MÜNSTER! Magazin

Maik Ehmke ist der Gründer von textilwerk – er möchte mit seinem On-Demand-Prinzip den Heimtextilienmarkt nachhaltiger machen. Foto: textilwerk  Muster: Maren Gross 

N°126


T E X T I L - R E V O L U T I O N
A U S  E M S D E T T E N
 

Ressourcen sparen, die Kreativszene unterstützen und Transparenz in die Textilindustrie bringen – nichts Geringeres hat sich das junge Emsdettener Unternehmen textilwerk zum Ziel gesetzt. Mit einem spannenden Konzept setzen die Münsterländer rund um Gründer Maik Ehmke diesen Plan in die Tat um. 

Text Lotta Krüger


„Wenn Menschen von textilwerk hören, verorten sie uns oft in der hippen Start-up-Szene von Berlin oder Hamburg. Dabei sind wir richtige Dorfkinder – und stolz darauf!“ Das sagt Maik Ehmke, Gründer und CEO von textilwerk im münsterländischen Emsdetten. textilwerk, das ist ein Online-Marktplatz, auf dem Menschen eine große Auswahl an Wohntextilien finden und per Mausklick nach Hause bestellen können. Die erste Besonderheit: textilwerk arbeitet mit dem On-Demand-Prinzip, also auf Nachfrage. Das bedeutet, dass die Produkte erst dann produziert werden, wenn jemand sie bestellt. Mit diesem ressourcensparenden Ansatz setzt sich das junge Unternehmen von dem vorherrschenden Geschäftsmodell der Textilbranche ab, bei dem die Ware billig in Übersee produziert und in großen Containern nach Deutschland gebracht wird, hier dann massenweise in Lagern liegt und möglichst schnell verkauft werden muss, bevor der nächste Trend kommt. 

Der Blick auf Trends ist die zweite Besonderheit von textilwerk: „Wir sind fest davon überzeugt, dass der Geschmack von Menschen so vielschichtig und individuell ist, dass er über Trends hinausgeht!“, so Maik Ehmke. Auf der Plattform können sich Interieur-Fans deswegen durch Tausende von Designs klicken und sich ihre Heimtextilien individuell zusammenstellen. Die Muster und Motive, die je nach Wunsch auf Kissen, Bettbezüge oder Tischdecken gedruckt werden, stammen von 120 unabhängigen Künstlerinnen und Künstlern, die an jedem Verkauf ihrer Designs beteiligt werden. Durch die Zusammenarbeit unterstützt textilwerk die Kreativszene und sorgt gleichzeitig für eine riesige Vielfalt an Gestaltungsstilen auf der eigenen Plattform.

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Foto: textilwerk

„Wir mussten die Leute erst einmal davon überzeugen, dass es sich lohnt, in ein nachhaltiges, qualitativ hochwertiges, personalisiertes Produkt zu investieren – auch wenn es woanders Kissen für 4,99 Euro gibt.“

Sina Büscher, Marketingleitung Textilwerk
 

Maik Ehmke kommt eigentlich nicht aus der Textil-, sondern aus der Digitalbranche. 2019 entwickelte er gemeinsam mit seinem Kumpel Dan Schmitz – übrigens geschäftsführender Gesellschafter der Schmitz-Werke in Emsdetten in vierter Generation – die Idee für textilwerk. „Es hat perfekt gepasst: Ich konnte weiterhin meine Leideschaft als Digital Enthusiast ausleben, aber gleichzeitig meine Affinität zu Interieur-Design und schönen Wohnumgebungen einbringen“, berichtet Co-Founder Maik von der Gründung. „Das Ziel war es, ein Unternehmen aufzubauen, das den Problemen unserer leistungsorientierten Gesellschaft etwas entgegensetzt.“ Das galt und gilt nicht nur für das ressourcenschonende Konzept von textilwerk, sondern auch für die Unternehmenskultur: „Wir wollten etwas aufbauen, das nachhaltig, sinnstiftend, digital, agil und offen ist. Und ich glaube, das ist uns gelungen!“ Im März feierte textilwerk seinen vierten Geburtstag, aus den anfangs fünf Mitarbeitenden sind inzwischen knapp 20 geworden.

