N°131
SPRAKEL – In Münster ganz oben
Münster ist wie ein Puzzle. In unserer MÜNSTER!-Serie stellen wir die Stadtteile vor. Wir beginnen das neue Jahr mit Sprakel – wo Zugvögel rasten und in jeder Session der erste Karnevalsumzug im Großraum Münster stattfindet.
Text cornelia höchstetter
WO IST sprakel?
Ganz oben auf der Landkarte: Sprakel bildet mit dem Ortsteil Sandrup und den Rieselfeldern den nördlichsten Stadtteil (zugehörig dem Stadtbezirk Nord). Das Bächlein Birk fließt westlich des Ortes, die Aa zwischen den Rieselfeldern und dem Ortskern, grob parallel der Sprakeler Straße. Münsters Ausfallstraße Grevener Straße geht als Bundesstraße 219 über in die Sprakeler und auf Höhe des Ortes in die Aldruper Straße. Im Westen von Sprakel verlaufen die Autobahn A 1 sowie der ehemalige Max-Clemens-Kanal. Sprakel befindet sich fast mittig zwischen Greven und Münster: Das Grevener Rathaus ist vom Ortsteil Sprakel acht Kilometer entfernt, Münsters Rathaus ist neun Kilometer weit weg. Während der Ortskern mit etwa 3.000 Einwohnern recht kompakt und eher überschaubar ist, ist die Fläche rund um den Ortsteil ziemlich groß. Bis zum Kanal reicht das Stadtteilgebiet. Südlich von Sprakel liegt der Baggersee Sandruper See, den ein Anglerverein für sich behauptet.
Historisches
„Spraclo“ oder „Sprakel“ bedeutet so viel wie „Sproakel Holt“, also dichtes Unterholz, was einen Hinweis auf die ursprüngliche Vegetation gibt: dichte Wälder aus Schwarzerlen und Eschen – mit dichtem Unterholz eben. „Sandrup“ oder „Sandondorp“ deutet auf „Sanddorn-Dorf“ hin – passt ja, denn Sanddorn ist ebenfalls ein dichtes Gehölz. Sprakels Ursprung geht auf Bauerschaften zurück. Spuren gibt es sogar aus der Zeit der Neandertaler (vor etwa 80.000 Jahren). Dauerhaft besiedelt soll das Gebiet an der Aa etwa seit 700 vor Christus gewesen sein.
Einer, der sich bestens in der Historie Sprakels auskennt, ist Professor Dr. Elmar Lange. Der Soziologie-Professor ist in Sprakel aufgewachsen, lebt nach längerer Unterbrechung seit 1978 wieder in Sprakel und war genau wie bereits sein Vater (Ehrenvorsitzender!) jahrzehntelang im Vorstand des Heimatvereins Sandrup-Sprakel-Coerde engagiert. 2015 schrieb Elmar Lange ein Buch über Sprakel (Sprakel: Zur geschichtlichen Entwicklung der Bauerschaften, Aschendorff Verlag). Dort ist zu lesen, dass Sprakel, Sandrup und Uppenberg 1040 der Kirchengemeinde Liebfrauen-Überwasser zugeordnet und dem zugehörigen Benediktinerinnenkloster unterstellt waren. Grundherrinnen der Bauern waren somit die Äbtissinnen des Klosters. Im Mittelalter sollen es um 15 Höfe in Sprakel und elf in Sandrup gegeben haben. Sprakels Siedlungsentwicklung ist eng verflochten mit
diversen Verkehrsachsen: etwa die historische Straßenverbindung des Bischofssitzes Münster mit dem Bistumssprengel an der Emsmündung. Die Wege folgten dem Kiessandrücken westlich der Aa. Die alte Bundesstraße folgte diesem Verlauf (von Münsters Königsstraße nach Greven). Laut Elmar Langes Sprakel-Buch rollten in den 1990er Jahren täglich bis zu 15.000 Fahrzeuge durch den Ort, bis dann im Jahr 2002 die Umgehungsstraße fertig wurde. Eine weitere Verkehrsader ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die Bahnlinie nach Rheine und weiter Richtung Norddeich (bei Bauer Plugge gab es Fahrkarten aus einem Bahnwärterhäuschen). 1895 bekam Sprakel einen Bahnhof, später eine Güterhalle – beide sind abgerissen, der Bahnhalt hat heute zumindest einen Fahrkartenautomaten.
