N°112
Das Rotkehlchen blüht auf
Um die Innenstadt zu beleben, sind gerade jetzt neue Ideen gefragt,
das war selten so klar wie heute. Umso besser, wenn Kooperationen neuen Schwung bringen: An Münsters Wasserstraße unweit der
Promenade haben die Gastronomie-Profis Marie und Nicklas Rausch
die Neukonzeption ihres Rotkehlchens mit einem Shop-in-Shop-
Konstrukt für die Blumenfrau Elke Markwort geöffnet …
Text britta heithoff
Schon vor Jahren haben Marie und Nicklas Rausch die Blumenfrau Elke Markwort im Zwei-Löwen-Club kennengelernt. Dort kreuzten sich ihre „Gewerke“ an Topf und Blumenvase. Aus den Augen verloren haben sie sich seitdem nie mehr, und das ist sehr gut so. Denn nun starten die Gastronomen gemeinsam mit der Floristin durch. Seit Anfang März ist das Rotkehlchen an der Wasserstraße, zuvor als gemütliches, aber kulinarisch ambitioniertes Speiselokal („Wohnraum mit Küche und Bar“) bekannt, neu aufgestellt. Im vergangenen Herbst hatten Marie und Nicklas Rausch aus gesundheitlichen Gründen zunächst die Türen geschlossen, ein Raunen des Bedauerns ging durch die Reihen der Stammgäste, die nicht selten zu Freunden geworden waren. „Wie können wir unsere Vorstellungen von Gastlichkeit und regionalen Spezialitäten, von Zubereitung und handverlesener Warenauswahl neu aufstellen?“
Das fragten sich Marie und Nicklas und träumten von einer Feinwarenhandlung mit ein paar Plätzen zum Speisen, von sinnlicher Atmosphäre und einem Tageskonzept voller Überraschungen. Und dann kam Elke Markwort ins Spiel. Die gelernte Gärtnerin für Blumen und Zierpflanzen und Absolventin der Fachschule für Blumenkunst hat sich als Die Blumenfrau in Münster einen Namen
gemacht. Viele unserer Leserinnen und Leser erinnern sich sicher an den grandiosen XXL-Strauß auf dem Cover unserer Jubiläumsausgabe im März, typisch Elke Markwort! Marie und Nicklas luden Elke (die bisher ohne Ladenlokal aus der heimischen Werkstatt in Gievenbeck gearbeitet hatte) ein,
einen Teil ihrer Rotkehlchen-Fläche als Blumenladen zu nutzen. Wobei in diesem Raum auch gegessen und getrunken werden darf. Verrückte Idee? Genau! Für abseitige und kreative Ideen ist das Trio bekannt.
FEiNWARENHANDLUNG MIT KLEINEM LOKAL
Nun ist also ein neues Gesamtkonstrukt an der Wasserstraße zu entdecken: Wer das Rotkehlchen zu den Öffnungszeiten mittwochs bis freitags von 11 bis 19.30 Uhr oder samstags von 10 bis 18 Uhr betritt, findet sich in einem kleinen Lädchen mit offener Küche wieder. Hinten wird gekocht, Nicklas rührt in seinen Töpfen, es duftet verführerisch. „Kommt rein!“ begrüßt uns Marie, die gerade einen mit essbaren Blüten versehenen Bellini mixt und in einem wertvollen Sieger Champagnerbecher anrichtet. Die vielfach preisgekrönte Barfrau sattelt derzeit eine Ausbildung zur Kräuterpädagogin auf und wird zukünftig auch Kurse anbieten.
So mancher Besucher, der nur mal schauen wollte, wird im Rotkehlchen auf eine harte Probe gestellt. Zum Mittagessen bleiben? Ein paar Leckereien für zuhause mitnehmen? Oder gar auf ein, zwei Cocktailkreationen „versacken“? Kleiner Laden, viele Möglichkeiten.
Workshops werden demnächst in den Abendstunden die Optionen noch weiter auffächern: Dann zeigen Nicklas und Marie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kulinarische Tricks, Tipps und Kniffe. Künstler werden hier zu Gast sein, Handwerker, spannende Kooperationspartner aller Arten. Die Gedanken sind frei und die Möglichkeiten vielfältig: Das haben sich die Rotkehlchen-Betreiber so gewünscht, und so funktioniert es. Denn vom klassischen Abendgeschäft haben sie sich bewusst verabschiedet, auch wenn wohl so mancher Gast gern nach einem von Nicklas gekochten Mittagessen und einem Drink von Marie bis in den Abend hinein bleiben würde.
Die gastgeberische Hingabe konzentriert sich nun hauptsächlich aufs Tagesgeschäft. Wie eh und je zieht Nicklas zum Wochenmarkt, um saisonale und regionale Zutaten zu beschaffen, Aromen und Schäumchen sind dann bei Tageslicht zu genießen. Und übrigens auch so manches Fleisch- und Wurstprodukt. „Wir wissen ja, wo es herkommt“, sagt Marie und meint damit etwa den Havixbecker Sandsteinhof mit seinen Bentheimer- und Mangalicaschweinen, es geht um Rind von Maria Büning und Lamm von Markus Lanfer aus dem Venner Moor.
