MÜNSTER! Magazin

So arbeitet die Autorin am Schreibtisch: Erst mit Stift und Papier – der Computer kommt später ins Spiel. Foto: Susanna Wengeler 

N°111


Gefühle, handgezeichnet

Lucia Zamolo gehört in die Reihe der Illustratoren und Illustratorinnen aus Münster – und doch heißt ihr aktueller Buch-Untertitel „Wie es sich anfühlt, von hier zu sein, aber igendwie auch nicht“. Ihr drittes Buch handelt von Herkunft, Migration und auch Rassismus. MÜNSTER! hat die Autorin im „Café Magnolia“ im Erphoviertel getroffen.

Text cornelia höchstetter


MÜNSTER!: Frau Zamolo, wie fühlt es sich hier für Sie an? 
Lucia Zamolo: Hier im Café Magnolia sehr vertraut und heimatlich. Ich bin oft hier. Und überhaupt lebe ich gerne im Erphoviertel – das Viertel fühlt sich so kietzig an, mit dem Stauffenplatz, der Bahnstrecke und dem Café hier. Ich bin in Münster geboren und mit sechs Jahren ist meine Familie dann nach Warendorf gezogen. In Italien habe ich nie gelebt, aber weil mein Vater Italiener ist und wir viele Verwandte in Italien haben, dachte ich nach der Schule, ich muss auch mal dort leben. So war ich ein Jahr lang als Au-Pair-Mädchen in Florenz. Danach habe ich erst in Essen Kunstwissenschaften und Englisch studiert. Weil mir das zu theoretisch war, habe ich in einem Café gejobbt, Praktika gemacht und eine Bewerbungsmappe für ein Kunststudium entwickelt. Immer, wenn ich mit dem Zug von Essen nach Warendorf durch Münster gefahren bin, fühlte es sich für mich so gut an. Als ob ich hierher gehöre. So habe ich mich für das Studium an der FH Münster entschieden und seitdem lebe ich hier.  

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So fängt Lucia Zamolos drittes Buch an.

Ihre drei Bücher handeln von großen Alltagsthemen, die das ganze Leben beträchtlich beeinflussen: Menstruation, Liebeskummer und jetzt Migration und Rassismus. Alle drei Themen sind mit tiefen Empfindungen verbunden: Haben Sie auch Psychologie studiert?
Sagen wir so: Ich bin gut in Küchenpsychologie (lacht) – nein, im Ernst: Ich schreibe über Themen, die mich persönlich beschäftigen. Diese Themen entwickeln sich langsam in mir. Ich habe an der FH Münster Kommunikationsdesign und Illustration studiert. Vielleicht ist es typisch für Kunststudentinnen und -studenten, dass sie sich extrem viel mit den eigenen Gefühlswelten beschäftigen. Ich hatte dazu glücklicherweise Zeit genug. Im Nachhinein bewertet war das eine wertvolle Zeit, weil ich gelernt habe, es auch auszuhalten, dass das Leben nicht immer geradeaus geht – denn man kann sowieso nicht alles planen.

Und wie sind Sie auf das Thema für Ihr aktuelles Buch gekommen? 
Ich persönlich habe mich während des Lockdowns intensiv mit der „Black-Lifes-Matter“-Bewegung beschäftigt. Ich kann nicht verstehen, wie heute noch Menschen kategorisch in Schubladen denken und andere Menschen dort einordnen. Ich selber versuche, alles möglichst offen zu sehen. Oft ist es eine Frage der Empathie: Wie sehr kann ich mich in die Gefühle und in das Denken des anderen Menschen hineinversetzen?

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Alle Seiten sind echt handschriftlich kommentiert – die Gefühlslagen liest man den Figuren aus den Gesichtern.
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Lucia Zamolo schreibt ihre Gedankengänge nieder und nimmt so die Leser und Leserinnen mit auf die Reise durch ihre Gefühlswelt.

Ihr Buch fängt damit an, dass Sie es nicht mögen, wenn man Ihnen die Frage stellt: ‚Wo kommst Du eigentlich her?“ Ist diese Frage schon Rassismus? 
Es kommt immer auf die Situation an – ich wundere mich, warum mir und nicht meiner blonden Freundin diese Frage gestellt wird! Und wenn die Frage beim ersten Treffen gestellt wird fühle ich mich mit etwas konfrontiert, was etwas sehr Privates für mich ist. Ist das nicht irgendwie unsensibel? Ich frage ja auch nicht als Einstiegsthema einer Unterhaltung, wo die Vorfahren meines Gesprächspartners herkommen?! Oder warum jemand ‚Brigitte‘ heißt? Aber weil mir die Frage immer wieder gestellt wurde, fühle ich mich fast schon in der Bringschuld einer Antwort – was blödsinnig ist. Das Thema hat mich so beschäftigt, dass sich das Buch daraus entwickelt hat. Ich habe dafür auch viel recherchiert und mit anderen Menschen gesprochen, wie sie sich mit diesen Fragen fühlen. Das Buch soll ein Anstoß sein, dass sich jede und jeder hinterfragt und die Situation besser versteht, dass man mit einer einzigen Frage einen anderen Menschen ausgrenzt! Und das Ausgrenzen ist Diskriminierung aufgrund von Stereotypen – wenn auch versteckt.

