MÜNSTER! Magazin

Foto: Cornelia Höchstetter

N°117


OXFORD KLIQ
Chance für neues Wohnen

15 Familien treffen sich jeden Donnerstag und tüfteln an ihrer Zukunft. Sie möchten im Oxford-Quartier in Münsters Westen gemeinsam den Traum von städtischem Leben auf kleinstem Raum realisieren. Mit beidem: kurzen Wegen und großer Freiheit. 

Text Cornelia Höchstetter


16 Uhr an einem Sommernachmittag in Gievenbeck. Über den Asphalt der provisorischen Quartiersstraße im verlassenen Kasernengelände zischt ein Rennrad vorbei. Der Fahrer trägt eine Din-A-0-große Dokumentenmappe unter dem Arm. Ihm folgen Gravelbikes, E-Bikes, Lasten­räder mit Kindern als Passagiere, Trekkingräder mit Anhängern. Eine Leeze im Gazelle-Stil ist  auch dabei. Münstersche Familien auf dem Weg. Ihre Fahrräder verraten viel über ihre „Gesinnung“ und ihre Ideen von Leben.

Wohnen, Leben, Arbeiten 

Gemeinsamer Treffpunkt ist das Baufeld A4 hinter der historischen gelben Turnhalle der ehemaligen Oxford-Kaserne. Maike Denker parkt ihr Lastenrad. Unter dem Dach der Kinderkabine baumeln bunte Pappkreise. „Die stammen aus der Farbwelt unseres Projektes KliQ“, erzählt die Mutter einer Tochter und Künstlerin von Beruf (siehe MÜNSTER! #110, Februar 2022). KliQ steht für: Kollaborativ leben im Quartier. Das Projekt haben drei junge Familien ins Leben gerufen und sich mit zwölf weiteren Familien als private Baugruppe bei der KonvOY GmbH um das Baufeld A4 im künftigen Oxford Quartier in Gievenbeck beworben. Im Juni haben sie von ihrer Zusage erfahren. Sie wollen nicht nur Reihenhäuser und Wohnungen in Holzbauweise für sich bauen, sondern einen kleinen lebenswerten Stadtausschnitt schaffen, mit verschiedenen Daseinsfunktionen und unter dem Motto der Gemeinsam- und Nachhaltigkeit. Baubeginn ist für Mitte/Ende 2023 angepeilt. Aktuell sind es 15 Parteien, die zur privaten Baugruppe gehören und eine Gemeinschaft des bürgerlichen Rechts organisierten (GbR). Mit Baubeginn sollen es etwa 23 Parteien sein.

„Wir wollen in der Stadt wohnen“, ist der Wunsch aller. „Aber inzwischen können sogar Akademiker mit einem normal-mittelguten Einkommen im Zentrum keinen Wohnraum mehr kaufen“, klagt Architektin und KliQ-Gründungsmitglied Stephanie Bücker. Als Beispiel, was Wohnen im Eigentum kosten kann: 8.000 Euro pro Quadratmeter im Kreuzviertel ist aktuell eine realistische Größenordnung. Bei einer 120-Qua­dratmeter-Wohnung sind das fast eine Million Euro. KliQ ist mit dem Ziel angetreten, Wohnraum für rund 5.000 Euro pro Quadratmeter inklusive Gemeinschaftsflächen wie Co-Working oder Werkstatt sowie der entstehenden Grundstücks- und Nebenkosten zu schaffen. 

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Noch steht sie in den Wildnisbrache: Maike Denker hält die Visualisierung des künftigen Wohn- und Lebensraums in den Händen. Foto: Cornelia Höchstetter

Vorbild aus Berlin 

Bei KliQ sind alle Mitglieder gleichzeitig Bau­herren sowie Wohnungseigentümer – „das wollen die meisten schon deswegen, um das Alter zu finanzieren und den Kindern etwas weiterzugeben“, sagt Jens Lanwer, KliQ-Gründungsmitlied und Sprachwissenschaftler an der Universität Münster. Klaudia Denker ist ebenfalls Gründungsmitglied. Als Grafikdesignerin ist sie für das Erscheinungsbild von KliQ zuständig. Mit ihrem Mann hat sie die Bewerbungsunterlagen gestaltet.  

