N°139
The B-Side is back
Die südliche Seite des Hafens hat Form angenommen. (Wieder) mit am Start: das soziokulturelle Quartierszentrum B-Side, das nach fast neunjähriger Umbauphase des Hill-Speichers zurück am Heimathafen ist.
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Wenn Münsters Stadthafen eine Schallplatte wäre …
Ein schmuckes Giebelgebäude aus der Vorkriegszeit ziert die südliche Hafenseite: der alte Hill-Speicher. Vor langer Zeit hat er als Lagergebäude des Lebensmittel-Unternehmens Heinrich Hill AG gedient, was sich noch immer mit etwas Vorstellungskraft durch den in die Jahre gekommenen Schriftzug an der historischen Außenfassade entziffern lässt. Nach der Jahrtausendwende hat die münstersche Subkultur den 100 Jahre alten Speicher für sich entdeckt und die ungenutzten Teile durch Graffiti, Musikveranstaltungen und Kunstausstellungen aufgepeppt. Eine der ersten Ausstellungen, die im Hill-Speicher stattfand, hatte den verheißungsvollen Titel B-Side.
Dieser Begriff kommt nicht von ungefähr, sondern geht zurück auf die Anatomie einer Schallplatte: Eine Platte hat zwei Seiten, wobei die A-Seite oftmals das Hauptstück spielt. Auf der B-Seite (engl. „B-Side“) lassen sich mit etwas Glück bislang unentdeckte Schätze finden. Die nördliche Seite des Hafens (oder die A-Seite, wenn man so will) wurde ab 1997 unter dem Leitbild „Kreativkai“ aufgemotzt, mit Design-Studios und Restaurants ausgestattet. Währenddessen blieb die südliche Hafenseite zunächst Industriegebiet mit verborgenem Potenzial, fast so wie die B-Seite einer Platte. Im Volksmund hat sich für den Südkai des Hafens, vor allem aber für das Speichergebäude, schnell der Name B-Side etabliert. „Wir treffen uns an (oder in) der B-Side“, hieß es von da an.
Die B-Side hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem dynamischen und wichtigen Ort der Begegnung, des Austauschs und der Teilhabe entwickelt. Hier wurden Hip-Hop, Reggae, Punk, Techno und Dub gespielt – fernab vom Mainstream. Hier haben sich junge Menschen getroffen, die Bock hatten, etwas auf die Beine zu stellen. Hier war der Dreh- und Angelpunkt für Kunst- und Kulturschaffende aus Hansaviertel und Umgebung.
Let it B-Side
Ende 2016 liefen alle Erbpachtverträge auf der Hafensüdseite aus, die Grundstücke sollten an Unternehmen verkauft werden. Um zu verhindern, dass der Hill-Speicher privatisiert wird, was eine öffentliche Nutzung durch die lokale Kunst- und Kulturszene ausgeschlossen hätte, hat sich 2015 die Projektinitiative B-Side zusammengeschlossen. Gemeinsam mit vielen engagierten Menschen aus dem ganzen Quartier, die sich aufgrund ihrer jahrelangen Verbundenheit mit der B-Side schnell aktivieren ließen, hat die Initiative versucht, den alten Speicher als öffentlichen Ort der soziokulturellen Teilhabe zu bewahren. „Im Kern wollten wir einen unabhängigen Sozial- und Kulturraum erhalten und ihn als Ort des Austausches und der Vernetzung für bereits bestehende Nutzungen und für die Allgemeinheit weiterentwickeln“, erklärt Tim Többe, der von Beginn an in der Projektentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit der B-Side Initiative mitgewirkt hat.
Im Rahmen der Vernissage Let it B-Side, die im Februar 2016 im Hill-Speicher stattfand, hat die Initiative der Stadt Münster ein alternatives Nutzungskonzept für den Speicher vorgeschlagen. Es sollte ein selbstorganisiertes und wirtschaftlich unabhängiges Kulturzentrum mit Ausstellungsflächen, bezahlbaren Räumen für kreative und soziale Nutzungen werden. Kurz: ein soziokulturelles Quartierszentrum. Der Stadtrat ließ sich von diesem innovativen Konzept überzeugen und hat beschlossen, dass Teile des Erdgeschosses und die Obergeschosse des Hill-Speichers durch die B-Side und die Wirtschaftsförderung Münster GmbH (WFM) in der Rolle als Bauherrin umgebaut und saniert werden kann. Das Erdgeschoss wurde in der Zwischenzeit vom Ruderverein Münster von 1882 e.V., über den wir in unserer Doppelausgabe Juli/August berichtet haben, saniert und bereits im März bezogen.