„Die besten Produkte mit den kürzesten Anfahrtswegen!“ Marie Rausch
Feinkostexpertise haben Marie und Nicklas. Und jedes einzelne Produkt ihrer Auslagen und in ihrer Küche ist mit Sachverstand ausgewählt. Und mit Liebe zum Detail, denn das Sinnliche spielt im Rotkehlchen immer mit. Davon zeugt die mit Wildkräutern bemalte Bedientheke („Wir
haben tagelang auf den Knien gelegen!“), davon erzählen die handgeschriebenen Schilder, die liebevoll gerahmten Vogelbilder, die Bücher und Ausstattungsgegenstände. Wir befinden uns in einem sinnlichen „Gesamtkunstwerk“ – so möchte man meinen. Auch „Juniorchefin Charly“, die achtjährige Tochter der Rauschs, hat bei den Vorbereitungen für die Neueröffnung tatkräftig mitgewirkt – Familienunternehmen eben, man kennt das. Alle brennen für die gemeinsame Sache. Und freuen sich jetzt, auch mit „Shop-in-Shop-Nachbarin“ Elke Markwort einen weiteren Impuls für die eigene Arbeit und für die Kundinnen und Kunden im Haus zu haben.
IM PARADIES DER BLUMENFRAU
Das eigene Blumenfeld war ihre Errungenschaft 2021, das erste eigene Ladenlokal, sozusagen „zu Gast im Rotkehlchen“, ist nun der nächste Schritt. Seit vielen Jahren sorgt Elke Markwort in zahlreichen Praxen und Gastronomiebetrieben, Hotels und Privathaushalten für Blumenschmuck und Dekorationen, auch für Hochzeiten und alle denkbaren anderen Feste von der Taufe bis zu den traurigeren Anlässen ist sie die passende Ansprechpartnerin. Bislang geschah das alles von der heimischen Werkstatt in Gievenbeck aus: Dort wurde gebunden und gesteckt, umwickelt und verziert – und dann mit dem Fahrrad oder PKW ausgeliefert.
Die Idee, mit ins Rotkehlchen einzusteigen, reizte die Blumenfrau sofort: Endlich Platz für den Urban Jungle und alle Ideen, Platz für Pflanzen, Blumen, Keramik, Deko – aber auch für Workshops und Kooperationen! Wichtig ist ihr auch hier der nachhaltige, achtsame Ansatz. Und der fängt bei der Ladeneinrichtung an: Wiederverwertung etwa! Denn der alte Kegelbahntisch aus dem Rotkehlchen wurden von Elkes Nachbar Frank zu einer Verkaufstheke auf Rollen umgebaut, die ehemalige Theke aus der Rotkehlchen-Bar ist ebenso bei ihr eingezogen (es fließt kein Bier mehr aus dem Zapfhahn, wir haben es ausprobiert).
Nicht alle Blumen sind aus Bio-Anbau, aber immer mehr, im Sommer ist das eigene Feld die zusätzliche Quelle. „Und auch die Holländer sind viel besser geworden, was dieses Thema angeht“, beobachtet Elke Markwort die Umstellungen bei den Lieferanten im Nachbarland. „Auch darüber hinaus lässt sich vieles zum Besseren drehen“, erzählt die Gärtnerin und Absolventin der Fachschule für Blumenkunst: Klebefilm ist bei ihr aus Papier, Etiketten bestellt sie in einer umweltfreundlich arbeitenden Druckerei, anstelle synthetischer Steckmasse kommen wiederverwendbare Steckigel aus Metall zum Einsatz, Kunststoff und Plastik wurden nach und nach komplett verbannt. „Mancher Lieferant und Hersteller ist ganz schön genervt von meinen Nachfragen“, lacht die Blumenfrau und erzählt von den Dialogen: „Ach, die Blüte wurde aus Kenia eingeflogen? Nein, danke!“.
Viel lieber lässt sich Elke Markwort von regionalen Gewächsen inspirieren, gelegentlich schlägt sie Kundinnen und Kunden Möglichkeiten der Weiterverwendung vor („Verschenken Sie doch Ihre Tischdeko am Ende des Festes an die Gäste, ich bereite das passend vor!“) und bei aller Nachhaltigkeit sind ihre Gebinde und Ideen doch immer einzigartig schön und alles andere als Grau-in-Grau. Ostersamstag ist Elke Markwort noch mit ihrer Pracht im Rotkehlchen anzutreffen, dann geht es für sie auf kurze Inspirationsreise bis Ende April. Und ab Mittwoch, 4. Mai, 11 Uhr heißt es dann wieder: Das Rotkehlchen blüht auf!