N°127
Handorf – Kaffeekannen und Feriengefühl
Münster ist wie ein Puzzle. Viele Teile ergeben das ganze Bild. In unserer MÜNSTER!-Serie stellen wir unsere Stadtteile vor. Im September ist der Handorfer Herbst – beste Gelegenheit für einen Besuch des „Dorfes der großen Kaffeekannen“.
Text Cornelia Höchstetter
WO IST Handorf?
Im Osten der Stadt breitet sich Handorf aus. Der Ortskern liegt an der Werse, die Ems flankiert den Stadtteil im Norden und Osten. Verkehrstechnisch tangiert Handorf die Bundesstraße 51 von Münster nach Telgte, gerne zu Stoßzeiten staugefährdet. Heute leben gut 8.000 Menschen in den Ortsteilen Sudmühle, Hornheide, Dorbaum, Kasewinkel, Handorf Mitte und Middelfeld, einem Wohnbaugebiet aus ehemaligen Hofflächen.
Historisches
Am Anfang war die Haskenau: Zwischen Gelmer (siehe MÜNSTER! Mai 2023) und Handorf lebten etwa 23.000 Jahre vor Christi Geburt sesshafte Jäger und Sammler. 2006/2007 fanden sich Jäger-Spuren von um 10.000 v. Chr. im Baugebiet Drei Eichen südlich der Immelmannstraße. Der heutige Dorfkern entwickelte sich ab dem 11. Jahrhundert um die an der Werse liegende St.-Petronilla-Kirche. Handorfs Anfangsgeschichte bestimmten landwirtschaftliche Höfe. Für Ausflügler gab es auch mal eine Tasse Kaffee, daraus entwickelten sich manche Gastwirtschaften. In den 1920er und 1930er Jahren trafen sich die Münsteranerinnen und Münsteraner in den Kaffeewirtschaften, etwa an der Boniburg. Bei Vennemann saßen in den 1920er Jahren auf der Kaffeeterrasse bis zu 1.200 Gäste. Aus der Zeit kommt Handorfs Spitzname: „Dorf der großen Kaffeekannen“. Heute kann man in Handorf immer noch Kaffee und Kuchen genießen (siehe Essen und Trinken), es ist aber kein Vergleich zu früher.
Handorfs Geschichte ist geprägt vom Militär: In den 1920er Jahren wurde der Standort Übungsplatz Handorf-Dorbaum beschlossen. Auf den 560 Hektar lagen bis zu 40 landwirtschaftliche Höfe, deren Bewohner wegziehen mussten. Im Zweiten Weltkrieg war in Handorf die Luftwaffe der Nationalsozialisten stationiert. Seit 1959 gehört das Gelände zur Lützow Kaserne der Bundeswehr. Untergebracht sind unter anderen das Luftwaffenmusikkorps Münster, das Stabs- und Unterstützungsbatallion des I. Deutsch-Niederländischen Corps oder das Heimatschutzregiment. Handorfs Truppenübungsgelände ist zweigeteilt in „Dorbaum“ und „Handorf Ost“. In Letzterem tummeln sich am Wochenende Hundeleute, Reiter und Spaziergänger – Dorbaum ist absolut gesperrt, der Zutritt ist streng verboten. Handorf entwickelte sich mit den Wohngebieten zu einem klassischen Vorort. Der Ortskern ist seit den 1970er/80er Jahren komplett erneuert, Altbestand gibt es so gut wie nicht mehr. Angelika Schwakenberg von Hörgeräte Akustik Schwakenberg ist die Vorsitzende der Handorfer Kaufmannsgilde und erzählt, wie sich das Bild und der Einzelhandel wandelte: Als sie aus Bielefeld Anfang der 1980er Jahre nach Handorf zog, reihten sich auf der Hauptstraße die Familienunternehmen aneinander. Mit den orangefarbenen Markisen vor den Schaufenstern, so sagt Angelika Schwakenberg, wirkte Handorf wie ein Ferienort. Es gab eine Tankstelle, deren Inhaberin jeden duzte, kaum Hochbauten, dafür den Gemischtwarenladen mit der Dame im blauen Kittel, Gaststätten und Biergärten, wo die Handorfer am Abend lange saßen. Ab und an fuhren die Panzer vom Übungsplatz durch den Ort, „und die ganze Dekoration fiel um! Auf der Straße sah man auffallend viele uniformierte Männer, manchmal war das schon befremdlich.“
Was ist typisch handorf?