Seit 1910 betrieb Franz Anton Hanses auf dem früheren Hof Plugge eine Forstbaumschule, die später unter dem Namen Hanses-Koering aufblühte und die dem Ort neben der Landwirtschaft ein zweites wirtschaftliches Standbein schaffte und bis etwa 2015 betrieben wurde. Dort waren noch in den 1950er Jahren in den Versandzeiten bis zu 100 Arbeiter beschäftigt, was auch entsprechenden Wohnungsbau nach sich zog. „Heute ist Sprakel zum Spargeldorf geworden – allerdings hat ein Landwirt aus Gelmer die Felder gepachtet“, sagt Elmar Lange. Die Plugger Heide war lange Kiefernwald und wurde während des Ersten Weltkriegs von französischen Kriegsgefangenen gerodet und bebaubar gemacht.
„In den frühen 1950er Jahren war die Sprakeler Straße selbst noch kaum bebaut“, erinnert sich Elmar Lange an seine Kindheit. Dann wuchs Sprakel Siedlung um Siedlung: am Forstweg, Baumschulenweg, Pluggenheide, Schlusenweg, an Dreilinden und mehr. 1961 erhielt die Grundschule ihren Erweiterungsbau. In den 1960er Jahren wurde die A1 an Münster vorbei gebaut, dazu hob man Baumaterial aus dem heutigen Sandruper See, der so entstand. 1975 wurde Sprakel mit den Bauerschaften Sandrup und Alt-Coerde mit den Rieselfeldern nach Münster eingemeindet. 1977 waren die neue Kirche und das Pfarrzentrum Marienheim fertig.
Was ist typisch sprakel?
„Hier gibt es noch den typischen Dorfcharakter: Die Nachbarn von nebenan und gegenüber kennen sich gut. Besonders die Gemeinschaft und das Zusammenwirken sind in Sprakel total schön“, findet Frank Heitmann, Präsident der Karnevals-Interessen-Gemeinschaft (KIG) Sprakel-Sandrup-Coerde e.V.. Er nennt ein typisches Beispiel: „Als der Krieg in der Ukraine begann, organisierte unsere Zahnärztin Flüchtlings- und Hilfstransporte. Dafür haben sich alle Vereine in Sprakel zusammengetan, ein Fest auf dem Sportplatz veranstaltet und 4.000 Euro für die Transporte gesammelt. Das ging sehr zügig und jeder packte mit an.“
Wie lebt es sich da?
„Wenn nicht gerade Karneval ist, lebt es sich hier sehr ruhig, auch weil wir viel Grün rundherum haben“, erzählt Frank Heitmann von der KIG. Sprakel ist ein Wohnvorort – viele Einwohner pendeln nach Münster hinein. Es gibt Arztpraxen für Allgemein-, Zahn- und Tiermedizin. Für Familien hat Sprakel die Kita im Grünen, ein Jugend- und ein Familienzentrum sowie die Grundschule Sprakel, die bald in den Neubau (kürzlich war Richtfest) umziehen wird. In der neuen Mitte von Sprakel auf dem jetzigen Böckmann-Platz wurde ein Seniorenzentrum errichtet. Die evangelische wie die katholische Kirchengemeinde haben je ein Pfarrbüro in Sprakel. Einige wenige Läden gibt es vor Ort, den Raiffeisenmarkt (mit Postannahme) oder den Supermarkt EDEKA, der soll demnächst vergrößert werden.
Zu den Traditionsvereinen gehört der Schützenverein St. Hubertus Sprakel (von 1719!) samt Spielmannszug. Und es gibt die Schützenbruderschaft St Martinus Sandrup. Der Heimatverein Sandrup-Sprakel-Coerde existiert seit 1938 und residiert seit 1975 am Heimathof . Dort brennt das Osterfeuer und wird Erntedank gefeiert. Sehr aktiv sind unter anderem die Karnevals-Interessengemeinschaft Sprakel-Sandrup-Coerde 1962, ebenso die Katholische Frauengemeinschaft, die Gruppe Gemeinsam nicht einsam – Freundeskreis älter werden, der Leprahilfekreis, der freiwillige Feuerwehr Löschzug Sprakel, der Angelverein, der Reit- und Fahrverein Münster-Sprakel, sowie der Reit- und Fahrverein zum Rieselfeld. Der Sportclub Sprakel 1930 e.V. hat viele verschiedene Abteilungen, auch im Breitensport (Mutter-Kind-Kurse, Rückengymnastik usw.). Groß ist die Abteilung Fußball: „Von den Pampers-Spielern bis zu den Senioren“, zählt Elmar Lange auf. Der Verein hat sein Sportheim, diverse Plätze und ganz neu einen Kunstrasenplatz.
Wer arbeitet dort?
Sprakel ist ländlich geprägt, der Ort selbst eher ein Wohnort. Ein Gewerbegebiet gibt es am Beginn der Sprakeler Straße mit Unternehmen für Sanitätstechnik, Filtertechnik, Möbel, Bautechnik, Glas und Spiegel, Beton, Ferntransport oder Fußbodentechnik.