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Fotos: textilwerk  Muster: Julia Schumacher

Visionäre Überzeugungsarbeit

Doch was nach einem einfachen Erfolgsweg klingt, war harte Arbeit. „Die Preisschwelle in der Textilbranche ist seit einigen Jahrzehnten sehr niedrig, alles wird immer billiger. Wir mussten die Leute erst einmal davon überzeugen, dass es sich lohnt, in ein nachhaltiges, qualitativ hochwertiges, personalisiertes Produkt zu investieren – auch wenn es woanders Kissen für 4,99 Euro gibt“, berichtet Sina Büscher, Gründungsteammitglied und Marketingleitung bei textilwerk.
Auch dass die Kundinnen und Kunden wegen des On-Demand-Prinzips nicht mit einer Blitzlieferung rechnen können, war eine große Herausforderung. „Am Anfang dauerten Herstellung und Lieferung insgesamt 30 Tage. In Zeiten von „von-einem-Tag-auf-den anderen (Next-Day-Delivery)-Lieferung“, wie einige Onlineshops sie anbieten, mussten wir die Leute visionär überzeugen“, erzählt Maik. So wuchs das Unternehmen nach und nach – ohne großen Hype, sondern organisch – und gewann immer mehr Fans und Enthusiasten. „Wir haben uns über jede Bestellung total gefreut und alles mit viel Liebe und handgeschriebenen Karten selbst verpackt“, erinnert sich Sina lachend an die Anfangszeiten zurück. Persönliche Widmungen sind heute, wo die Kundinnen und Kunden auf der Website über 40.000 Heimtextilien finden, nicht mehr möglich – aber die Leidenschaft für die Idee von textilwerk ist geblieben.

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Die große Kollektionsvielfalt ergibt sich durch die Individualität der Künstlerinnen und Künstler, die mit immer neuen Ideen das Portfolio erweitern. Fotos: textilwerk  Muster: Julia Schumacher 

Jene Leidenschaft spürt man in jedem Satz, wenn man Gründer Maik sprechen hört. „Wir wollen die Textilproduktion nachhaltig verändern. Aber wir sind uns auch darüber bewusst, dass man als Unternehmen nicht zu 100 Prozent nachhaltig sein kann, weil man für alles, was man schafft, Ressourcen und Energie braucht.“ Das On-Demand-Prinzip senkt jenen Verbrauch allerdings erheblich. Es verhindert nicht nur, dass überflüssige Ware produziert wird und nach Ablauf der Saison vernichtet werden muss, sondern geht auch mit einer niedrigen Retourenquote einher. „In anderen Fashion-Onlineshops wird 30 bis 40 Prozent der Ware zurückgeschickt. Bei uns liegt die Quote momentan bei nur drei Prozent“, so Maik. Das erklärt der Geschäftsführer sich damit, dass die Kundinnen und Kunden bei textilwerk sehr bewusst entscheiden, was es in den Warenkorb schafft, weil sie wissen, dass die Produkte extra für sie hergestellt werden. Und selbst die drei Prozent Rückläufer werden bei textilwerk nicht verschrottet, sondern bei regelmäßigen Werksverkäufen im Emsdettener Lager an die Menschen gebracht. Was dort übrigbleibt, wird für karitative Zwecke gespendet. Das Absurde daran: Ökonomisch betrachtet wäre die Verschrottung der Retouren günstiger für das Unternehmen. Doch weil das nicht mit den Werten von textilwerk vereinbar ist, haben sich Maik und sein Team dagegen entschieden. „Es ist gruselig, wie viele Tonnen an Textilien jeden Tag auf Müllbergen landen und wie viel Greenwashing (das bewusste fälschliche Vorgeben ökologischen Handelns, Anmerkung der Redaktion) betrieben wird – davon bekommt man als normaler Verbraucher nichts mit.“ Eine Mission von textilwerk lautet daher auch: „Wir möchten Transparenz in die Lieferkette bringen. Auch wir sind noch nicht perfekt, aber wir wollen, dass unsere Kundinnen und Kunden den gesamten Prozess der Produktion nachvollziehen können.“

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Foto: textilwerk 

„Wir möchten Transparenz in die Lieferkette bringen. Auch wir sind noch nicht perfekt, aber wir wollen, dass unsere Kundinnen und Kunden den gesamten Prozess der Produktion nachvollziehen können.“
 
