Leinen- und Baumwollstoffe aufbringen. Dieses Blaudruck-Handwerk pflegt Familie Kentrup seit 1833. Damit steht im historischen Teil von Nottuln die älteste Blaudruckerei in Nordrhein-Westfalen. Deren Model stammen teils aus dem 18. und 19. Jahrhundert, sind also 200 Jahre alt. Damals hatte jede Stadt seine Blaudruckerei – Dirk Kentrup, die siebte Generation der Nottulner Blaudrucker, weiß von seinen Vorfahren, dass im Nottuln des 18. Jahrhunderts insgesamt sieben Betriebe blau druckten. Laut UNESCO gibt es heute in ganz Deutschland nur noch zwölf anerkannte Blaudruckereien. 

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Dirk Kentrup, 52, legte erst den Meister in der Landwirtschaft ab und schloss eine kauf­männische Lehre an. Eine Zeitlang arbeitete er bei Verwandten in den USA, dann übernahm er den Blaudruck seiner Eltern. Foto: Peter Leßmann

Blau wie Europa 

Das Traditionshandwerk funktioniert wie damals, bei Kentrups sind es insgesamt 14 Arbeitsschritte. 2018 setzte die UNESCO den Blaudruck auf die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Das steht auch für das gemeinsame Europa, denn um die Nominierung des Blaudrucks haben sich fünf Staaten bemüht: Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, die Slowakei und Ungarn. International, und doch lokal, denn jede Blaudruckerei hütet ihre Geheimnisse.  

In Europa wurde das Blaudruckverfahren in Verbindung mit der Färberpflanze Indigo erst Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt. Die europäischen Seefahrer brachten die Pflanze für das unglaublich tiefe und intensive Indigoblau aus den indischen (daher der Name Indigo) Kolonien mit. Gefärbt wurden Stoffe in Europa zuvor auch in einem Blau, aber mit der Färberpflanze Waid, die nicht an die Intensität der Indigofarbe herankam. Im 18. und 19. Jahrhundert war dann die Technik des Blaufärbens mit Indigo in Mitteleuropa stark verbreitet. Dabei hat der Indigo-Strauch rosa Blüten, die Pflanze färbt zunächst nur gelblich. Erst wenn die Stoffe an der Luft getrocknet werden, setzt dank des Sauerstoffs ein chemischer Prozess ein und macht den Stoff indigoblau. Heutzutage werden die Indigo-Farbstoffe synthetisch hergestellt. Das Zusammenmischen der Farben für die Tauchbecken in den Blaudruckereien bleibt dennoch eine Kunst. 

„Beim Färben hat keiner was zu suchen“, da wird Dirk Kentrup grummelig. Tatsächlich ist er der Einzige, der weiß, wie das Familienrezept zusammengerührt wird. Sollten eines Tages seine Kinder, noch 10, 12 und 14 Jahre alt, die Werkstatt übernehmen, würden sie die nächsten Geheimnisträger werden. Da ist der Nottulner Blaudrucker streng. Er zeigt uns vom MÜNSTER! Magazin auch nur die Vorbereitung zum Färben und den Druck selbst.

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Die Nähmaschine rattert: Maria Reick ist Damenschneiderin, säumt eine Tischdecke – berät aber genauso oft die Kunden im Laden. Foto: Peter Leßmann

Verschiedene Zünfte Hand in Hand  

Blümchen, Ornamente, geschwungene Linie, Bortenmuster. Zu den 800 Modelmustern gehören traditionell auch religiöse Szenen und typisch fürs Münsterland: Jagdszenen. Dirk Kentrup hat sogar eigene Muster entworfen und die bei den sogenannten Formstechern in Auftrag gegeben. Überhaupt hängen an dem Handwerk weitere Handwerke: Die Formstecher, die für Kentrups arbeiten, sitzen in Sachsen. Die Spinnereien und Leinenwebstühle stehen teils in Herford, Schlitz/Hessen aber auch in Litauen, teils in Polen. „Wichtiger, als das „Wo“ ist das „Wer“: „Dass der, der am Webstuhl steht, sein Handwerk versteht“, sagt Dirk Kentrup.  

Der Nottulner Blaudrucker nimmt ein Din-A5-Ringbuch aus dem Regal, in jenem stehen handgeschrieben die Bestellungen. An der Reihe ist ein Tischtuch für den Ostertisch. Dirk Kentrup rollt den Leinenstoff auf dem meterlangen Tisch aus und schneidet die Maße zu. Satt und samtig im Sound teilen die Scherenklingen den Stoff. Schwer und bestimmt. Kein Vergleich mit stumpfen Haushaltsscheren. „Das ist eine japanische Schere“, erklärt Dirk Kentrup. Japans Messermacher sind die Spezialisten für Schärfe.  

Mit sicherer Hand zeichnet Kentrup dann die geraden Strecken am Fadenverlauf entlang. Beim Leinenstoff verzichtet er sogar auf das große Plexiglaslineal. „Echtes Leinen hat Knubbel, daran erkennt man die Originalität“, erklärt der Handwerker. Leinen ist ein Produkt aus dem Flachsanbau. Früher war der am Niederrhein verbreitet. Heute kommt das Leinen für Kentrups zum Beispiel aus Belgien und Irland. „Manche Kunden stören sich auch an den Knubbeln. So gibt es Maschinen, die schneiden für feines Leinen die Knubbel weg.“ So kommt es zu unterschiedlichen Stoffqualitäten. 240 Gramm pro Quadratmeter ist Standardqualität. 

