MÜNSTER! Magazin

Foto Eva Harder

November 2021 N°107


Der Brunnen mit Geschichte

Ja klar, es ist immer schön, wenn im Stadtbild an Brunnen das Wasser sprudelt. Noch dazu an der von uns allen so heißgeliebten Promenade! Hinter der Rückkehr des Nicole-Eisenman-Werkes Sketch for a Fountain steckt aber weitaus mehr als eine urbane Dekoration. Die Geschichte hinter dem Brunnen selbst und rund um seine Wiederkehr exakt vier Jahre nach den Skulptur Projekten ist einzigartig. Schauen wir genauer hin …

Text Britta Heithoff


Erinnern Sie sich an die Skulptur Projekte 2017? Es war ein herrlicher Sommer mit vielen Gästen in der Stadt, mit in vielerlei Hinsicht aufregender Kunst, einem barfuß zu begehenden Steg in Münsters Hafen (dem Werk von Ayşe Erkman, Anmerkung der Redak­tion) und ... ja, und mit einem Brunnen, der viele Diskussionen aufwarf und gleichzeitig zum Publikumsliebling einerseits und zum Ausrufezeichen andererseits wurde?

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Der „Standing Guy“ des Werkes Sketch for a Fountain – die New Yorker Künstlerin Nicole Eisenman entwickelte den Brunnen für die Skulptur Projekte 2017. Bürgerinnen und Bürger holten diesen exakt vier Jahre später zurück an seinen Platz an der Promenade.  Foto Hanna Neander

Die Künstlerin Nicole Eisenman, eine der renommiertesten zeitgenössischen Künstlerinnen und auch derzeit auf bedeutenden internationalen Ausstellungen vertreten, schuf ihr Werk Sketch for a Fountain speziell für die Skulptur Projekte 2017 in Münster. Ihre Skulptur thematisierte durch überlebensgroße, auffällig geschlechtslose Figuren, die sich an einem Wasserbecken  tummelten, die Themenfelder Toleranz und Gender. Ganz bewusst wurde für ihre „Brunnenskizze“ ein Ort an der Promenade gewählt. Nicht, weil es hier so pittoresk ist. Nein, weil der Ort dort an der Kreuzschanze (zur besseren Orientierung: in der Nähe des Buddenturms) seit Jahrzehnten als heimlicher Treffpunkt Homosexueller bekannt ist. Ein Statement. Gerade hier. Gerade so. Und auch das ist noch nicht alles: Nicole Eisenman nahm 2017 mit diesem Werk auch Bezug auf ihre jüdische Familie, die im Zweiten Weltkrieg aus Deutschland und Österreich fliehen musste. Sketch for a Fountain war also schon vor vier Jahren weit mehr als „einfach nur ein Brunnen an einem schönen Ort“. Es war ein gesellschaftliches und politisches Statement. Während der Skulptur Projekte erlangte „der Brunnen“, wie wir ihn hier nun stark verkürzt nennen, die Aufmerksamkeit der kunstinteressierten Gäste, die teilweise von weither angereist von Werk zu Werk durch die Stadt pilgerten. Aber auch bei den Münsterane­rinnen und Münsteranern weckten die hier in der Promenade „wege­lagernden 
Figuren“ umfassendes Inte­resse. 

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Ein Gänsehautmoment: die Enthüllung der Figuren Anfang Oktober. Foto Peter Wattendorff

Als das Werk von Nicole Eisenman im Sommer 2017 durch homophobe Schmierereien und mutwillige Zerstörungen angegriffen und verunstaltet wurde, erlangte es neue, weitere, diesmal entrüstete Aufmerksamkeit. Nicht nur die Organisatoren der Skulptur Projekte waren entsetzt. Die Geschichte des Sketch for a Fountain hatte ein neues Kapitel bekommen und vielleicht war dies die erste Zeile einen neuen Buchs, das nun aufgeschlagen wurde. Denn wie viele Besucherinnen und Besucher fanden sich damals nun auch noch häufiger kundige Kunstvermittler mit den von ihnen geführten Gruppen an der Kreuzschanze ein und diskutierten. Darunter: Dr. Maria Galen, Galeristin aus Greven, und Sandra Silbernagel, Künstlerin aus den Rieselfeldern. Und hier kommen wir nun zur Bürgerinitiative, die den vieldiskutierten Brunnen von Nicole Eisenman nun zurück an seinen Platz an der Kreuzschanze holte. Galen und Silbernagel taten sich damals nach den Skulptur Projekten, im Herbst 2017, spontan mit Manfred Petermann, Uta Ramme und Soetkin Stiegemeier-Oehlen, drei weiteren Bürgerinnen und Bürgern aus Münster, zusammen. Sie fanden: „Das Werk von Nicole Eisenman ist wichtig, wir brauchen es in Münster“ – gerade wegen der Diskussionen, die es ausgelöst hat, gerade, weil es uns die gesellschaftlichen Themen rund um Toleranz und friedliches Miteinander unübersehbar vor die Füße spielt und gerade an diesem Ort. Was nun begann, ist einzigartig in der Geschichte. Denn da „der Brunnen“ nicht auf der Ankaufsliste offizieller Organe stand, organisierten sich die Bürgerinnen und Bürger von Münster selbst, um „ihr“ Eisenman-Werk zurückzubeschaffen. Allen voran wurde das weiter vorn genannte „Brunnenteam“ Maria, Sandra, Uta, Soetkin und Manfred, inzwischen zum Kern eines Brunnenfreundeskreises zusammengewachsen, aktiv. Sie gründeten als Reaktion auf die homophoben und antisemitischen Beschmierungen während der Ausstellung im Nachgang die Initiative Dein Brunnen für Münster e. V. und starteten unzählige Aktionen, um das Kunstwerk zurückzuholen, die Finanzierung hierfür zu sichern und um gerade vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen gemeinsam ein Zeichen für eine offene, friedliche, bunte und tolerante Gesellschaft zu setzen.  