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Die KliQ-Leute setzen auf „Eigenantrieb und Elektromobilität“ und planen ein Carsharing-System mit verschiedenen Fahrzeugen. Foto: Cornelia Höchstetter

„Ein Vorbild, dem wir einiges abgeschaut haben, ist die ebenfalls private Baugruppe BIGYard in Berlin: eine Innenhofsituation mit zwei bebauten Seiten und einem Garten für alle statt vieler privat abgegrenzter Terrassen“, erklärt Architektin Stephanie Bücker, die mit ihrem Büro MS Plus Architekten das Projekt KliQ betreut. Auf dichtem Raum leben, kurze Wege haben, Gemeinschaft. Wie Jens Lanwer sagt: „Ich wollte kein Parzellenleben, mit 20 Gärten und 20 Schaukeln.“ Eher wie eine dörfliche Gemeinschaft, nur im urbanen Kontext. Neben dem BIGYard in Berlin gibt es laut Stephanie Bücker ähnliche Wohnbaukonzepte privater Baugruppen in Köln oder Hamburg. In Münster ist das Thema noch recht neu. „Wir spielen gerne eine positive Vorreiterrolle“, sagt die Architektin. 

„Dass wir uns während der Pandemie zusammengefunden haben, uns digital kennengelernt haben und so auf einer Wellenlänge sind – darauf sind wir wirklich stolz!“

Jens Lanwer

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Jens Lanwer Foto: Cornelia Höchstetter

Konversion, Vision, Zukunft 

An eine Baugruppe wie KliQ müssen die Entwickler des Oxford-Quartiers gedacht haben, das 1.200 Wohnungen auf 26 Hektar als Ziel hat. MÜNSTER! berichtete bereits in M! #88, Februar 2020, über die Quartierspläne. Damals stand das Thema „Prima Klima“ im Vordergrund. „Robust machen für die Folgen des Klimawandels,“ nannte Stadtbaurat Robin Denstorff vor zwei Jahren  ein Ziel des geplanten urbanen Quartiers. Der trockene Sommer 2022 zeigt wieder, wie existentiell eine solche Ausrichtung für künftige Stadtentwicklung ist: Ein Regenwasserkonzept, Versickerungsmulden (Rain Gardens) und offene Wasserflächen, Kastenrinnen und begrünte Flachdächer sollen mit zu wenig Niederschlägen genau wie mit Starkregen zurechtkommen. 

Stadtbaurat Robin Denstorff und Stephan Aumann als Geschäftsführer von KonvOY wünschten sich in dem damaligen MÜNSTER!-Artikel private Interessensgemeinschaften mit „guten Ideen zum gemeinschaftlichen Wohnen“. Und das klingt nach den Familien von KliQ. Ein anderes gemeinschaftliches Wohnprojekt auf dem Oxford-Gelände ist die Genossenschaft Grüner Weiler, die neben Flächen für Kultur und Gewerbe vor allem bezahlbaren Wohnraum für genossenschaftliches Mieten realisieren möchte.

Morgen, Heute, Gestern 

„Eigentlich wollten wir eine buntere Alters­struktur, aber bisher sind wir tatsächlich vor allem junge Familien mit Kindern“, sagt Jens Lanwer. Sein Motto: „Jeder für sich, aber nicht allein. Kein Gartenzaun, kein Gartenzauntratsch.“ Wohl aber Möglichkeiten zum miteinander Quatschen und Treffen, in offenen Freiflächen mit Sitzecken, in Multifunktionsräumen, Coworking-Spaces, im Indoor-Spielplatz oder im Naschgarten. 

„Der Coworking-Space bietet die Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. Eine Alternative zum Homeoffice mit dem Mehrwert, sich auch mit anderen Berufsgruppen auszutauschen und Synergieeffekte zu nutzen.“

Klaudia Denker

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 Klaudia Denker Foto: Cornelia Höchstetter

Warum haben sich die Familien für den Standort Oxford entschieden? „Für uns“, sagt Jens Lanwer, „ist die Grundstücksgröße für das komplette Projekt sehr attraktiv, so etwas findet man selten. Und mir gefällt, dass das Gelände nicht so clean ist, dass hier die Historie eine Rolle spielt.“ Tatsächlich soll viel vom alten Baumbestand bleiben, ein sogenannter „grüner Trichter“ im Quartier soll entstehen, wie ein Park. Die historische Turn­halle soll restauriert, das Uhrenturmhaus soll Bürgerhaus werden, die alte denkmalgeschützte Mauer direkt hinter dem Baufeld 4A soll bleiben, weil sie aus regionalem Stoff, Baumberger Sandstein, besteht. 