Was wird gefeiert?
Karneval steht vor der Tür (die Damensitzung mit 270 Karnevalistinnen findet seit elf Jahren im November in einem großen Zelt statt), und Sprakel macht seit 1962 den Auftakt der Karnevalszüge in Münster und Umgebung. Jeweils am Sonntag zwei Wochen vor Rosenmontag kommen bis zu 5000 Zuschauer nach Sprakel, um 45 bis 50 Gruppen mit ihren phantasievollen Fahrzeugen mit einem „Helau“ zu feiern. „Unsere Gäste schwärmen immer, dass besonders Familien mit den Kindern in Sprakel dem Zug ganz nah sein können“, erzählt Frank Heitmann von der KIG. „Jeder Verein feiert seine Feste“, sagt Elmar Lange – zu diesen gehören: das Winterfest Anfang Januar, diverse Schützenfeste der Vereine, vom Maigang über das Kinderschützenfest oder das große Schützenfest im Juli. Die Reitverein veranstalten große Turniere, der Heimatverein feiert unter anderem Osterfeuer und Erntedank sowie Lambertus, alles am Heimathaus.
Who is Who?
„Die Prominenz in Sprakel sind die Vereinsvorsitzenden!“, ehrt Elmar Lange die Ehrenämtler – früher wären es die Pfarrer und Lehrer gewesen. Besonders beliebt sind die närrischen Regenten: In diesem Jahr gehören Prinz Walli (Martin Wallmeier) und Prinzessin Sheila zu den wichtigsten Sprakeler Bürgern. Martin Wallmeier tanzt seit 20 Jahren im Männerballett und ist jetzt einfach mal dran, Prinz zu sein. Und die neunjährige Sheila ist die Kinderprinzessin. „Toll, wie die Kinder sich einbringen, da schallert die Neunjährige ihr Lied vor 300 Leuten“, ist der KIG-Präsident hörbar stolz. Ein Urgestein war Franz Renfert von der Hölt‘ne Schluse, Münsters urigste Gaststätte“, sagt Frank Heitmann vom KIG. „Der konnte Geschichten erzählen!“ (siehe Essen und Trinken).
Ab ins Grüne
Vor den Toren Sprakels liegen die Bockholter Berge bei Gimbte. Das grüne Herzstück sind die Rieselfelder. Am Max-Clemens-Kanal entlang führt nicht nur der Themenradweg. Dort wird im Frühjahr der Heimatverein auch Wanderschilder für eine Tour befestigen. Professor Dr. Elmar Lange und Heinz Heidbrink gaben dazu ein Buch heraus: Der Max-Clemens-Kanal. Wanderungen mit Geschichte und Geschichten im Ardey Verlag. Die Strecke beginnt an Münsters Stadthafen am Zwinger und endet in Wettringen am Maxhafen.
Das schönste Haus oder Gebäude?
Als schönstes unter den Wohnhäusern im Ortsteil empfindet Elmar Lange das Wismannsche Haus im 1920er Jahre-Stil an der Sprakeler Straße 7, heute ist eine Arztpraxis untergebracht. Ein historischer Hingucker – vom Radweg aus – ist die Nordansicht des Speichers auf dem Hof Schulze Dieckhoff von 1894.
Ein echtes Kleinod sind die Gebäude und das Gelände am Heimathof am Max-Clemens-Kanal 141 h. Der Heimatverein wird die Heimathausgründung voraussichtlich 2025 als 40-jähriges Bestehen feiern. Die Mitglieder renovierten und bauten den Hof aus – und retteten ihn ein weiteres Mal während des Unwetters im Juli 2014. Im Haupthaus sind teils wie früher, teils modern eingerichtet: Küche, Tenne, Diele oder Dachbodenraum. Dann gibt es noch das Verwalterhaus, die Kappscheune, eine Durchfahrtsscheune und den Spieker. Immer einen Besuch wert – heute finden dort Veranstaltungen statt – etwa eine historische Rübenernte, eine Akkordeonschule, Lesungen auf Plattdeutsch und eben Osterfeuer und Erntedank – oder man genießt die Ruhe unter der Woche.
Ein historisches Bauwerk, das heute Bodendenkmal ist und der Kanalstraße in Münster ihren Namen gab, war der Max-Clemens-Kanal, der von 1731 bis 1771 zwischen Münster und Clemenshafen in Neuenkirchen und bis 1840 bis Maxhafen bei Wettringen in Betrieb war. Allerdings wurde er nie fertig – als 1724 der erste Spatenstich erfolgte, war der Plan, dass diese Wasserstraße Münster mit den Niederlanden verbinden sollte. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 endete das Fürstbistum Münster und das Münsterland fiel an Preußen. Der Kanal verfiel, 1840 war Schluss mit dem Frachtverkehr – eine Erinnerung an die hölzerne Schleuse ist die Gaststätte Hölt‘ne Schluse . Der Kanal lebt in der Erinnerung, als Themenradweg (max-clemens-kanal.de) sowie als ausgeschilderte Wandertour.
