MÜNSTER! Magazin

Foto: Michael Lemmerhirt

September 2020 N°94


Der will nur spielen

Daniel Düsentrieb hat einen Bruder im Geiste: Der heißt Dr. Josef Hesse, ist Geschäftsführer in Roxel und hat ein zweites Leben: Wo andere Männer einen Hobbyraum haben, bastelt er in einer Lagerhalle über zwei Etagen am Fred-Feuerstein-Mobil mit Steinzeit-Charme herum, und an einem echten Kultauto – dem DeLorean aus „Zurück in die Zukunft“. Kevin Pike aus Hollywood war auch schon in Roxel …

Text Cornelia Höchstetter


Es piept bei Dr. Josef Hesse. Nicht, was Sie denken – nein, die Töne kommen aus dem Hobbyraum. Es pfeift wie in einer Spielhölle und so sieht es auch fast aus, denn Dr. Josef Hesse sammelt Arcade-Automaten, alte Computer und Konsolen aus dem 20. Jahrhundert. Andere Menschen würden mit der Geräuschkulisse wahnsinnig werden, „mich beruhigt das total“, sagt der Tüftler. Im Hobbyraum ist er in seinem Element – Hobbyraum ist vielleicht auch nicht ganz die korrekte Bezeichnung für die zweistöckige Halle mit Hebebühne, Sitzecke mit Hochtisch und Lagerraum. Dass das ein skuriller Ort ist, merkt man schon auf dem Weg vom Wohnhaus hierher: Der führt über den Garten und dort steht die Kabine einer alten Skigondel auf der Wiese.

„Die wollte ich eigentlich unter dem Hallendach aufhängen“, erzählt Dr. Josef Hesse, 45 Jahre alt. Aber mit der Statik klappte das nicht so. Wahrscheinlich eins der wenigen Dinge, die nicht so funktionieren, wie sich Josef Hesse das vorstellt. Er ist erfolgreicher Geschäftsführer von Schäper Sportgerätebau, eines der Münsteraner Unter­nehmen, die auch weltweit liefern. Er selbst ist promovierter Betriebswirt, zweifacher Familienvater und vor allem ist er ein Mann, der dem Kind in seinem Inneren noch genügend Raum lässt.

Die Welt besteht aus 0 und 1 

Leute wie er sind wahre Energiegeber, können Mitmenschen begeistern und lassen sie die Welt mit anderen Augen sehen – vorausgesetzt man kann ihm folgen, denn sein Wissen in Sachen Kinofilm und Hollywood, Computertechnik und Autowelt und vieles mehr ist unfassbar. Auch wenn er es selber herunterspielt: „Im Endeffekt kann ein Computer auch nur 1 und 0“. Jedenfalls ist Josef Hesse weit über Münster hinaus bekannt. Dafür sorgt nicht seine Automaten- und Computersammlung, sondern vor allem sein Nachbau des Kultautos DeLorean als Zeitmaschine aus dem 1980er Jahre Kino-Hit Zurück in die Zukunft. Über den Roxeler und seinen DeLorean haben längst die großen Comic-Magazine Micky Maus und das berühmte Jugendmagazin YPS (seit 2016 eingestellt) berichtet. Dr. Hesses neuester Bau ist das Steinzeit-Mobil von Fred Feuerstein. Grund genug für eine Stippvisite von MÜNSTER! 

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Der Geist Slimer aus Ghostbusters. Foto: Michael Lemmerhirt

Jagd auf Auszubildende  Ein älterer und ein junger Deutsch Drahthaar begrüßen die Besucher. „Das sind Jagdhunde“, stellt der jüngste Sohn des Hauses klar. Beide Hunde wedeln und machen eher den Eindruck, dass sie lieber spielen als Spuren suchen. Die Jagd war auch mal eine Leidenschaft von Dr. Josef Hesse – bis die hohen Abschussvorgaben nicht mehr seiner Einstellung zur Jagd entsprachen. Dr. Hesse ist ein Mann, der sich eine eigene Meinung bildet und darauf sein Handeln ausrichtet. Ein Beispiel: Er bevorzugt das „Du“, auch mit den Auszubildenden im Unternehmen. „Das ‚Du‘ regt zur Ehrlichkeit an und das ist mir am wichtigsten“, sagt er. Im echten Leben arbeitet er mit seiner Frau Cornelia Hesse und seinem Schwager Ulrich Schäper gemeinsam in der Geschäftsführung des Familienunternehmens Schäper Sportgerätebau. Gegenüber der „Hobbyhalle“ werden Fußballtore für die großen Bundesligavereine gebaut, Hindernisse für Hürdenlauf, Ballfanganlagen, Stabhochsprung-Geräte und andere Sportgeräte. „Dafür brauchen wir Metall- und Stahlbauer, Feinwerkmechaniker und Schweißer“, sagt Dr. Hesse. Früher kamen die Bewerbungen stapelweise per Post. Heute hat Schäper wie viele andere Unternehmen ziemliche Mühe, Handwerks-Azubis anzuheuern. Also fährt der Chef an die Schulen, um sein Unternehmen und die Ausbildungsberufe vorzustellen. Dazu verlädt er gerne mal einen Spielautomaten oder den DeLorean per Gabelstapler auf einen Anhänger und sorgt damit in den Schulen für ungeteilte Aufmerksamkeit. „So sehen die jungen Leute erst einmal, was man alles machen kann!“, freut er sich, wenn nach diesen Auftritten die Bewerbungen eintrudeln.