Zurück zu ihrem ersten Buch – wie haben Sie 
Ihren Verlag gefunden? 
Mein erstes Buch über die Menstruation war meine Bachelorarbeit. Die präsentierte ich gedruckt und gebunden auf der Frankfurter Buchmesse 2019. Ich bin von Stand zu Stand gegangen und habe mein Buch den Verlagen vorgestellt. Viele waren sofort begeistert, sagten aber ab, weil es in kein Verlagsprogramm passte. Zwei Jahre später habe ich für den Bohem Press Verlag gearbeitet und so kam es dazu, dass sie mein Buch verlegten – und auch die beiden nächsten.

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Das sind die Cover des ersten und des dritten Buches, made by Zamolo.

Wollten Sie schon immer Bücher machen?
Gemessen daran, dass mein erstes Buchprojekt mir wichtiger war als ein fester Job, waren Aufsätze in der Schulzeit nicht mein Lieblingsding. Ich musste mir immer wieder anhören, dass ich wirr schreibe – dabei wollte ich schon immer möglichst viele Gedanken erzählen. Und die Alltagssprache ist für mich als Autorin eine sehr persönliche Ansprache. Inzwischen versuche ich, mich nicht mehr dem Druck auszusetzen, dass ich den Erwartungen entsprechen müsse.

Haben Sie mit dem Mix von Handschriftlichem und Skizzen eine neue Art von Büchern geschaffen?
Nicht konkret eine neue Art, aber doch ist es ein bestimmter Mix, der über Grenzen geht. Meine Bücher sind wie ein Tagebuch, oder ein Gedankenbuch. So schreibt man in Kalender: mal eine Zeichnung, mal ein Gedanke oder ein Spruch.

Ist ein Dokument für Buch Nummer vier schon angelegt?
Jetzt ist erst einmal eine Buch-Pause angesagt, weil ich gerade für das „Jeden Tag Spaghetti“ sehr viel Persönliches preisgegeben habe. Ich habe nun Lust, mit anderen gemeinsam an Buch- oder Magazinprojekten zu arbeiten: Als selbständige Grafikerin kümmere ich mich um Bebilderung, Illustrationen und Druckdateien. Außerdem entwerfe und vermarkte ich eigene Produkte, die zum Beispiel auf einem speziellen RISO-Drucker ausgedruckt werden. Im Café „Teilchen und Beschleuniger“ sind einige meiner Bilder ausgestellt – auch zum Kaufen!

Über Lucia Zamolo, ihr neues Buch und das Genre ihrer Bücher

Alle drei Buch-Themen sind aus Lucia Zamolos persönlicher Gefühlswelt gewachsen. Weil sie weiß, dass sie damit nicht alleine ist, gibt sie in ihren Büchern so etwas wie Nachhilfe in Empathie. Das Besondere an „Jeden Tag Spaghetti“ ist, dass es einfach so anfängt, ohne Inhaltsverzeichnis, ohne Vorwort, sogar ohne Seitenzahlen. Man liest los und ist mittendrin im Thema. Mitten in der Welt der Lucia Zamolo.

Lucia Zamolo, geboren 1991 in Münster, studierte Design mit den Schwerpunkten Illustration und Kommunikation an der „Münster School of Design“, sowie Englische Philologie und Bildungswissenschaften. „Rot ist doch schön“, ihre Bachelorarbeit, war ihr Debüt als Autorin und Illustratorin, für das sie die „Serafina“ – den „Preis für Nachwuchsillustratoren und -illustratorinnen“ gewann. Der Titel wurde bislang in 13 Sprachen übersetzt und vielfach nominiert. Ihr zweites Buch „Elefant auf der Brust“ wurde von der „Stiftung Buchkunst“ als eines der 25 schönsten Bücher 2021 prämiert.

Tomas Rensing, Pressesprecher bei „Bohem Press“, bezeichnet Lucia Zamolos Buch als „Graphic Novel“: „Eine klare Abgrenzung ist schwer. Ihr Buch ist eine Biografie, weil es sehr persönlich geschrieben ist. Ein Sachbuch, da es voller Informationen steckt. Ein Comic, da es von witzigen und aussagekräftigen Illustrationen lebt – daher würde ich es am ehesten bei den Graphic Novels einordnen.“

Jeden Tag Spaghetti – Wie es sich anfühlt von hier zu sein, aber irgendwie auch nicht
Lucia Zamolo

128 Seiten, Flexocover, 16 Euro. Bohem Press Münster, 2022. ISBN 978-3959392051

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