Hähne: Das war eine Idee der Familie Schulze Buschhoff, die lange das Gartencenter führten, heute Dehner. Als Kaffeekannen-Nachfolger sollten die Handorfer Hähne haben: Diese stehen etwa 1,50 Meter groß und von Kindern bunt angemalt im Ortsbild. Augen auf!
Pferde: Internationales Publikum strömt regelmäßig nach Sudmühle ins Pferdezentrum Handorf, wo mehrmals im Jahr Auktionen für Sport- und Zuchtpferde stattfinden – die Preise für herausragende Pferde sind nicht selten sechsstellig. Die Westfälische Reit- und Fahrschule ist anerkannte Ausbildungsstätte für gutes, klassisches Reiten und künftige Ausbilder.
Wasser: Neben Ems und Werse gehört das Wasserwerk Hornheide zum zukünftigen Wasserversorger Münsters, zusammen mit der Hohen Ward. 2025 eröffnet in Handorf eine moderne Aufbereitungsanlage sowie ein Bildungszentrum zum Thema Trinkwasser.
Wie lebt es sich da?
Die meisten, die wir fragten, sagten: Gut versorgt durch den Handel des täglichen Bedarfs (und auch in medizinischer Hinsicht) lebe es sich naturnah – kein Wunder, bei der Umgebung (siehe Ab ins Grüne). Nah ist es in Münsters Innenstadt (etwa 6 Kilometer, Veloroute und 20-Minuten-Bus-Takt), viele Handorfer orientieren sich auch nach Telgte. Angelika Schwakenberg von der Kaufmannsgilde schwört auf das gute Zusammenleben im Ort. „Man kennt sich und viele machen etwas: der Heimatverein, die Stadtteilförderung bietet ein Sorgentelefon oder Computer-Kurse im Altenheim an, die Kirche macht viel – sowohl die evangelische als auch die katholische Kirchengemeinde. Die katholische Frauengemeinschaft bietet Radtouren an und dann gibt es noch die Sportvereine.“ Die Kaufmannsgilde mit über 60 Mitgliedsbetrieben sowie der Heimatverein Handorf sind sehr engagiert.
Für die Jüngsten gibt es die KiTa Villa Kunterbunt sowie die Städtische Kindertageseinrichtung und das Familienzentrum Eichenaue. Die Schulkinder gehen in die Kardinal-von-Galen-Schule Handorf oder in die Matthias-Claudius-Schule Handorf. Weiterführend besuchen viele Schüler das St. Mauritz-Gymnasium am Rande des Boniburgwaldes – ein Gebäude, wie geschaffen für eine Filmkulisse. Große Bedeutung hat das Vinzenzwerk Handorf, ein sozial- und heilpädagogisches Heim für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Für Sportbegeisterte bietet Handorf so einiges – neben dem neuen Bürgerbad und den neuen Sportplätzen: die Bürgerschützen, die Sportgemeinschaft Dyckburg, den TSV Handorf (mit Fußball für Jungs und Mädchen), Vom Freibad über Beachvolleyball oder Pétanqueanlage findet man so manches im Wersepark Sudmühle. Weiter gibt es den Kanuverein Münster, den Reit- und Fahrverein Handorf-Sudmühle, den Tennisclub und mehr. Tierfreunde engagieren sich im Tierschutzverein. Sogar einen Tierfriedhof für treue vierbeinige Lebensbegleiter gibt es im Ortsteil Sudmühle.
Wer arbeitet dort?