Radiotechniker oder Dr. der BWL? 

„Einfach machen“, war schon immer sein Motto, so kam er auch auf seinen ersten Berufswunsch: „Ich war Realschüler und wollte Radio- und Fernsehtechniker werden, weil mir das Spaß machte.“ Er blieb dann doch bis zum Abitur auf der Schule und den Ausbildungsberuf gibt es heute gar nicht mehr. Warum ausgerechnet dieser begabte Bastler und Technik-Fan Betriebswirtschaftslehre studierte und promovierte, kann man auf Anhieb nicht verstehen. Er wurde, wie soll es auch anders sein, durch die Fernsehwelt beeinflusst: „Damals war die US-Serie Dallas angesagt, es ging immer um Geld, wer wollte da nicht mitmischen?“, meint Hesse. So kam er zum BWL-Studium nach Münster. „Das Wertvollste, das ich davon mitgenommen habe, war die Struktur. Studieren und Promovieren hilft ungemein, sich zu strukturieren und das ist meiner Meinung nach das Wichtigste im Leben“, bewertet er heute seine Ausbildung. 

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Foto: Michael Lemmerhirt

Die Erfüllung der Jugendträume Das BWL-Studium ist wahrscheinlich die unspektakulärste Station in Hesses Lebenslauf, der zwischendurch mal monatelang in Argentinien lebte, um Bier zu verkaufen und auch schon kurz vor der Auswanderung in die USA stand. Doch dann ging es um die Firma der Familie seiner Frau und er stieg mit seiner Computer-Affinität ins Geschäft mit Fussballtoren und anderen Sportgeräten ein. Das passte ja – das sind auch Produkte für Spiel und Spaß, wenngleich analog.

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Das Sport-Coupé DeLorean DMC-12 wurde vom ehemaligen General-Motors-Manager John DeLorean von 1981 bis 1982 in Nordirland gebaut. Die Besonderheit: zwei Flügeltüren, die sich nach oben öffnen. Hätte der Spezialist für Hollywood-Special-Effects, Kevin Pike („Der weiße Hai“), dieses Auto nicht für den 1980er-Jahre-Kinohit „Zurück in die Zukunft“ umgebaut, wäre das Auto möglicherweise in Vergessenheit geraten. So wurde es Kult. Dr. Josef Hesse ist tatsächlich nicht der Einzige, der den Sportwagen nach dem Filmvorbild zur Zeitmaschine umgebaut hat. Aber Dr. Josef Hesse hat ohne Zweifel einen der besten Umbauten und lässt Besucher in seiner Roxeler Hobbyhalle „Platz“ nehmen. Oder er setzt seine Zeitmaschine für den guten Zweck ein und lässt Messebesucher zum Beispiel beim „Comic Con Dortmund“ Probesitzen und das Lichterspiel gegen Spenden auslösen. Jeden Cent gibt Dr. Hesse weiter an Jugendprojekte. Foto: Michael Lemmerhirt

Mit seinem Schwiegervater hatte er einen Gleichgesinnten an seiner Seite. Die zwei ergänzten sich: Dr. Hesse als Tüftler und Ideengeber, Klemens Schäper als genialer Handwerker. Man kann sich dennoch die Reaktion gut vorstellen, als eines Tages Dr. Josef Hesse erklärte: „Ich baue mit meinem Schwiegervater Teile für eine Zeitmaschine.“ So kam es zur Geschichte mit dem DeLorean.
Seit seiner 1980er Jahre Kindheit ist Hesse erklärter Fan der Science Fiction Trilogie „Zurück in die Zukunft“: Michael J. Fox als Marty McFly und Christopher Lloyd als Doc Brown reisten im als Zeitmaschine umgebauten Sportwagen DeLorean fröhlich zwischen den Jahren 1885 und 2015 umher. Vom heutigen Standpunkt gesehen also „Zu­­rück in die Zukunft von damals“. Hesse schwärmt: „So einen Streifen gibt’s heute gar nicht mehr! Einfach erzählt und völlig gewaltfrei!“ Und dann noch das Auto, das zum absoluten Kult mutierte: Der DeLorean DMC-12 mit nach oben aufklappbaren Flügeltüren. 