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Die Fassade des künftigen Gebäudes ist wie seine tragende Konstruktion zum großen Teil aus Holz. Foto: KliQ  / Visualisierung „loomn“

Aktuell sieht das alte Kasernengelände eher nach „Lost Place“ aus. Seit 2013 sind die nach dem Zweiten Weltkrieg untergebrachten britischen Soldaten aus den Oxford Baracks ausgezogen. Die britische Kaserne war wie eine eigene Stadt mit bis zu 10.000 Soldaten, Wohnungen, Werkstätten, Sportanlagen, Exerzierplätzen, Schulen und einem Pub. Aus solchen frei gewordenen Konversionsflächen sind schon in manchen Städten besondere Quartiere entstanden. Eine Chance für die Stadtentwicklung, weil mit einem Mal große Flächen für neue Ideen zur Verfügung stehen. So auch in Münster – wo ja in Gremmendorf mit der ehemaligen York-Kaserne Ähnliches im Werden ist.  

Flexibel für alle Lebensphasen 

Auf dem Oxford-Gelände stehen die Eltern zwischen Disteln und Kamille. Die Kinder balancieren auf den Abriss-Steinen und studieren die Käfer in der Wildnis der Brache. „Für mich ist das auch ein Grund, hier mitzumachen: Dass meine Tochter unter vielen Kindern aufwächst“, erzählt Maike Denker. Einige andere ursprünglich Interessierte sind in der Anfangsphase abgesprungen. „Das ist ganz natürlich und gut so. Besser jetzt als später feststellen, dass das doch nicht finan­zierbar ist oder nicht die passende Lebensform“, meint Jens Lanwer. Denn die Wohnungen sind auf Langfristigkeit geplant: Sie sollen veränderbar sein. Wenn Eltern eines Tages in Rente gehen, Kinder ausziehen, Großeltern pflegebedürftig sind. So sind Wohnungen und Reihenhäuser potenziell in kleinere Einheiten teilbar. „Ein 150 Quadratmeter großes und einzelstehendes Haus, aus dem nach 20 Jahren die Kinder ausziehen, ein Ehepartner verstirbt und das dann von einer Person alleine bewohnt wird, ist einfach nicht mehr zeitgemäß und alles andere als nachhaltig“, finden die Leute von KliQ und möchten so etwas vermeiden. 

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Skizzen sagen mehr als Worte: Wie verschiedene Legosteinchen fügen sich die Räumlichkeiten mit ihren Funktionen flexibel zusammen. Zeichnung: MS PLUS ARCHITEKTEN BDA

"Ein Vorbild, dem wir einiges abgeschaut haben, ist die Baugruppe BIGYard in Berlin: eine Innenhofsituation mit zwei bebauten Seiten und einem Garten für alle statt viele private abgegrenzte Terrassen."

Stephanie Bücker

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Stephanie Bücker Foto: Cornelia Höchstetter

Ein Ort für alle 

Das grobe Ziel für einen Einzug ist das Jahr 2025. Im Idealfall spielen dann nachmittags um 16 Uhr die Kinder in den Regenrinnen. Eltern verlassen die Büros in dem Co-Working Space und zum Feierabend treffen sie sich in der geplanten Community kitchen. Dort können die KliQ-Bewohner Freunde einladen, runde Geburtstage feiern, Ausstellungen durchführen. Verwandte und Freunde von weiter weg müssen nicht auf der Couch im Wohnzimmer schlafen – für sie gibt es Gäste-Apartments, die allen Familien zur Verfügung stehen. Barrierefrei. „Darauf freue ich mich. Mein Bruder ist Rollstuhlfahrer und könnte uns unkompliziert besuchen“, erzählt Maike Denker. Ihr Lastenrad wird nicht mehr auf der Straße stehen, sondern im unterkellerten Gemeinschaftsbereich des Baufeld A4.

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Die Sandsteinmauer (links) steht unter Denkmalschutz und bleibt. Dort entlang führt ein Pfad inklusive Spiel- und Aufenthaltsbereichen. Visualisierung: „loomn“