MÜNSTER! Magazin

Foto: Cornelia Höchstetter

November 2020 N°96


Es lebe der Zentralfriedhof (Teil 1)

Ein Spaziergang mit Dr. Ralf Hammecke durch das Gestern und Heute von Münsters Zentralfriedhof, einen der ältesten ökumenischen Friedhöfe Deutschlands.Wie wird es hier morgen aussehen? Die Bestattungskultur ändert sich.

Text CORNELIA HÖCHSTETTER


Mit Gießkanne, Pflanzkelle und frischen Blumen unterwegs auf dem Friedhof. Die Hauptallee unter den Sommerlinden entlang, rein in das Labyrinth der rechteckigen Felder zum Grab der Lieben – das war lange Zeit der typische Friedhofbesucher.

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„Die Kinder sehen die Erwachsenen lachen, warum sollen sie sie nicht auch beim Weinen sehen?“ - RALF HAMMECKE Foto: Cornelia Höchstetter

FRIEDHÖFE ÄNDERN SICH 

„Man sieht heute immer weniger Besucher mit der Gießkanne in der Hand“, erzählt Dr. Ralf Hammecke, 55. Er ist Diakon bei St. Lamberti, war lange Geschäftsführer der Zentralfriedhofskommission in Münster und ist nun alleiniger Geschäftsführer der Dialog-Medien und Emmaus Reisen GmbH. Er beobachtet eine große Veränderung auf den Friedhöfen. Viele Menschen trauern heute anders, wenn Angehörige oder Freunde sterben. Familien leben immer seltener an einem gemeinsamen Ort. Es gibt viele Single- und Zwei-Personen- Haushalte – so fragen sich viele: „Wer pflegt das Grab?“ In der traditionellen Bestattungskultur war ein großes Familien- oder Einzelgrab selbstverständlich. Heute liegt der Anteil der Urnenbestattungen auf dem Zentralfriedhof schon bei knapp 70 Prozent. 1980 waren es nur fünf Prozent. Viele haben zudem den letzten Wunsch, gar nicht mehr auf einem normalen Friedhof bestattet zu werden, sondern wählen für die letzte Ruhe einen Friedwald oder das Meer für die Seebestattung. Und damit ändern sich die klassischen Friedhöfe. Auf immer mehr freien Plätzen zwischen den Grabsteinen wächst Rasen statt Stiefmütterchen und Heidekraut um bronzene Windlichter.

REISE IN DIE VERGANGENHEIT 

Dr. Ralf Hammecke ist ein kluger Begleiter für einen Spaziergang über den Friedhof. Er studierte Theologie, Kunstgeschichte und Volkswirtschaft in Münster und in Rom. Als Diakon von St. Lamberti lernte er auf Beerdigungen verschiedenste Schicksale kennen und die verschiedensten Arten zu trauern. Umso mehr wertschätzt er die Bestattungskultur. „Die wird seit tausenden Jahren gepflegt“, erzählt er, „die Ägypter haben für die Verbindung zwischen Erde und Himmel für ihre verstorbenen Könige Pyramiden gebaut. Die Römer beerdigten die Ihren entlang der Konsularstraßen (Versorgungsstraßen für das römische Reich, Anm. d. Redaktion).“ Im achten Jahrhundert bauten die Christen ihre Kirche auf vorhandene Friedhöfe, und dann haben sich rund um die Kirchen die Orte entwickelt. Zur Zeit der Bistumsgründung in Münster wollten die gläubigen Menschen nah am Altar begraben werden, so entstanden um fast alle Altstadtkirchen neue Friedhöfe. „Das war das Lebensgefühl: Wo man geboren und getauft wurde, wollte man auch begraben sein. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung blieb schließlich ein Leben lang am Heimatort“, erklärt Dr. Hammecke. Das ist der Unterschied zur heutigen Zeit, in der die Menschen viel mobiler sind und ein Wohnortwechsel zunehmend selbstverständlich ist. 

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Hermann Landois (1835–1905), Gründer des münsterschen Zoos. Das Porträt im Metallrelief wurde zu Lebzeiten angefertigt. Foto: Cornelia Höchstetter
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Adele Althoff (1840–1909) übernahm 1888 dieLeitung des Circus Corty & Althoff, das war diemünstersche Linie der Zirkusdynastie Althoff. Foto: Cornelia Höchstetter

Der Platz auf den Friedhöfen rund um die Altstadtkirchen der wachsenden Städte im 18./19. Jahrhundert wurde wieder schnell knapp, neue Friedhöfe entstanden außerhalb der Stadtmauern. In Münster im Jahr 1808 etwa der vor dem Neutor (der heutige Überwasser-Friedhof), der Friedhof vor dem Aegidiitor, auf dessen Gelände heute die Antoniuskirche steht und die Moltkestraße verläuft, und der Hörster Friedhof. Der beherbergt zwar noch die Grabmäler der Familie Hüffer und des ehemaligen Oberbürgermeisters Johann Hermann Hüffer, ist heute aber ein reiner Erholungspark. Wenige Jahrzehnte später war der Platz für die Verstorbenen wieder knapp. „Dazu herrschte der Kulturkampf zwischen Staat und Kirche. Münster stand unter preußischer Herrschaft, die Soldaten, die sich aus Preußen in Münster ansiedelten, waren überwiegend evangelisch – 20 Prozent der Münsteraner waren evangelisch, 80 Prozent katholisch“, sagt Dr. Hammecke. Das war die Voraussetzung, dass der „Centralfriedhof “ als einer der ersten „Simultanfriedhöfe“ Deutschlands geplant wurde, also ökumenisch für die Gläubigen der katholischen und der evangelischen Kirche. „Das ist seit der Gründung das Besondere am Zentralfriedhof “, sagt Dr. Hammecke.

