MÜNSTER! Magazin

Foto: AdobeStock (Westruper Heide)

N°138


Lila Pause

Wenn wir im September von der Heide schwärmen, müssen wir nicht nach Lüneburg, sondern können im Münsterland bleiben. Doch der Heide-Romantik ging eine harte Plackerei voraus – eine Heidenarbeit! Die Westruper Heide etwa ist ein typisches Stück Münsterländer Kulturgeschichte.

Text cornelia höchstetter


Da laufen sie durch den Sand und schnuppern nach dem würzig-herben Duft der Wacholder. Eine gewaltige Kiefer übt sich im Figurentheater und beschirmt mit ausladenden Ästen die zwei Spaziergänger. Marlies Salewski und Dr. Georg-Joachim Tuschewitzki sind vom Heimatverein Sythen und erzählen uns vom MÜNSTER! Magazin, warum wir im August und September die Westruper Heide durch eine rosarote Brille sehen.

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Die Heidschnucken sind eine Schafsrasse mit Hörner und spezialisiert auf karge Nahrung: Sie sind Landschaftspfleger, fressen Birken und halten die Heide kurz. Fotos: Cornelia Höchstetter

Insta-Spot, Naturschutz und Kulturgut 

Die Westruper Heide liegt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, bei Haltern am See, wo unsere September-Radtour einen Bogen schlägt (siehe Seite 62). Im Hoch- und Spätsommer blüht dort die Besen­heide – Calluna vulgaris, auch Heidekraut genannt. An versteckten feuchten Senken lauert die Glockenheide, Erica tetralix oder Moorglockenheide. Alles leuchtet rosa, lila, pink und violett. Die zeitliche Faustregel zur Heide-Blüte lautet: vom 8.8. bis zum 9.9. Dann wird die Westruper Heide wieder zum Instagram-Spot – aber sie ist weitaus mehr: Was heute unter Naturschutz steht, ist kurioserweise aus einer ausgebeuteten Landschaft entstanden, aus einer Übernutzung des Bodens. Es klingt unglaublich, aber solche kargen Böden und offene Landschaften sind ein Garant für Artenvielfalt: In der Westruper Heide finden Spaziergänger das Kleine Habichtskraut, die blau blühende Rundblättrige Glockenblume, das hellblaue Kreuzkraut oder die pinke Heide-Nelke. Über allem singen Gartengrasmücke, Stieglitz oder Amsel – zumindest haben wir diese per App BirdNET so identifiziert. Leicht zu erkennen ist der Baumpieper an seinem Flug: Immer wieder segelt er in die Tiefe. Die offene Landschaft mit den solitär stehenden Kiefern und den Wacholdergestalten ist eine echte Schau – und ein Kulturschatz, ein typisches Stück altes Münsterland – oder wie es Michael Höhn vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sagt: „In der Westruper Heide werfen wir einen Blick in das Westfalen vor über zweihundert Jahren“. Der Landschaftsverband ist seit einigen Jahren dabei, in einem sogenannten „Kulturlandschaftsmonitoring“ die Kulturlandschaften zu erfassen, um „… die Unverwechselbarkeit der vielfältigen Kultur­landschaften Westfalen-Lippes zu bewahren.“  

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Einer der sandigen breiten Wege durch die Westruper Heide. Rechts Wacholderhecken, links ein Kiefern-Prachtstück. Foto: Cornelia Höchstetter

Wie alles begann 

Gehen wir einmal auf Zeitreise: In der letzten Eiszeit hatte der Wind in der gletscherfreien Landschaft des Münsterlandes ein leichtes Werk: Er pustete aus den Lippeauen die Sande zusammen, so dass unter anderem grob im Bereich der heutigen Westruper Heide beachtliche Dünen entstanden (bis zu 50 Meter hoch). Wir überfliegen die Zeitachse um Zehntausende von Jahren, auf den Dünen bildeten sich Wälder. Eines Tages fingen die Menschen, die zum Beispiel nahe am Fluss siedelten, an, bedienten sich in den Wäldern und holten sich Brennholz. Der Bergbau im nahen Ruhrgebiet benötigte ebenfalls Holz, die Bauern trieben ihr Vieh in die Wälder. „Heidehöfe und Schafställe für Heidschnucken siedelten sich am Rande der sandigen Gebiete an“, erzählt Michael Höhn von der LWL-Kulturlandschaftsentwicklung, der nach historischen Spuren sucht. In Westrup gab es einige solche Höfe. Der Wald wurde immer mehr zurückgedrängt. „Die Bauern plaggten mit speziellen Plaggenhacken und Forken die Oberfläche ab, brachten es in die Ställe als Einstreu und nach einigen Monaten samt der Tier­exkremente aus den Ställen raus, auf ihre Felder als Dünger“, erklärt der Biologe Dr. Georg-Joachim Tuschewitzki, der für den Heimatverein Sythen Führungen in der Heide gibt. „Daher das Wort der Plackerei: Es kommt vom Abplaggen der Böden.“ 