Größere Arbeitgeber oder Unternehmen, die bundesweit oder gar global bekannt sind, hat Handorf mit der Bundeswehr. Oder mit Compo, einem führenden Anbieter von Markenartikeln für Pflanzen in Haus und Garten. Bundesweit bekannt ist die Fachklinik Hornheide – als Arbeitgeber und als renommierte Klinik, die 1932 gegründet wurde und heute ein interdisziplinäres und überregionales Zentrum ist für Behandlungen von Tumoren der Haut, des Kopf-Hals-Bereiches sowie chirurgische Rekonstruktionen. 2008/2009 wurde die Fachklinik als das größte Hautkrebszentrum in Deutschland zertifiziert und 2013 ausgezeichnet durch die Deutsche Krebsgesellschaft für ihr Kopf-Hals-Tumor Zentrum. Außerdem ist in Handorf der Mittelstand im Dienstleistungssektor genauso präsent wie größere und kleinere Handwerksbetriebe, landwirtschaftliche Betriebe (Milchhof Große Kintrup, Ökullus, Scellebelle-Ziegenkäse), die Roland Mills United ist ein moderner Mühlenbetrieb an der Werse, größere Einzelhändler wie Fahrrad Hansen oder Gartencenter Dehner, ausgezeichnete Hotelbetriebe wie das Romantikhotel Hof zur Linde oder Landhotel Eggert sowie städtische Betriebe wie das Wasserwerk Hornheide und viele Arbeitgeber mehr.
Was wird gefeiert?
Neben dem Handorfer Herbst am Sonntag, 24. September (siehe Warum sollte man Handorf besuchen), sind es die Schützenfeste, Kirchenfeste, das Reitturnier im Dezember, der Tennis Cup, die Veranstaltungen des Karnevalsvereins …
Who is Who?
Titus Dittmann lebt in Handorf, Unternehmer und Vater der deutschen Skateboardszene. Ungleich sehr viel älter: Everwin II. Droste zu Handorf († 1535) war in der Reformationszeit der vierte Bürgermeister der Stadt Münster aus der Familie Droste zu Hülshoff und Gutsbesitzer. CDU-Politiker und ehemaliger Handorf- sowie Münster-Bürgermeister Franz Reuter (1919–1989), nach ihm ist seit 2006 der Franz-Reuter-Weg benannt. Noch ein Politiker und Landrat: Hugo Pottebaum (1907–1979). Zu den Ortschronisten gehören Hubert Bäumer („Verlorenen Bauernhöfe in Münster-Handorf“), sowie Willi Schäfers, der im Heimathaus regelmäßig Vorträge über Handorf hält, alte Fotos sammelt und die Ortsgeschichte bis ins Detail kennt.
Ab ins Grüne:
Rundherum ist alles grün: der Boniburgwald , die Haskenau, die Werse, die Emsauen, nicht zuletzt Kasewinkel. Im Wersewinkel finden Campingfreunde einen wunderschönen Campingplatz – allerdings nur Dauercamper.
Das schönste Haus?
Da wäre zum Beispiel die Schlaun‘sche Loretokapelle im Boniburger Wald oder das Gebäude des Nobis Krug an Bundesstraße und Werse. Ein echter Hingucker ist die Veranstaltungs-Location Gut Havichhorst.
Bestes Vorzeigeprojekt?
Im Bürgerbad Handorf in der Hobbeltstraße bieten engagierte Bürger für Vereine, Schulen, Fördermitglieder und Gästen Schwimmzeiten im neuen Bad an – Frühschwimmer können schon ab 5.30 Uhr kommen. Ein anderes Projekt ist der Heimatverein Handorf mit fast 900 Mitgliedern, mit vielen jungen Familien. Jeden ersten Mittwoch im Monat treffen sich die Handorfer im Heimathaus am Kirschgarten zum Austausch beim „Bergfest“, jeden dritten Freitag im Monat ist „Draußen nur Kännchen“ angesagt. Seit sechs Jahren ist Vorsitzender Raphael Castelli ehrenamtlich in Handorf engagiert: „Wir wollen kein Verein fürs Plattdeutsche sein – auch dafür – aber vor allem soll es ein Verein für den Austausch sein!“ Für die Reise in die Vergangenheit gibt es im Heimathaus viele Bücher und alte Fotos. Besonders ist auch der Benediktshof in Verth 21 dicht an der Ems. In der christlichen Meditations- und Begegnungsstätte mit historischem Hof-Ambiente finden regelmäßig Gottesdienste statt, Meditation, Taizé-Gebete oder allerlei Seminare. Es gibt Angebote für Menschen in sozialen Berufen oder für Menschen, die in Krisen eine Auszeit suchen. Diese verbringen eine Woche oder länger auf dem Hof. Manche bleiben auch ein Jahr.
