MÜNSTER! Magazin

Foto Peter Leßmann

November 2021 N°107


Bits, Bytes und Brokkoli

Wie kommen Fenchel, Brokkoli und Co. eigentlich frisch in den Laden? Und zwar von heute auf morgen? Josef Elfrich ist der Landwirt, der aus der Welt der Informatik kommt. Er zeigt mit seinem Hof in Saerbeck, dass die Zukunft im professionellen Bio-Gemüseanbau digital ist.

Text Cornelia höchstetter


Die Gemüsesaison geht zu Ende. Noch fährt der Traktor mit den schmalen Reifen zwischen den Salatköpfen her. Die Erntehelfer gehen Reihe für Reihe mit, bücken sich, kappen mit langen Messern und einem treffenden Schnitt den Kopf von der Wurzel. Sie richten sich auf, legen den Salat auf das Förderband. Wie in einer Schießbude fahren die Köpfe in den Traktoranhänger, wo sie ein weiterer Mitarbeiter Stück für Stück in die Kisten drapiert.

Vom maschinenbau zum bio gemüse

einem ganz normalen landwirtschaftlichen Gemüse-Betrieb. Aber der Biohof Elfrich in Saerbeck ist anders. Josef Elfrich, 60 Jahre alt, kommt nämlich aus der Welt der Computer und Softwareprogramme. Seit 40 Jahren betreibt er in Bocholt ein Unternehmen mit 60 Mitarbeitern und entwickelt Softwareprogramme für den Maschinenbau. Was hat das jetzt mit Gemüse zu tun? Der logistische Weg eines Blechs über die Bearbeitung in der Maschine und dann zum Kunden ist vom Prinzip nicht anders als der Weg des Salates von der Pflanzung über den Biomarkt zum Kunden. Dachte Josef Elfrich. Also digitalisierte er die Prozesse auf dem landwirtschaftlichen Hof seiner Eltern in Saerbeck auf Grundlage der vorhandenen sogenannten „ERP-Software“. Das ist eine Softwarelösung speziell zur Ressourcenplanung eines Unternehmens. So stellte er den Hof um, mit Bio-Gemüseanbau auf 35 Hektar. Josef Elfrich organisierte jegliche Arbeitsschritte mit digitalen Prozessen. 

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Der Schaltschrank mit der Steuerung für die Beregnung steht am Rand der Ackerflächen und ist per Handy oder Computer von überall her bedienbar. Ein Rohrleitungssystem verbindet alle Ackerflächen, angeschlossen sind 90 Hydranten. 
Foto Peter Leßmann

Vom Hof und dann in die EDV

Josef Elfrich ist in Saerbeck mit seinem Bruder Norbert und zwei Schwestern auf dem elterlichen Bauernhof aufgewachsen. Viele Generationen haben hier Tiere gehalten, Getreide, Kartoffeln und Rüben angebaut. So wie es früher eben im Münsterland war. In den 1970er Jahren folgten die Eltern der Agrarpolitik mit Intensivierung und Spezialisierung auf Maisanbau und Schweinemast. Bruder Norbert übernahm den Hof.  Josef Elfrich war da längst ausgezogen. Er war schon immer an Elektrotechnik interessiert und studierte in den 1980er Jahre Informatik. „Das war die Zeit, als Bill Gates mit IBM den Deal mit dem MS-DOS-Betriebssystem ausklügelte“. Der Durchschnittsbürger hatte damals keinen eigenen Computer – und hätte sich das auch nie vorstellen können. Josef Elfrich schon, er nahm tatkräftig am Wandel der analogen zur digitalen Gesellschaft teil.  

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Der Betriebsleiter Christian Meinecke sieht im Trecker die Bestellungen in Echtzeit und richtet die Erntemenge flexibel aus.Foto Peter Leßmann

Wie Geht es mit dem hof weiter?

Als er mit seinem Bruder vor einigen Jahren überlegte, wie es mit dem Familienhof weitergehen könne, entschieden sie sich für Bio-Gemüseanbau: „Um einer breiteren Käuferschicht Nachhaltigkeit zu bieten. Und zwar nicht über den konventionellen Handel, weil es dann wieder nur über den Preis geht“, sagt Josef Elfrich. Ihm waren der Bio-Gedanke und eine gewisse Portion Idealismus wichtig. So kam es zur Geschäftspartnerschaft mit Michael Radau vom SuperBiomarkt. „Wir haben uns per Zufall kennengelernt, als ich in die Akquise für unser Gemüse ging“, sagt Elfrich. Im Jahr 2020 begann er, sechs Märkte aus der Bio-Supermarktgruppe zu beliefern. 2021 waren es schon 23 Märkte. Im nächsten Jahr werden es 32 sein. Weil Josef Elfrich das Thema als Zukunftsfeld manifestieren wollte, gründete er mit seinem Bruder eine Stiftung. Zur Elfrich-Stiftung gehören die BEOSYS GmbH (im Bereich Maschinenbau seit 1986), die regional-bio GmbH (Organisation und Logistik im Bereich Bio-Gemüseanbau seit 2020) und der Biohof Elfrich sowie ein Rechenzentrum in Gründung. „Damit standen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung, um den Hof umzustellen“, erklärt Josef  Elfrich. 