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Bringt Bastler-Augen zum Strahlen: Der alte DeLorean. Foto: Michael Lemmerhirt
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Dr. Hesse in der Rolle des Fred Feuerstein. Foto: Michael Lemmerhirt

Dr. Josef Hesse – der sich selbst als sparsam beschreibt – kaufte vor etwa sieben Jahren einen DeLorean-Oldtimer für 20.000 US-Dollar in den USA. Nächtelang saß er in der Halle und baute den „Fluxkompensator“ – das war im Film die Bezeichnung für den komplizierten Aufbau der Röhren und Kästen für die Zeitmaschine. Der „Fluxkompensator“ sollte ein Aufsatz sein, bei Bedarf abnehmbar, wenn Dr. Hesse im echten Leben mit dem DeLorean durch Roxel fahren wollte. Und Dr. Hesse ist nicht der einzige, der diese Zeitmaschine baute – nicht mal der einzige im Münsterland: „Es gibt einen Arzt in Coesfeld, der ist fast noch durchgeknallter als ich“, so stellt er Dr. Oliver Wirtz vor, inzwischen ein guter Freund. Der hat auch schon das Ghostbusters-Auto nachgebaut und ist ebenfalls extrem kreativ. Als der Roxeler Unternehmer Kontakt zu dem bastelnden Mediziner aufnahm, standen zwei DeLoreans in dessen Garage. 

So kam Hollywood nach Roxel 

Die einen warten ihr Leben lang auf den Ruf nach Hollywood. Zu den anderen kommt Hollywood nach Hause. Dank der Social-Media-Kommunikation wurde Kevin Pike aus Hollywood auf die beiden Doktores aus dem Münsterland aufmerksam. Kevin Pike ist derjenige, der für „Zurück in die Zukunft“ für die Special Effects zuständig war, der schon beim „Weißen Hai“ am Set dabei war und der den DeLorean umbaute. Ein Typ, dem eigentlich kein normaler Mensch in seinem normalen Leben begegnet. „Wir holten ihn in Düsseldorf vom Flughafen ab, zeigten ihm Münster und dann unseren DeLorean. Als Kevin Pike meinen Aufbau als ‚ausreichend‘ erklärte, war ich wirklich gekränkt, denn wegen der Idee eines flexiblen Filmaufbaus passte eigentlich die ganze Proportion nicht richtig“, erinnert sich Dr. Josef Hesse. Da fiel die Entscheidung: „Ich baue alles neu!“ Für 6.000 Dollar ließ er sich einen schrottreifen DeLorean aus den USA liefern – und Kevin Pike kam ein weiteres Mal nach Roxel. „Wir hatten extra für ihn einen Thanksgiving-Truthahn in den Backofen geschoben.“ Zwölf Wochen lang war Kevin Pike dann in Münster, hat mit Familie Hesse Weihnachten gefeiert und ist ein Freund der Familie geworden. 

Glück zum Ausleihen 

Seitdem steht der DeLorean in der Halle. Die Zeitmaschine funktioniert auch als solche: „Wenn Erwachsene hier rein kommen, werden die in Windeseile zu Zwölfjährigen“, erzählt Josef Hesse vom Zauber des umgebauten Autos. „Bei einem DeLorean guckt niemand neidisch, sondern eher glücklich, ich habe da schon erwachsene Männer mit Tränen des Glücks erlebt“, sagt der Zeitmaschinen-Besitzer. 

Zu Messebesuchen wie den German Comic Cons in Dortmund, Berlin oder Köln stellt Dr. Hesse seine Zeitmaschine regelmäßig aus und sammelt dabei Geld für einen guten Zweck. Wichtig ist ihm, dass er mit dem DeLorean Spenden generiert, die er zum Beispiel an das Sozialbüro in Roxel oder an andere Organisationen gibt, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern. „1.000 Euro pro Tag und der DeLorean und ich, wir kommen“. Ähnliches macht er mit den Spielautomaten: Er repariert die alten Schätzchen und hat sie auch schon gegen Spenden abgegeben. 