Maik Ehmke, Gründer und CEO von Textilwerk

Und der sieht so aus: Die Künstlerinnen und Künstler – von denen einige proaktiv auf textilwerk zukommen und andere von Sina und ihren Kolleg:Innen akquiriert werden, mit dabei ist etwa Lena Mühlemann – die das MÜNSTER! April Cover gestaltete – laden ihre Designs über einen Konfigurator auf der Website hoch und passen sie an die jeweilig verfügbaren Textilien an. Hier können die Kundinnen und Kunden sich von den verschiedenen Kollektionen inspirieren lassen, die Ergebnisse nach verschiedenen Kriterien filtern oder sich Vorschläge liefern lassen, die auf zuvor abgefragten Präferenzen basieren. Wer sich für ein Design entschieden hat, wählt nun noch Wunschgröße und -material des Produkts aus. Sobald die Bestellung abgeschickt wird, wird eine digitale Datei erzeugt und zum Schwesterunternehmen in Polen geschickt. Dort werden die Dateien „verschnittoptimiert“ angeordnet, um möglichst wenig Rohware zu verbrauchen, bevor die gewünschten Motive in der Druckmaschine auf die Stoffe aufgebracht werden. In einer weiteren Maschine werden die bedruckten Stoffe nun zugeschnitten, bevor sie in der Konfektion von Hand zusammengenäht werden. Der Produktionsprozess nimmt drei bis fünf Tage in Anspruch – die Bestellung kommt also inklusive der zweitägigen Versandzeit spätestens nach einer Woche an. Das ist zwar kein Vergleich zu den 30 Tagen, die die Kundinnen und Kunden zu Anfangszeiten warten mussten, aber dennoch seien die Leute teilweise ungeduldig, berichten Maik und Sina – insbesondere vor Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern, wo Geschenke und saisonal passende Produkte sehr gefragt sind.

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Wenig Verschnitt! Die On-Demand-Produktion ermöglicht passgenaues Ausnutzen der Stoffbahnen. Foto: textilwerk

Die Community als Entscheidungsträger

Die Stilrichtungen der Textilien – darunter neben Bettwäsche etwa auch Servietten, Vorhänge und Bankauflagen – reichen von botanisch bis abstrakt, von romantisch bis rustikal, von schwarz-weiß bis farbenfroh. Die direkte Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern ermöglicht es dem Team von textilwerk, die Auswahl ständig und bei Bedarf schnell weiterzuentwickeln. „Wenn uns spontan noch eine Idee für die aktuelle Jahreszeit einfällt und eine der Designerinnen oder Designer sie schnell umsetzt, ist das Motiv schon am kommenden Tag im Shop verfügbar“, berichtet Sina. Die Kunstschaffenden sind völlig frei in ihren Kreativprozessen. Durch den regelmäßigen Austausch können gemeinsame Ideen gestaltet werden. Auch bei saisonalen Kollektionsbriefings können sich alle Kreativen einbringen. Langfristig ist sogar der Plan, die Plattform oder zumindest einen Teil davon zu öffnen: Dann könnte jeder und jede Kreative dort seine Designs hochladen, ohne dass diese vorher vom textilwerk-Team ausgewählt werden – die Kundinnen und Kunden würden dann eine noch größere Auswahl vorfinden und durch ihr Kaufverhalten selbstständig entscheiden, welche Motive sich etablieren. Ein anderer Bereich der Website würde aber auch dann weiterhin kuratiert bleiben – wie in der aktuellen textilwerk-Version können die Nutzenden hier personalisierte Vorschläge und Entscheidungshilfen in Anspruch nehmen, um ihren Lieblingsstil zu finden.

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Und so sieht es aus, wenn die textilwerk-Produkte im Einsatz sind: Sommerliche Gefühle sind vorprogrammiert Foto: textilwerk 

Eine so alte Branche wie die Textilproduktion – die zu den ältesten Industriezweigen überhaupt gehört und im Münsterland eine lange Tradition hat – in die heutigen Zeiten zu überführen und an deren Herausforderungen anzupassen, ist eine Mammutaufgabe. Darüber sind sich Maik Ehmke und sein Team bewusst. „Aber der Gedanke, dass wir mit unserem disruptiven Ansatz zu einem Wandel in der Gesellschaft beitragen, motiviert mich jeden Tag unendlich doll“, so der Gründer.
Es stimmt, viele gute Ideen werden in den Start-ups in Berlin und Hamburg geboren. Aber Maik Ehmkes Vision, die Textilindustrie mit diesem Konzept auf den Kopf zu stellen – die kommt aus Emsdetten.

textilwerk.com

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Foto: textilwerk  Muster: Uta Naumann