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Einer von 90 Hydranten für die Bewässerung. Um den Grundwasserverbrauch zu reduzieren, soll bald ein Speicherbecken angelegt werden, das Regen sammelt und im Winter aus dem stark wasserführenden Bach gespeist wird. Foto Peter Leßmann
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Formschön und nussig im Geschmack ist der Blumenkohlverwandte Romanesco. 
Foto Peter Leßmann

Digitaler austausch 

Geliefert wird aus Saerbeck das, was der SuperBiomarkt-Leiter beim Check seiner Gemüseabteilung bestellt – damit wird die Lebensmittelverschwendung reduziert: Morgen braucht er zehn Salatköpfe, sieben Broccoli und 22 Bund Lauchzwiebeln – das gibt er in seinen Computer ein. „Die SuperBiomärkte und wir tauschen alle Daten über eine EDI-Schnittstelle aus“, erklärt Elfrich. Das ist die Einmaligkeit seines Betriebes. Es geht alles digital über das Internet, ohne Lieferscheine oder Rechnungen auszudrucken. Auf dem Biohof in Saerbeck setzt sich am nächsten Morgen Betriebsleiter Christian Meinecke auf den Trecker, fährt auf das Gemüsefeld und liest auf den Computer-Bildschirmen in der Fahrerkabine wie in einem fahrenden Büro die Ernteliste ab. Die rumänischen Erntehelfer, die für die Erntezeit auf dem Hof in Tiny-Häusern wie auf einem Campingplatz leben, kümmern sich nicht nur um das Pflanzen und Ernten des Gemüses, sondern auch um das Hacken des Unkrauts innerhalb der Pflanzreihen per Hand. Das wird in der Biogemüse-Fachsprache heutzutage umweltpolitisch korrekt als „Beikraut-Reduzierung“ bezeichnet.  Das geerntete Gemüse wird zur Hofstelle gefahren. Eine Allee führt zu den Gebäuden, die alle für die Anforderungen des Gemüseanbaus neu gebaut sind. Während der Planungsphase hatte sich herausgestellt, dass die alten Gebäude den neuen Anforderungen nicht genügten. Für einen kühlen Salatkopf sorgt die Waschstraße mit einer kalten Dusche. Danach geht es ins Kühlhaus und von dort kommissioniert für die einzelnen Märkte mit dem Kühl-LKW in das  Verteilzentrum des SuperBiomarktes. Jede Kiste trägt die Tournummer und den Namen des Marktes. In Dortmund wird umgepackt und sofort zu den SuperBiomärkten in NRW und im angrenzenden Niedersachsen geliefert. „So sparen wir die Zwischenlagerung im Großhandel und gewinnen Zeit. Der Salatkopf ist in ein oder zwei Tagen beim Kunden und damit viel frischer!“, erklärt Josef Elfrich. Bis zu 4.000 Kisten pro Woche liefert der Gemüsehof Elfrich. Im Jahr sind das bis zu 400.000 Salatköpfe und eine Million Gemüsestücke aller Art.

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Bei aller Technik und Digitalisierung: Die Ernte der Salatköpfe bleibt manuell. Foto Peter Leßmann

Empfindliche Pflänzchen

Alles läuft digital: Anbauplanung, Bodenbearbeitung, „Beikraut“-Reduzierung und Nährstoffanalyse. Auch die Saat und das Pflanzen – wobei das in der konventionellen Landwirtschaft längst digital und GPS-gesteuert möglich ist. „Im Bio-Gemüseanbau ist das aber eher ein neuer Weg“, sagt Josef Elfrich. „Gemüse ist das empfindlichste Produkt der Landwirtschaft.“  Weil der Klimawandel für trockene Sommer sorgt und Wasser zur knappen Ressource geworden ist, wird die Bodenfeuchtigkeit über Sensoren gemessen, so dass die Beregnungsanlage automatisiert die notwendigen Wassermengen ausbringt. 

Wandelfähig

Josef Elfrich ist ein besonderer Typ. Ein Münsterländer, der das „R“ rollt wie NRW-Gesundheitsminister Laumann, der nur wenige Kilometer weiter in Riesenbeck lebt. Elfrich vereint scheinbar Gegensätzliches: Nicht nur Bio und Digitales, privat ist er mit einer Kölnerin verbandelt. „Da hat man schon so seine Diskussionen“, sagt der Münsterländer. Er lebt in Köln, Bocholt und Saerbeck. In Saerbeck ist im Dezember, Januar und Februar erst einmal Pause auf den Feldern. Pause, um die nächste Saison vorzubereiten und ein Resumée zu ziehen: „Als wir die Idee vor fünf Jahren der Landwirtschaftskammer vorstellten, dachten die sicher, wir haben sie nicht alle…“, erinnert sich Josef Elfrich. „Heute denke ich, den Wandel kriegen wir gemeinsam mit dem Einzelhandel hin.“ Er plant noch einen Hofladen, Seminarräume für Kunden und Mitarbeiter sowie ein Hof-Café. „Wer weiß“, sagt Josef Elfrich, „vielleicht verdienen wir in 20 Jahren mehr Geld mit der nachhaltigen Produktion von hochwertigen Lebensmitteln als mit der Software für den Maschinenbau!“ 

 

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Erntehelfer aus Rumänien schneiden und kon­trollieren die Salatköpfe. Foto Peter Leßmann