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Für den unbedarften Besucher ein Wirrwarr an Kabeln, für Dr. Hesse eine logische Folge von Relais-Schaltungen. Foto: Michael Lemmerhirt

Wie im Museum 

Die Hobbyhalle könnte ein kleines Museum für Fantasy-Filme und Retro-Spielautomaten sein: „Slimer“ aus dem Film „Ghostbusters“ hängt an der Wand, eine Han Solo Figur aus „Star Wars“ steht am Treppenaufgang und die Hauptfiguren von „Zurück in die Zukunft“, Marty McFly und Doctor Emmett Brown stehen lebensgroß in Silikon neben dem DeLorean. Um das eigene Kopf-Kino anzukurbeln, setzt man sich im ersten Stock der Halle in die Reihe der Kinopolsterstühle. Die hat Dr. Hesse – wie viele andere Fans des Cineplex Münster – während des Shutdowns der Corona-Epidemie dem Münsteraner Kinobetreibern abgekauft, um sie in der schwierigen Zeit zu unterstützen.


Eine enge Zusammenarbeit pflegt Dr. Hesse mit dem Verein der Retro-Nerds Münsterland (www.retro-nerds.de). Wissens- und Automatenaustausch funktionieren bestens. In Roxel steht manches Exemplar, sogar eine Art Kicker aus den 1930er Jahren! Und wehe dem, der den Ball in Dr. Hesses Tor versenkt… Verlieren kann er nicht so gut. Der Ehrgeiz ist groß.    

Das Fred Feuerstein Mobil 

Eine Reise in die Steinzeit der Familie Feuerstein verspricht das Auto, das auf der Hebebühne steht, aber eigentlich fahrbereit ist. „Nur weigert sich meine Frau, mit mir damit zum Brötchen holen zu fahren“, grinst Dr. Hesse. Dabei hat er so lange getüftelt, bis der Elektromotor langsam anfahren konnte. Das Steuergerät war der Stolperstein, „die Batterie hat eine Riesenkraft, bis ich die Kraft stufenlos und sachte steuern konnte, dauerte …“


Das Mobil fuhr früher bei einer Parade in einem Freizeitpark in den USA. Es landete bei einem Sammler, weil es kaputt war, verschwand es unter einer Plane. Zufälligerweise war Dr. Hesse bei diesem Sammler zu Besuch, lüftete die Plane und wollte dieses Steinzeitmobil gerne kaufen. Keine Chance, der Sammler schüttelte den Kopf. Allerdings war es kaputt. „So konnte ich mich mit meiner Arbeit in das Projekt einkaufen“, erzählt Dr. Hesse. Seit sechs Monaten steht das Mobil bei ihm und funktioniert inzwischen wieder. Sein nächster Traum ist übrigens, ein U-Boot zu bauen – gemeinsam mit den beiden Söhnen. Abtauchen wird er damit sicher nicht.   

Retro ist Wertschätzung 

Je länger man Dr. Hesse zuhört, desto mehr versteht man: Er hat ein wunderbares Hobby, aber das ist kein Selbstzweck. Ihm geht es auch darum, eine Botschaft zu verbreiten. Dadurch, dass er die verrücktesten Dinge nachbaut und alte Computer, Fernseher, Radios oder Arcade-Automaten repariert und zu einem neuen Leben erweckt, macht er darauf aufmerksam, dass es an der Zeit ist, Konsumgüter mehr zu wertschätzen. Wer ihn besucht, wird darüber nachdenken, wie sehr wir alle eine Wegwerfmentalität verinnerlicht haben.   „Warum akzeptieren wir Verbraucher beispielsweise, dass es ständige neue Updates in der Software gibt, die immer häufiger kommen und immer weniger wirklichen Mehrwert bringen?“, findet Dr. Hesse. Er moniert: „Es wird nur noch für den ersten Markt produziert. Das heißt: Eine Reparatur ist gar nicht mehr vorgesehen.“ Deshalb ruft er auf: „Warum gehen wir nicht auf die Straße oder ändern unser Konsumverhalten und zeigen den großen Unternehmen, dass wir damit nicht einverstanden sind?“


Wenn es bei Dr. Josef Hesse piept, dann sind das nicht nur die Arcade-Automaten, sondern auch die imaginären Alarmglocken im Kopf seiner Besucher. Wer bei ihm in Roxel war, ist erst einmal mit Denkstoff versorgt.

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Eine andere Art von Zeitreise verspricht der Jurassic Park Flipper. Foto: Michael Lemmerhirt