„Die bizarren Wuchsformen der Wacholder reichen von säulenförmigen Stämmen, die den mediterranen Zypressen ähneln, bis hin zu knorrig-kriechenden Gebüschen und tragen zum eigenartigen Anblick der Heidelandschaft bei.“ 

Michael Höhn
LWL-Kulturlandschaftsentwicklung 

Romantisch oder eine Heidenarbeit? 

Von Romantik war in dieser Zeit im 17., 18. und 19. Jahrhundert keine Rede – nicht für die hart arbeitenden und in Armut lebenden Heidebewohner. Anders für die Münsterländer Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) – in der literarischen Epoche der Romantik kamen Heide und Hirten nicht zu kurz. Sie schrieb in Das Haus in der Heide von: „Am Horizonte Hirten, die – Im Heidekraut sich strecken – Und mit des Aves Melodie – Träumende Lüfte wecken.“ Geradezu konträr die unromantische Realität: Viele „Heuerlinge“, also Bauern ohne eigene Höfe, gingen in die Niederlande, um Geld mit Torf-Stechen oder Wiesen-Mähen zu verdienen. Besonders lukrativ (und lebensgefährlich) war die Seefahrt zum Walfang. In der Heide wurde mit der Zeit die „Allmende“, die sogenannte „Gemeinheit“ oder das „Markenland“ auch kritisch gesehen: Das Land gehörte keinem und es durfte jeder nutzen. Michael Höhn zitiert dazu den Literaten, Juristen und Staatsmann Justus Möser Ende des 18. Jahrhunderts bezüglich der Heidebewirtschaftung: „Das ist nicht länger auszuhalten … Wir müssen hier eine andere Ordnung haben, es muss eine Einteilung gemacht werden, wie viel ein jeder mähen soll, oder unsere Kötter und Heuerleute schaben uns die Mark dergestalt ab, dass auch eine Ente nicht mehr darauf weiden kann.“

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Marlies Salewski ist die Vorsitzende des Heimatvereins Sythen, Dr. Georg-Joachim Tuschewitzki engagiert sich im Verein für die Natur. Bis zur Rente war er im Hygiene-Institut des Ruhrgebiets tätig. Fotos: Cornelia Höchstetter

Das ging noch eine Zeit so weiter, die Böden auf den Dünen wurden immer karger und nährstoff­ärmer, nur die Heidekräuter fühlten sich wohl, und die Wacholdersträucher schmeckten den Heidschnucken nur, wenn es frische Triebe waren. Die Schafswolle war ein Wirtschaftsfaktor. Ebenso der Honig der Heide-Imker, die ihre Bienenkörbe aufstellten. „Der Honig war Zuckerersatz, aus dem Bienenwachs wurden Kerzen gemacht“, sagt der Biologe Georg-Joachim Tuschewitzki. So kamen die Münsterländer durch Ausbeutung der Natur zu ihrer Heide-Landschaft – auch so in der Lüneburger Heide oder anderen Heiden. „Etwa 80 bis 90 Prozent im Münsterland bestand aus Heideflächen“, erklärt der Biologe. „Wirklich natürliche Heiden gibt es nur zum Beispiel in Schottland oder in Skandinavien: Da sorgen Wind und Klima dafür, dass das Heidekraut freien Lebensraum erhält“.  

Das (vorläufige) Ende der Heide 

Als der Kunstdünger erfunden wurde, Industrie­zucker in den Küchenschränken stand, elektrisches Licht die Kerzen ablöste und Importwolle die kratzige Heidschnuckenwolle – machten sich immer weniger die Heidenarbeit mit der Plaggerei. Viele Flächen wurden aufgeforstet – 1821 trat der preußische Aufforstungsplan in Kraft, die Flächen wurden Besitzern zugeteilt und die Allmende hatte ihr Ende. Die Heide verschwand. Was blieb, waren Wirtshausnamen wie Heidekrug, Heideseen, einzelne Landstriche oder Straßen- und Ortnamen mit „Heide“. 