Je schwerer, desto qualitativ wertvoller ist der Stoff. Aber es kommt darauf an, wofür die Stoffe genutzt werden: Vorhänge, Tischdecken, Küchenschürzen, Platzsets, Servietten, Kinderlätzchen, Krawatten und mehr benötigen unterschiedlich schwere Stoffe. Der Klassiker war lange die Tischdecke 80 mal 80 Zentimeter. Inzwischen sind Tischläufer beliebt, die weder quadratisch noch längs, sondern quer auf dem Tisch liegen und so die zwei sich gegenübersitzenden Personen verbinden, das Partnertuch.  

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Dirk Kentrup rührt den Papp an (oben links ), taucht das Model ein (oben rechts) und bedruckt damit den Stoff (unten) im Reservedruck: Der Papp hält beim Färben die Farbe weg vom Muster. Fotos: Peter Leßmann
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Fotos: Peter Leßmann

Druck machen und Klopfen 

In der Ecke unter dem schrägen Dach steht Dirk Kentrup am Chassi und rührt den Papp an. Das Chassi ist eine Art Holztisch mit handbreit tiefem Becken. Heute dient es als Stempelkissen, denn der Papp ist eine zähflüssige mintgrüngraue Masse – ebenfalls eine Geheimrezeptur. In den Papp drückt Dirk Kentrup sein Model Nummer 112, legt es auf Kante auf den Stoff, kippt es und haut zweimal kräftig auf jedes Holzende. Und das immer wieder, so, dass das Muster so gut wie ineinander übergeht. „Pfusch gehört zum Handwerk“, grinst er und erklärt, dass Unregelmäßigkeiten wahres Handwerk vom Industriedruck unterscheiden.  

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Das Model, das für den Original-Kentrup-Druck steht (l.), man erkennt die Jahreszahl 1833. Rechts: Als das blau bedruckte Porzellan aus den Kolonien in den guten Häusern Europas auf die Tische kamen, fehlten die passenden Decken. Also sorgten die Blaudrucker für entsprechende Tischwäsche. Fotos: Peter Leßmann

Zwei Druckverfahren 

Der Stoff zeigt rundherum das grünliche Ostermotiv: Häschen, Huhn und Schaf. Die Beschichtung der Motive mit dem Papp sorgt dafür, dass der Stoff beim Tauchbad keine Farbe aufnimmt. Deshalb heißt dieses Verfahren Reservedruck – weil der Papp die Muster reserviert, also frei hält von Farbe. So haben am Ende blaue Stoffe weiße Muster. Nicht alle Stoffe aus Blaudruckereien sind blau. Manche sind auch weiß und blau bedruckt. Das ist das zweite Druckverfahren, Direktdruck genannt. In dem Fall drückt Dirk Kentrup die blaue Farbe per Model auf helle Stoffe. Nicht nur Blau, auch Rot, Gelb, Grün und Hellblau, Grau oder Naturfarben.   

Der Nonnenbach hinter dem Haus 

Die bedruckten Stoffe hängt Kentrup unter der Dachschräge auf. Ist der Druck trocken, geht es zum Färben ins Nachbargebäude. Dort werden die Stoffe immer wieder in die Farbbecken eingetaucht, schließlich getrocknet und gewaschen. Der Papp löst sich beim letzten Waschen auf. Früher haben die Drucker ihre gefärbten Stoffe im Nonnenbach hinter dem Haus ausgewaschen. Blaumachen oder der Blaue Montag war also der Tag, an dem die Blaudrucker am Bachlauf saßen und das Wasser tief blau aus dem Ort kommend weiter floss. „Deshalb waren die Badeanstalten stets bachaufwärts am Anfang des Ortes“, sagt Dirk Kentrup. So manche Story tischt er den Besuchern auf, auch dass der Harnstoff, der für die haltbare Farbe nötig ist, „in unserer Gaststätte aus den Toiletten gesammelt wurde.“ Das war 
einmal!

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Den Blaudruck gibt es in vielen Farben: Zu Ostern gerne für Windlichter und Co in Frühlingsgelb. Foto: Peter Leßmann

Farbenwende 

„Mein Großvater druckte noch etwa 80 Prozent im Blaudruck, also weiße Muster im blauen Stoff“, erzählt Dirk Kentrup. Dann wurde ochsenblutrot modern. Ab den 1990er Jahren waren die Stoffe nur noch zu zehn Prozent eingefärbt, fast alles andere war Direktdruck.  Seit etwa 15 Jahren dreht sich der Trend wieder. Aktuell sind gefärbte Naturtöne mit weißem Motiv der Renner. Die Besucher sind beeindruckt. Das schreiben sie ins Gästebuch, das im Laden liegt: Fahrradfahrer aus Emsdetten, Urlauber aus Finnland, Kairo, Nebraska, St. Louis. Nur die chinesischen Schriftzeichen sind nicht zu entziffern. Vielleicht monieren sie ja das Nachmachen ihrer jahrhundertealten Porzellanmuster …