Essen und Trinken:
Weithin bekannt sind das Romantikhotel Hof zur Linde an der Werse, das Landhotel Eggert in der Haskenau und die Pleister Mühle. Im Ort selbst gibt es drei Bäckereien mit Cafés, am TSV gibt es eine Bewirtung für Gruppen, im ehemaligen Haus Münsterland ist jetzt die Gaststätte Dat Handorfer Huus, das Eiscafé Giardino de Firenze ist weit über Handorf bekannt. Roccos Weinlager hat einen Pizzaofen und einen Ausschank, das Freibad Sudmühle einen neuen Pächter.
Größtes Problem?
Die Kreisstraße führt durch den Ort, der ist aber recht dicht bebaut, die Straße eng, und da schlängeln sich die Lkw durch, die zwischen Schifffahrter Damm und B 51 nach Telgte verkehren. Erleichterung soll die Umgehungsstraße bringen. Die Bahnschranke in Sudmühle ist eine echte Geduldsprobe, Unterführung oder Brücke waren im Gespräch, ergebnisoffen, weil die Bahn ein zusätzliches Überholgleis bauen möchte. Gewünscht wird von vielen Handorfern ein Zugang zur Werse, damit der Fluss in Handorf wieder wie früher erlebbarer ist.
Warum Sollten Sie handorf unbedingt besuchen?
Einmal Ausflugsort, immer Ausflugsort. Die beste Gelegenheit, diesen Stadtteil kennenzurlernen, ist der Handorfer Herbst. Der findet traditionell am letzten Sonntag im September statt; diesmal am 25. September. Der Markt ist ein „Baby“ der Kaufmannsgilde, er fing klein an und zieht sich heute durch den ganzen Ort. Bis zu 30.000 Besucher drängen sich zwischen den Ständen durch. Die Geschäftsleute und die Vereine präsentieren sich, es gibt Leckereien, gute Unterhaltung und einen Flohmarkt mit über 150 Ständen. Im Winter sollte man nach Handorf fahren, weil seit 2008 durch den Boniburgwald ein Krippenweg führt, der seine Fortsetzung auf dem Kirchplatz findet, mit etwa 170 Krippen.
zukunftspläne:
Handorf ist ein wachsender Stadtteil, weitere Baugebiete in den Drei Eichen, im Kirschgarten und an der Kötterstraße sind geplant. Am Kirschgarten entsteht voraussichtlich bis 2026 eine Wohnbebauung mit neuer Grundschule, weil die Matthias-Claudius-Grundschule zu klein geworden ist. An der nördlichen Kötterstraße soll ein Mix aus Mehr- und Einfamilienhäusern entstehen, auch ein weiterer Nahversorger soll dort seinen Platz finden. die Planung läuft. Die Ecke der ehemaligen Tankstelle (jetzt gibt es in Handorf keine Tankstelle mehr) in der Biegung der Handorfer Straße wird überplant. „Hochwertige Architektur“ soll ihren Platz finden, so die Stadt Münster. In dem Zug soll auch die Werse einen Zugang bekommen – seitdem die früheren Ausflugs-Gaststätten an der Werse geschlossen und ihre Grundstücke verkauft haben, ist die Werse für die Allgemeinheit kaum präsent. Mit Sitzstufen und Sichtachsen soll die Werse wieder zum Leben in Handorf gehören. Weitere Fußwege sollen entstehen. Im Plan der S-Bahn Münsterland ist ein Bahnhaltepunkt in Sudmühle vorgesehen, dieser wird noch geprüft.
muenster.de/handorf
heimatvereinhandorf.de
handorfer-kaufmannsgilde.de
benediktshof.de
brgerbad-handorf---bba.chayns.site