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Die Euthymia Gedenkstätte Schwester Euthymia ist dem Orden der Clemensschwestern 1934 beigetreten, lernte Krankenpflege und war zwölf Jahre im St.-Vincenz-Hospital in Dinkslaken tätig. Wegen ihrer Fürsorge um Kriegsgefangene und Fremdarbeiter während des Krieges wurde sie als Engel von St. Barbara bezeichnet. Ab 1948 war sie in Münster, leitete die Wäscherei des Ordens und der Raphaelsklinik und blieb weiterhin die hilfsbereite Schwester. So begannen die Menschen nach ihrem Tod 1955 die Fürbitte Schwester Euthymias anzurufen. Am 7. Oktober 2001 wurde Schwester Maria Euthymia durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Der Gedenktag ist ihr Todestag am 9. September, über ihrem Grab auf dem Zentralfriedhof wurde eine offene Kapelle errichtet. Foto: Cornelia Höchstetter

DER ZENTRALFRIEDHOF IM KURZPORTRÄT 

Am 2. Januar 1887 segnete die evangelische Gemeinde und am 30. März 1887 die katholische Gemeinde den Friedhof ein. Heute umschließt eine 1,2 Kilometer lange Mauer den Zentralfriedhof, mit altem und neuem Teil insgesamt 14 Hektar, 41 Denkmäler und 32.000 Grabstätten, ein großer Teil steht unter Natur- und Denkmalschutz. Er breitet sich parallel zum Aasee aus, zwischen Annette- Allee, Vesaliusweg, Universitätsklinikum und Instituten, Universitätsgebäuden, der Robert-Koch-Straße und der Himmelreichallee. Drei Portale führen hinein, eine mächtige Allee mit Sommerlinden bildet den Hauptweg. „Von etwa jährlich 2500 Bestattungen in Münster finden etwa ein knappes Drittel auf dem Zentralfriedhof statt, ebensoviel am Waldfriedhof Lauheide, und ein Drittel verteilt sich über die anderen Friedhöfe“, zählt Dr. Hammecke auf.

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Hier ruhen die Pfarrer der Stadt- und Marktkirche St. Lamberti. Foto: Cornelia Höchstetter
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Lamberti-Pastor und Redakteur: Hermann Josef Kappen (1818–1901) war zudem Stadtdechant, Ehrendomkapitular und päpstlicher Hausprälat. Er verfasste das Neujahrsgebet „Herr, setze dem Überfluss Grenzen…“. Foto: Cornelia Höchstetter

ORT DER TRAUER UND DER HOFFNUNG 

„Man sieht den Tod“, sagt Dr. Hammecke und vergleicht den Zentralfriedhof mit Parkfriedhöfen wie in Lauheide, wo der Tod für ihn weniger präsent wirkt. Die Wege auf dem Zentralfriedhof sind gleichmäßig eingeteilt und kreuzen sich. Dr. Hammecke findet es gut, dass man der christlichen Symbolik der Auferstehungsbotschaft begegnet. „Denn tatsächlich beobachte ich eine Mentalitätsveränderung. Manch‘ einer tut sich schwer, mit Tod und Vergänglichkeit umzugehen“, sagt der Theologe. Anders war es früher, im Jahr 1920 galt jede fünfte Beerdigung einem Kind. Jede Familie hatte alle 3,8 Jahre einen Todesfall im ersten und zweiten Verwandtschaftsgrad. „Heute ist dieser Zeitraum auf 16 Jahre angewachsen!“, sagt Dr. Hammecke. „Wer selten mit der Sterblichkeit Kontakt hat, kann schlechter damit im Alltag umgehen.“ Weil er weiß, dass der Tod und eine zunehmende Entfremdung des Glaubens Angst auslöst, konzipierte er das Begegnungszentrum gegenüber der Kapelle mit. „Trauer braucht einen Ort“, findet Hammecke. Am Friedhof steht es jedem frei, Tränen laufen zu lassen. Warum das manche Erwachsene etwa vor Kindern vermeiden wollen, versteht Hammecke nicht. Traurigkeit soll man nicht verstecken. „Die Kinder sehen die Erwachsenen lachen, warum sollen sie sie nicht auch beim Weinen sehen?“

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Teil 2 

Lesen Sie im Dezember – vielfältige Aufgaben des Zentralfriedhofs.