Charmantes Haus am Hafen
„Wir haben dicke Bretter gebohrt und gemeinsam mit dem Architekturbüro Böll und dem Projektsteuerer assmann einen langen Atem gehabt“, erklärt WFM-Projektleiter Henning Fischer. Ebenso betonte Enno Fuchs, Geschäftsführer der WFM, am 26. April beim Festakt im damals fast einzugsbereiten Speicher: „Zusammen ist uns ein großartiges Ergebnis gelungen, worauf wir stolz sein können.“
Mehr als acht Jahre hat es gedauert, den alten Speicher auf Vordermann zu bringen, mit reichlich Herausforderungen, wie etwa den Brandschutz sicherzustellen. Zuletzt hat das B-Side Kollektiv aus eigener Kraft die restlichen Arbeiten erledigt. Sie haben Böden verlegt und Wände gestrichen, Ausnahme: (keine Sorge!) die deckenhohen Wandbilder von vor zehn, zwanzig Jahren. Sowieso hat der Speicher seinen alten Charme behalten: Von der Kaipromenade (am besten der nördlichen) aus lässt sich das historische Mauerwerk bewundern, der Dachstuhl des kleineren Giebels stützt noch immer, was das Zeug hält, auch die Laderampe ist erhalten geblieben. Neu und doch nachhaltig (eines der Grundprinzipien der B-Side) ist unter anderem die Inneneinrichtung im Herzen der B-Side, genauer im Quartierswohnzimmer und auf der Dachterrasse. In den letzten Wochen hat das Design-Studio studio formagora mit viel Unterstützung aus dem Kollektiv und von freiwilligen Helfer*innen Sitzmöbel und Tische gebaut. Nachhaltig, weil einige der Möbel aus dem alten Dachstuhl des großen Giebels, andere aus Altholz, unter anderem gespendet von den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster, bestehen.
Alles unter Dach und Fach
Die nagelneue B-Side kann sich sehen lassen: Ein Drittel der etwa 2.500 Quadratmeter großen (!) Fläche besteht aus Ateliers, (Gemeinschafts-)Büros und Proberäumen. In einem der gemeinschaftlich genutzten Büros arbeiten so etwa Johanna K. und Johanna Bauhus aus Münster, die mit Paula S. (Namen teilweise auf Wunsch der Protagonistinnen verkürzt) aus Köln das feministische Musiklabel Ladies & Ladys Label gegründet haben. „Am meisten freue ich mich darauf, ein Festnetztelefon zu haben“, scherzt Johanna Bauhus. Vor dem Umzug in die B-Side haben die beiden Münsteranerinnen ihre Meetings per Zoom oder im Wohnzimmer ihrer WG abgehalten, waren immer und überall erreichbar. Jetzt haben sie „ein geiles Büro in einem geilen Ort“ am Hafen mit geregelten Arbeitszeiten und Anrufbeantworter. Nur eine Tür weiter, in dem einzigen Einzelbüro, sitzen die drei Gründer des (übrigens mit dem German Design Award Newcomer ausgezeichneten) Design-Studios studio formagora: Nick Potter, Esra Heuermann und Finn Blankenberg. „Wir wollen, dass alles etwas näher zusammenrückt“, sagt Nick. Gesagt, getan: In der B-Side arbeiten sie nun mit Menschen unter einem Dach, die ähnlich ticken (gesellschaftsorientiert, umweltschonend, gemeinschaftlich), zu denen sie jetzt noch kürzere Wege haben und mit denen sie Neues auf die Beine stellen können. Um die Räume nutzen zu können, leisten alle Nutzer*innen neben ihrer geringen Raumnutzungsgebühr einen Beitrag zur Gemeinbedarfseinrichtung, und zwar monatlich eine Viertelstunde pro angemieteten Quadratmeter. Das kann sein: Glühbirnen wechseln, Pflanzen gießen, Workshops geben, eine Kunstausstellung betreuen oder nach einem Konzert aufräumen.
Mitmachen bei der B-Side
Zwei Drittel der Fläche steht allen Menschen zur öffentlichen Nutzung bereit, wobei der gemeinnützige Verein B-Side Kultur e.V. Hauptnutzer dieser Fläche ist. Gemeinsam mit der Kunst- und Kulturszene bieten die verschiedenen Arbeitskreise des Vereins ein vielfältiges Programm an, das Kunst, Nachhaltigkeit und Bildung (kulturell, politisch, handwerklich) in Münster fördern soll und den Hafen mit Leben füllt. So schmeißt zum Beispiel ein Arbeitskreis, der sich von der Hamburger Tanzveranstaltung Faltenrock hat inspirieren lassen, regelmäßig und sehr erfolgreich Ü60-Partys. „Da geht richtig die Post ab“, verrät Tim. Und dann gibt es noch das Festival-Team, das den Hafen gemeinsam mit Vereinen, Initiativen und Einzelakteur*innen jährlich in einen Ort für Kultur, Bildung und Austausch verwandelt: das B-Side Festival, das seit 2016 immer am dritten Septemberwochenende stattfindet. Dieses Jahr am Samstag, 20., und Sonntag, 21. September, (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) erstmals wieder am Mittelhafen.
Aber: „Man muss nicht Mitglied sein, um mitzumachen. Ganz im Gegenteil!“, betont Tim. Man muss auch nicht im Hansaviertel leben, um dem B-Side Kollektiv beizutreten, die öffentlichen Räume zu nutzen oder die vielen Angebote wahrzunehmen. Die B-Side ist ein Ort für alle Münsteraner*innen, die sich vernetzend und aktiv in das Stadtgeschehen einbringen wollen – ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Teilhabe aller.
b-side.ms
ZAHLEN, ZAHLEN, ZAHLEN
• 3.500 qm Fläche insgesamt, davon 2.500 qm Nutzfläche
• 9,8 Mio. Euro Gesamtkosten, davon 7,2 Mio. Euro finanziert aus Mitteln der Städtebauförderung des Landes NRW, 2,6 Mio. Euro durch die Stadt Münster aufgrund krisenbedingter Baukostensteigerung
• 20 Personen im Kernteam der B-Side
• 50 Ehrenamtliche, die intensiv mitwirken
• 70 Nutzer*innen der Ateliers, Büros und Proberäume