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Ausflug in die Heide-Welt von Westrup: Spaziergängerinnen auf dem Weg zwischen stacheligem Wacholder. Ruhebänke geben Platz für eine Auszeit. Das pinke Wanderschild weist auf den Hohe-Mark-Steig hin, der die Heide quert. Fotos: Cornelia Höchstetter

Die Rettung der Heide 

Also wieder Wald. Dazu kam in Haltern am See der Plan auf, den Sand, den man durch den Stauseen ausbaggerte, auf die ehemaligen Heide-Flächen aufzuschütten. Da formierten sich Initiativen dagegen, auch der Heimatverein Sythen wehrte sich. Man wollte die Heide wiederbeleben und schützen – war sowieso nur noch ein kleiner Teil übrig. Diese Rettung ist aus heutiger Sicht zumindest für den Teil der Westruper Heide gelungen. Das Spülfeld für den Sand aus dem See befindet sich westlich der Heide. Die Heide sieht auf der Landkarte wie ein Dreieck aus, jede Seite ist gut ein Kilometer lang. Gar nicht so riesig, auch wenn die Westruper Heide heute zu den größten Heideflächen Westfalens gehört. Die Rettung übrigens geschah in den 1980er Jahren 
vermeintlich brutal: Bagger kamen, formierten die Landschaft neu, räumten den Bewuchs an der Oberfläche ab, teilweise wurden die holzige Altheide und das Wurzelwerk der Bäume abgebrannt. Mit Erfolg: Nach einigen Jahren wuchs die Heide aus den Samen, der sich tief im Sandboden hielt. Damit das so bleibt, kommen regelmäßig Heidschnucken zum Fress-Besuch und zahlreiche Ehrenämtler hacken regelmäßig die Flächen frei.  

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Die meisten Sandheiden in Westfalen findet man im westlichen und östlichen Münsterland. Foto: AdobeStock

7× ein Heiden-Spaß!

Die Westruper Heide  

Seit 1937 ein Naturschutzgebiet auf etwa 90 Hektar östlich des Halterner Stausees. Wanderung zwischen Besenheide, Glockenheide, Sandmagerrasen und Wacholder­haine sowie Zwergstrauchheiden. Vier thematische Wanderrouten zwischen drei und vier Kilometern Länge führen durch das Gebiet. 30 Bänke sollen in der Heide stehen, zum Ausruhen und als Beobachtungspunkte. Am Zugang Seehof, direkt am Ufer des Stausees, beginnt ein 2,9 Kilometer langer Rundweg für Menschen, die nicht oder schlecht sehen können. Auch gibt es rollstuhlgerechte Wege auf etwa drei Kilometern. westruper-heide.de

Wacholderheide Klatenberge bei Telgte 

Mitten im duftenden Kiefernwald der Klatenberge versteckt sich eine große Heidefläche wie ein kleines Paradies, das nur zu Fuß erreichbar ist. Auf fast vier Hektar breitet sich eine offene Dünenlandschaft aus – wie bei den Bockholter und Fuestruper Bergen sind das Sandablagerungen, angeweht in der letzten Eiszeit. Heute finden wir dort Sandmagerrasen, Sandflächen, Heide, Wacholdersträucher und alten Eichen. Es gibt Bänke, einen Tisch und einen kleinen Aussichtshügel. Nicht weit weg sind zur Erfrischung das Waldschwimmbad Klatenberg bei Telgte und zum Einkehren das Hotel Waldhütte mit Restaurant und Café.   

Die Metelener Heide

Östlich von Metelen erstreckt sich ein großes Waldgebiet – das war auch mal Heide, wurde aber wie so viele andere ehemalige Heiden vor weit über hundert Jahren und länger aufgeforstet und steht übrigens seit 1996 unter Landschaftsschutz. So ist die Heide in Metelen eher ein historischer Name. Die ganze Metelener Heide – nur Wald? Nein, ein kleines Stückchen Natur blüht im August und September wieder lila und pink. Bürgermeister Gregor Krabbe erzählt, dass nahe des Minigolf-Platzes vor einigen Jahren ein Renaturierungs­projekt begann. Viele Helfer schlugen eine Fläche frei und beseitigten das Wurzelwerk, sodass nur der blanke Boden und Sandboden an der Oberfläche blieb. „Es hat drei, vier Jahre gedauert, aber dann ist die Heide von selbst aus dem Boden gewachsen.“ Das kann man auf einer Sitzbank bestaunen und sich daran freuen und im Anschluss einen Waldspaziergang machen, Minigolf spielen oder den benachbarten Dino-Zoo besuchen. Außerdem führen hier die Münsterland Reitroute sowie für Fahrradfahrer der Nordkurs der 100-Schlösser-Route vorbei. metelen.de/kultur-tourismus/ausflugtipps