Bestes Vorzeigeprojekt
Auf jeden Fall die Rieselfelder: Heute sind sie auf 450 Hektar ein Europareservat für Wat- und Wasservögel. Für Zugvögel ein überlebenswichtiger Rastplatz und ein Ausflugsziel für Vogelkundler und Naturliebhaber.
Zu den Vorzeigevereinen gehört die Karnevals-Interessensgemeinschaft KIG mit etwa 250 Mitgliedern, insbesondere deren Jugendarbeit: Der erste Kinderprinz war vor Jahren Ajin, dessen Eltern aus Indien nach Sprakel kamen. Zwischen neun und 14 Jahren sind die Kinder-Tollitäten. Dann gibt es noch die Junge Garde, etwa 30 Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren, die sich selbst organisieren und einen eigenen Karnevalswagen bauen. Eine vierköpfige Gruppe +/- 25 Jahre kümmert sich um die Werbung und organisiert den Zug-Ablauf. Dann gibt es die Kindergarde und den Tanz-Corps (Mädchen und junge Frauen bis 25 Jahre) sowie die Tanzgruppe mit 17 Kindern, die blauweißen Sterne und blaue Funken. „Das ist über das ganze Jahr Jugendarbeit auf dem Land“, hebt Frank Heitmann als Präsident als so wertvoll heraus.
Essen und Trinken
Sie ist wiederauferstanden: Die geschichtsträchtige Gaststätte Hölt‘ne Schluse ist saniert und wieder geöffnet. „Es ist toll geworden, mit sehr viel Liebe eingerichtet. Der Schankraum sieht aus wie früher, die alten Tapeten und das Herdfeuer blieben erhalten, und der Schinken hängt dort wieder ab“, freut sich Frank Heitmann mit den Sprakelern. Ebenfalls eine Traditionsgaststätte ist der Sandruper Baum, einst am „Schlagbaum zur Königsstraße“, erzählt Elmar Lange. In Sprakels neuer Mitte gibt es ein Café und eine Pizzeria, außerdem gehört der Heidekrug in den Rieselfeldern zu Sprakels Gastro-Szene.
Größtes Problem?
Der Ausbau von Sprakels Mitte stockte lange Zeit: Die Fläche mitten im Ort war lange Wiese und Rinderweide. Inzwischen ist sie bebaut, unter anderem mit einem Seniorenheim. Es soll noch mehr Infrastruktur nachfolgen, aber „… es tut sich seit Jahren nichts“, klagt Frank Heitmann. Ein Problem für „seine“ KIG ist, dass die neue Turnhalle der neuen Grundschule zu klein ist. Frank Heitmann hätte sie sich größer gewünscht, damit man so einen Festsaal oder Veranstaltungsort für den Stadtteil hätte. Die Zugverbindung mit einem Zug pro Stunde ist suboptimal – „vor allem für die älteren Sprakeler ist die Bus- und Bahnverbindung nach Münster unzureichend“, meint Elmar Lange.
Warum sollte man sprakel unbedingt besuchen?
Neben all dem bereits aufgeführten Zielen hat Elmar Lange noch einen Tipp: „Wandern Sie mal durch das Gebiet von Sprakel und bewundern all die Bildstöcke!“
Zukunftspläne
Aktuell feierten die Sprakeler Richtfest an der neuen Schule, in deren Nachbarschaft nördlich der Straße Landwehr perspektivisch – nach Ausbau der A1 und ihrer Lärmschutzwände – etwa ein Dutzend Bauplätze folgen werden, so Svenja Schaumann vom Stadtplanungsamt Münster. In der Nähe des Bahnhofs wächst Sprakel um das Baugebiet „Sprakel Ost“: Grob geplant sind 134 Wohneinheiten und eine Kindertagesstätte mit vier Gruppen. „Der Bebauungsplan ist noch in Erarbeitung, nach der Veröffentlichung im November/Dezember 2023 ist für ihn der Satzungsbeschluss vorgesehen.“ Wenn diese geplanten Bebauungen realisiert sein werden, soll Sprakel etwa 4.500 bis 5.000 Einwohner haben.
Die neue Sprakeler Mitte ist noch in der Entwicklung: Zukünftig soll ein öffentlicher Platz entstehen, für Wochenmarkt oder andere Veranstaltungen und als Treffpunkt der Bürger. Offen ist noch, was aus dem alten Schulstandort im Stadtteil wird, wenn die neue Schule bezogen ist.
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