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In zehn großen Wasserbecken wachsen die Mikroalgen. Der „Blubber“ mischt sie regelmäßig durch, damit alle Algen genug Licht bekommen. Foto: Mona Contzen

N°131


ALGEN AUS AHLEN

Landwirt Ulrich Averberg setzt auf Nahrungsergänzungsmittel statt auf Fleisch. Nach und nach sollen Mikroalgen aus dem Gewächshaus seine Schweinemast ersetzen und die Welt ein kleines bisschen grüner machen.  

Text MONA CONTZEN


Die Anlage erinnert ein bisschen an ein Tropenhaus: Es riecht nach Pflanzen, die Sonne knallt durch die Scheiben. Und wirklich ist das, was hier im Gewächshaus von Ulrich Averberg wächst, recht exotisch. In zehn großen Wasserbecken züchtet der Landwirt aus Ahlen-Vorhelm Mikroalgen der Sorte Spirulina. Als Nahrungsergänzungsmittel sollen sie in Form von Flakes, Pulver oder Tabletten die Welt ein kleines bisschen grüner machen.

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Aus hundert Litern Spirulina werden am Ende etwa 15 Kilo Algenpulver – für Smoothies, fürs Müsli oder als Gewürz. Foto: Mona Contzen

Tatsächlich wird der Farbstoff der Blaualge schon heute eingesetzt, um beispielsweise Gummibärchen oder Schokolinsen blau einzufärben. Ins Kartoffelpüree gemischt, bekommt man dagegen ein knalliges Grün. „Manche benutzen das Pulver für Smoothies oder streuen sich die Flakes übers Müsli“, weiß Averberg. „Andere packen sich die Spirulina in eine Pfeffermühle und würzen damit nach.“ Leicht salzig schmeckt die Alge, oder, wie der Bauer sagt: „irgendwie grün“. Der Umami-Geschmack komme vom hohen Eiweißgehalt des Lebensmittels, die empfohlene Tagesmenge liegt bei drei Gramm. „Satt wird man davon nicht, das ist ja kein Bratwurstersatz“, betont der 49-Jährige und lacht. 

Trotzdem ist die Alge für Ulrich Averberg ein Produkt mit Zukunftsperspektive: nährstoffreich und ressourcenschonend. „Dass wir unsere Ernährung umstellen müssen, ist ja keine Frage“, stellt er resolut fest. Als der studierte Landwirt 2018 einen Vortrag über das Thema hörte, fand er diese „neue Art von Landwirtschaft“, wie er sagt, so interessant, dass er voll ins Risiko ging und eine halbe Million Euro in den Aufbau der Produktion investierte. Auf 2.500 Quadratmetern seines Hofs, der seit Generationen in Familienbesitz ist, steht jetzt das Algen-Gewächshaus – nur ein paar Schritte entfernt von 800 Schweinen und 40 Hektar Land, die Averberg zusätzlich bewirtschaftet. 

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Foto: Mona Contzen

Wenn der Münsterländer mit seiner Hand durchs Wasser streicht, ist sie schon kurz unter der Oberfläche nicht mehr zu sehen. Mit bloßem Auge sind die Mikroalgen nicht zu erkennen, doch sie färben das Wasser undurchdringlich grün. „Ich vergleiche das immer mit einem dichten Buchenwald“, sagt Averberg. „Da kommt durch das Blätterdach kein Licht nach unten.“ Deshalb gibt es den Blubber. Die Rührmaschine zieht wie ein Rechen ihre Bahnen durchs Becken und mischt die 
Algen ordentlich auf – so bekommen die Spirulina, die oben schwimmen, keinen Sonnenbrand und die von unten gelangen ans lebenswichtige Licht. 

Bei guten Bedingungen verdoppeln sich Averbergs Algen täglich. „Dafür brauchen wir einen Sommer mit viel Sonne und ohne Regen“, sagt er, „aber das widerspricht natürlich den Bedürfnissen der Natur da draußen.“ Doch Kohlenstoff­dioxid aus der Luft, Sonnenlicht, ein paar Nährstoffe und Wasser reichen den Algen zum Wachsen. Etwa zwei Tonnen Spiru­lina erntet der Landwirt so vom Frühling bis in den Herbst hinein. 

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Foto: Mona Contzen

Dafür wird der Inhalt aus den Becken auf die Erntemaschine gepumpt, wo die Algen auf einem Vlies liegenbleiben, während das gefilterte Wasser wieder abfließt. Anschließend spritzt die Spaghettimaschine die dicke grüne Algenpaste in langen Reihen auf Backbleche, die über Nacht zum Trocknen bei 40 Grad in einen garagengroßen Raum geschoben werden. Aus hundert Litern Spirulina gewinnt Averberg so etwa 15 Kilo Algenpulver. 