Die Grevener Bockholter Berge

Rund 61 Hektar umfasst das Naturschutzgebiet Bockholter Berge in Greven im Ortsteil Gimbte (aus dieser Ecke des Münsterlands stammt übrigens die nach einem „Hof in der Heide“ benannte Familie unserer Chefredakteurin), auf einem Teil davon blüht die Besenheide, Wacholderbäume schmücken die Flächen – siehe MÜNSTER! Oktober 2020. Der Sandboden stammt von alten Binnendünen, die während der letzten Eiszeit angeweht wurden. Schon 1920 pachtete der Westfälische Naturwissenschaftliche Verein eine Fläche von 15 Hektar, um die Restheide zu retten. Ein Rundweg von 3,6 Kilometern führt durch Wald, Sand­trockenrasen und Heide, einige Infotafeln entlang des Naturlehrpfades erklären die Landschaft und mit etwas Glück trifft man die Schafe der NABU-Naturschutzstation Münsterland, die die Heide kurzhalten. Außerdem gibt es einen Waldlehrpfad und Bänke und Tische zum Picknicken. An den Bockholter Bergen führt der Ems-Radweg vorbei. Eine Karte mit Wegen finden Sie hier.
 

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Wege durch die Bockholter Heide. Foto: Münsterland e.V./Kai Marc Pel  

Heide im Zwillbrocker Venn

Bei Vreden, im Zwillbrocker Venn an der Grenze zu den Niederlanden, leben nicht nur die Flamingos (siehe MÜNSTER! Mai 2022). Dort findet man auch blühende Heide: Auch dort wandelten sich die nährstoffarmen Sandböden durch jahrhundertelange Viehbeweidung. Außerdem wurde „abgeplaggt“: Der Oberboden wurde als Dünger in großen Placken abgeschaufelt und in die Viehställe eingestreut. Die Flächen verloren Nährstoffe und haben dafür das Heidekraut gewonnen, das sich auf solchen Böden wohl fühlte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es Heide über Heide zwischen Vreden und Zwillbrock. Doch Ende der 1960er Jahre wurden die Flächen landwirtschaftlich genutzt. Restbestände findet man noch: Glockenheide, Moorheide, Sandheide – fahren Sie mal hin! Dort führt die Flamingo-Route für Radfahrer vorbei. Und am Sonntag, 1. September, findet eine offizielle etwa sechs Kilometer lange Wanderung zur Heideblüte statt. Treffpunkt 10 Uhr an der Biologischen Station Zwillbrock: bszwillbrock.de

Die Hiltruper Heide

Ein weiterer sandiger Standort und damit ein potentieller Heideplatz ist der „Münsterländer Kiessandzug“ aus der Saale-Eiszeit, der unter dem Wald Hohe Ward zwischen Hiltrup und Albersloh liegt. Nahe am Hiltruper See liegt eingezäunt, aber gut einzusehen, die Hiltruper Heide mit blühender Magerwiese und Sand­trockenrasen. Nicht weit weg – einmal die Straße B 54 gequert – ist Haus Heidhorn. Seit 2007 sitzt dort die NABU-Naturschutzstation Münsterland. Dort gibt es Parkplätze, Lehr- und Erlebnispfade, einen Bauerngarten, Teiche und viele, viele Schautafeln zur Natur. nabu-muensterland.de

Die Dingdener Heide

Ein gutes Stück weg von Münster (etwa 80 Kilometer ) liegt haarscharf am Rande des Münster­landes im Südosten von Bocholt die Büngerner Dingdener Heide, ein großes Ferien- und Er­holungsgebiet mit Märchenwald, Camping und mehr. Das Naturschutzgebiet selbst ist 212 Hektar groß. Genau genommen gehört diese schöne Natur zur Stadt Hamminkeln. Dort breitete sich die Heide in den Jahren von etwa 1540 bis 1843 aus: Die Wälder wurden abgeholzt und der san­dige Boden als Acker gezwungen und übernutzt. Aus dem immer karger werdenden Boden ent­wickelte sich die Heide – das erfahren die Spaziergänger auf dem 5,2 Kilometer langen Weg LandStreifer Zeitreise auch durch die Kleine Dingdener Heide. Wer richtig wandern mag, geht den 9,2 Kilometer langen Grenz-Gängerweg. Mehr erfahren.

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Hornlose Moorschnucken im Zwillbrocker Venn. Foto: Münsterland e.V./Maike Wittreck