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Foto Peter Wattendorf
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Menschen, so weit das Auge reichte: Weit über 1.000 Bürgerinnen und Bürger fanden sich ein, als die Rückkehr des Werkes gefeiert wurde. Foto Hanna Neander

Es folgte ein Marathon mit langem Atem und vielen Sprints, mit Hürden, Stop-and-Gos und einer sich entwickelnden einzigartigen Energie: Der Verein Dein Brunnen für Münster e.V. ging im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Straße“, suchte den Dialog und warb für sein Vorhaben. Auf Viertel- und Straßenfesten, auf Kunstausstellungen, der „Langen Nacht der Museen“, einem selbst ausgerichteten „Bergfest“ und mit etlichen oft auch sehr unkonventionellen Aktionen wurde informiert, Interesse geweckt und natürlich auch: Geld gesammelt. Viele münstersche Unternehmen wurden kreativ und gestalteten mit: Mit Brunnenbier, Brunnenbrötchen, Brunnenpesto, „Brunnen-Gerichten“ in Restaurants, einer Filmvorstellung und, und, und wurden Spenden generiert.  

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Seit Ende Oktober ist das Wasserspiel des Brunnens wegen der Frostgefahr in der Winterruhe. Wir freuen uns schon darauf, wenn es im kommenden Frühjahr wieder sprudelt! Foto Hanna Neander

Diese Aktivitäten prägten das Jahr 2018 und brachten ca. die Hälfte der für die Wiedererlangung des Brunnens benötigten Spenden ein. Berührt von diesem außergewöhnlichen bürgerschaftlichen Engagement kamen die Künstlerin und ihre New Yorker Galerie der Initiative entgegen und verzichteten auf ihre Honorare. Dadurch reduzierte sich der Anschaffungspreis des Kunstwerks maßgeblich. Parallel dazu und weit in das Jahr 2019 hinein war das Brunnenteam mit der auf­wendigen Antragsstellung an Förder­in­sti­tutionen, Stiftungen, die Stadt Münster und das Land NRW beschäftigt. 
Die eingeworbenen Fördermittel deckten etwa den Rest des benötigten Betrages. Der Ratsbeschluss am 24. Juni 2020 bestätigte dann entscheidend die Rückkehr des Kunstwerkes an seinen alten Standort auf der Kreuzschanze. Die Umsetzung war dann schließlich der nächste wortwörtlich zu verstehende „Kraftakt“ für die Wieder­erlangung des Brunnens. Auch hier stiegen wieder münstersche Unternehmen mit ehrenamtlichem Engagement „hands-on“ ein: Erschließung, Geländevorbereitung, Aushübe, DIN-Normen, Drainagen, Fundamente, Wasserdüsen und so fort beschäftigten das Brunnenteam und ihre professionellen Helfer monatelang in Vorfeld und wochenlang vor Ort.  Und am Samstag, 2. Oktober, einem sonnigen Herbstnachmittag, war es dann so weit: Der Brunnen wurde von den Bürgerinnen und Bürgern, die sich vier Jahre lang dafür stark gemacht haben, an die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Zeichen jetzt täglich feiern, genießen und besuchen dürfen, übergeben. Die Bilder zeigen es: Es war, es ist ein Fest. Und ein sehr starkes Zeichen des Engagements der münsterschen Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Unterstützer für eine offene, bunte und tolerante, friedliche und extrem starke, im Miteinander handelnde Gesellschaft. Wir sind beeindruckt. deinbrunnen4ms.de

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Künstlerin Nicole Eisenman hat ihren erneuten Besuch in Münster bereits für 2022 angekündigt. Foto Nicole Eisenmann