Eine Einführung in die Grundlagen der Algenzucht wurde dem Mann mit dem „Unternehmer-Gen“ sozusagen zusammen mit der Technik geliefert. Was danach kam, war learning by doing: Mindestens zweimal pro Woche, in der Hauptvegetationsperiode sogar täglich, nimmt der Bauer Proben von seinem inzwischen sogar biozertifizierten Produkt, betrachtet die Algen unter dem Mikroskop und im Reagenzglas. Die fertige Ware lässt er von einem ex­ternen Labor auf Nährwerte, Keimbesatz und andere Parameter analysieren.

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Mit bloßem Auge sind die Mikroalgen nicht zu erkennen, erst die Erntemaschine trennt die Algenpaste vom Wasser. In langen Reihen spritzt die Spaghetti­maschine sie auf Backbleche, wo die Spirulina bei 40 Grad trocknen müssen. Foto: Mona Contzen 
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Foto: Mona Contzen

Für Professor Dr. Hans-Ulrich Humpf vom Institut für Lebensmittelchemie der Uni Münster ein wichtiges Qualitätsmerkmal gegenüber ausländischen Produkten, die oft aus China geliefert werden. „Es ist ein großer Vorteil, wenn hier vor Ort produziert wird. Denn vor allem Bio-Zertifikate lassen sich leicht fälschen und auf Etiketten steht oft gar nicht, wo die Algen herkommen“, so der Lebensmittelexperte. Zwar müsse man bei den Süßwasseralgen keinen hohen Jod- oder Arsengehalt wie bei den zum Beispiel für Algenchips genutzten Makroalgen aus dem Meer fürchten, Produkte aus unreinen Gewässern könnten trotzdem mit Schwermetallen und Toxinen belastet sein. 

Bei dubiosen Händlern aus dem Internet rät der Forscher deshalb ebenso zur Vorsicht wie bei manchen Werbeversprechen, die die Alge zum „Superfood“ oder gar omnipotentem Allheilmittel stilisieren. „Spirulina ist aber ohne Frage ein gesundes Lebensmittel mit einer guten Proteinzusammensetzung, viel Eiweiß, Eisen, Vitaminen und Mineralstoffen“, betont Humpf. „Die Alge bringt also prinzipiell gute Inhaltsstoffe ins Essen und ist zum Beispiel sinnvoll für Leute, die sich fleischlos ernähren oder auf Milchprodukte verzichten.“ Zusätzlich sieht der Lebensmittelchemiker für Hunde und Katzen, die relativ viele Proteine im Futter brauchen, sinnvolle Anwendungsgebiete. 

„Spirulina ist ohne Frage ein gesundes Lebensmittel mit einer guten Proteinzusammensetzung, viel Eiweiß, Eisen, Vitaminen und Mineralstoffen.“
Professor Dr. Hans-Ulrich Humpf 

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Regelmäßig nimmt Averberg Proben von seinem Bio-Produkt. Foto: Mona Contzen
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Die fertige Ware wird von einem externen Labor analysiert. Foto: Mona Contzen

Zwar experimentieren inzwischen bereits einige Tierfutter- und sogar Start-ups aus der Kosmetikbranche mit Averbergs Rohstoff, doch aktuell muss der Landwirt bei der Vermarktung seiner Spirulina noch viel Überzeugungsarbeit leisten. „Viele Leute haben noch nie was von Mikroalgen gehört, manche sind skeptisch, andere neugierig“, sagt er. „Hier vor Ort ist das Thema greifbar, da setzen sich die Leute mit auseinander, besuchen uns.“ Auch das Algenbrot, das der Bäcker im Dorf anbietet, komme super an. 

Um Kunden auch über Ahlen hinaus zu erreichen, hat Averberg mit elf anderen Produzenten aus Niedersachen die Deutsche Algen Genossenschaft gegründet – zusammen sind sie der größte heimische Anbieter von Spirulina, viele Mitbewerber in Deutschland gibt es nicht. Trotzdem sei der Vertrieb eine Herausforderung, auch weil die Algenprodukte made in Germany mit knapp einem Euro für drei Gramm relativ teuer sind.

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Schweinemast und Algen-Gewächshaus: Der Hof in Ahlen soll damit zukunftsfähig sein. Foto: Mona Contzen

Und so dreht sich Averbergs Betrieb vorerst weiterhin hauptsächlich um die Schweinemast. „Aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung sehe ich aber kein Entwicklungspotenzial in der Schweinehaltung mehr“, sagt der Familienvater, der seinen Hof auch für seine Kinder zukunftsfähig machen will. „Die ganzen Skandalthemen – Pestizide, Tierschutz – die haben wir bei den Algen nicht. Das Thema wird komplett positiv wahrgenommen.“ Und das ist doch schon mal eine gute Voraussetzung für die Zukunft. 

deutsche-algen.de